SP und Mitte wollen Prämienanstieg bremsen – und kassieren heftige Niederlagen
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Abstimmungen
Schweiz

SP und Mitte wollen Prämienanstieg bremsen – und kassieren heftige Niederlagen

09.06.2024 19:54 - update 10.06.2024 01:38
David Frische

David Frische

Das Schweizer Stimmvolk hat am Sonntag die beiden Gesundheitskosten-Initiativen und die Initiative gegen eine Impfpflicht bachab geschickt. Das Stromgesetz wurde angenommen. Alles Wichtige zum Abstimmungssonntag kannst du hier nachlesen.

Darüber stimmte die Schweiz ab

SP und Mitte wollen Prämienanstieg bremsen – und kassieren heftige Niederlagen

Was die Entscheidungen an der Urne zu den einzelnen nationalen Vorlagen bedeuten, erfährst du, wenn du die jeweiligen Kapitel aufklappst:

Nein zur Prämienentlastung: Kantone in der Pflicht

Die Ausgaben für Krankenkassenprämien werden für Haushalte nicht auf maximal zehn Prozent des verfügbaren Einkommens begrenzt. Nach dem überraschend deutlichen Nein zur Prämienentlastungs-Initiative der SP sind nun die Kantone in der Pflicht.

Unter dem Strich haben am Sonntag 55,5 Prozent der Stimmenden die Volksinitiative «Maximal 10% des Einkommens für die Krankenkassenprämien (Prämienentlastungs-Initiative)» abgelehnt. Die Stimmbeteiligung lag bei 45,4 Prozent.

Der Blick auf die Abstimmungskarte zeigte einen tiefen Sprachgraben. Alle Westschweizer Kantone und das Tessin befürworteten das Volksbegehren. Mit Ausnahme des Kantons Basel-Stadt sagten dagegen alle Deutschschweizer Kantone Nein.

Kantone müssen mehr machen

Die Gegner verwiesen im Abstimmungskampf auf den vom Parlament verabschiedeten indirekten Gegenvorschlag, der nach dem Nein in Kraft tritt. Die Kantone müssen demnach künftig einen Mindestbeitrag von 3,5 bis 7,5 Prozent der Kosten der obligatorischen Grundversicherung für die Prämienverbilligung aufwenden.

«Alle Kantone müssen mitziehen», sagte Gesundheitsministerin Elisabeth Baume-Schneider. Den Verordnungsentwurf für die Umsetzung des Gegenvorschlags will Baume-Schneider noch dieses Jahr in die Vernehmlassung schicken und nächstes Jahr verabschieden. Ab 2026 sollen die Kantone verpflichtet werden, mehr zu tun.

Kantone mit hohen Gesundheitskosten werden künftig mehr Prämienverbilligungen zahlen müssen als Kantone mit niedrigen Kosten. Der Bundesanteil bleibt unverändert.

Alte Forderung wird neu lanciert

Anders als bei der Abstimmung für eine 13. AHV-Rente gelang es der Linken nicht, die Kostenfolgen der Initiative mit stärkeren Argumenten zu kompensieren. Als Konsequenz aus der Niederlage kündigte die SP eine Initiative für eine öffentlich-rechtliche Krankenkasse an. Diese soll Anfang 2025 lanciert werden. (sda)

Kostenbremse vom Tisch – Aufruf zum Sparen bleibt

In der Bundesverfassung wird keine Kostenbremse im Gesundheitswesen verankert. Nach dem deutlichen Nein zur Kostenbremse-Initiative der Mitte-Partei müssen nun andere Rezepte zur Dämpfung der steigenden Krankenkassenprämien her.

Unter dem Strich haben am Sonntag 62,8 Prozent der Stimmenden die Volksinitiative «Für tiefere Prämien – Kostenbremse im Gesundheitswesen (Kostenbremse-Initiative)» abgelehnt. Die Stimmbeteiligung lag bei 45,4 Prozent.

Der Blick auf die Abstimmungskarte zeigte einen Sprachgraben. Vier Westschweizer Kantone und das Tessin befürworteten die Kostenbremse-Initiative. In der Deutschschweiz lehnten alle Kantone das Volksbegehren ab – mit einem Nein-Stimmen-Anteil von 60 Prozent und darüber

Das Nein zur Initiative kam nicht überraschend. Die Zustimmungswerte waren in verschiedenen Umfragen zuletzt eingebrochen. Die Ausgangslage für die Befürworter war von Beginn weg schwierig: Die Mitte-Partei wurde nur vom Krankenkassenverband Santésuisse und von den Kleinparteien EVP und EDU unterstützt.

Neue Kostenziele

Um kostendämpfende Massnahmen zu beschliessen, brauche es keinen neuen Verfassungsartikel, hielten die Gegnerinnen und Gegner der Initiative fest. Der vom Parlament verabschiedete Gegenvorschlag, der nun in Kraft tritt, reiche.

Demnach legt der Bundesrat künftig in Absprache mit den Akteuren des Gesundheitswesens alle vier Jahre fest, wie stark die Kosten in der obligatorischen Krankenversicherung höchstens steigen dürfen. Die Akteure im Gesundheitswesen müssen zuvor begründen, weshalb und wie stark die Kosten pro Bereich steigen werden.

Die Kantone können zudem eigene Kosten- und Qualitätsziele festlegen, wobei sie die Vorgaben des Bundesrats berücksichtigen und die Versicherer, Versicherten und Leistungserbringer vorgängig anhören müssen. Eine Kommission für das Kosten- und Qualitätsmonitoring wird die Entwicklung der Kosten überwachen und zuhanden des Bundes und der Tarifpartner Empfehlungen zu geeigneten Kostendämpfungsmassnahmen abgeben.

Baume-Schneider ruft zum Sparen auf

Es brauche rasch weitere Vorschläge zur Dämpfung des Kostenanstiegs, sagte Gesundheitsministerin Elisabeth Baume-Schneider am Abend des Abstimmungssonntags. «Die Bevölkerung erwartet Massnahmen gegen die steigende Prämienlast – und das zu Recht.» Unnötige Leistungen und Doppelspurigkeiten müssten beseitigt werden. (sda)

Stopp-Impfpflicht-Vorlage abgeschmettert – Initianten wollen weiter kämpfen

Die Regeln für Impfungen bleiben nach dem Abstimmungssonntag gleich. Knapp drei Viertel der Stimmbevölkerung haben die Volksinitiative «Für Freiheit und körperliche Unversehrtheit» der Freiheitlichen Bewegung Schweiz abgelehnt.

Gemäss den Endresultaten aus den Kantonen sagte eine Mehrheit von 73,7 Prozent Nein zur Vorlage. In absoluten Zahlen waren rund 1’838’500 Stimmende dagegen und 655’000 dafür. Die Stimmbeteiligung lag bei 44,8 Prozent.

Ein Blick auf die Abstimmungskarte zeigte eine geeinte Schweiz. Alle Kantone lehnten die Initiative ab. Den tiefsten Nein-Stimmen-Anteil gab es mit 64,3 Prozent im Tessin. Am deutlichsten abgelehnt wurde der Text in Basel-Stadt mit 78,1 Prozent.

Initianten: Anliegen wurde nicht richtig verstanden

«Wir überlegen uns, die Initiative ein weiteres Mal zu starten», sagte Richard Koller, Präsident des Initiativkomitees und der Freiheitlichen Bewegung Schweiz (FBS), der Nachrichtenagentur Keystone-SDA. Den Grund für die deutliche Ablehnung sieht Koller darin, dass die Initiative nicht richtig verstanden worden sei.

Von den grösseren Parteien unterstützte einzig die SVP das Anliegen. Der Walliser SVP-Nationalrat Jean-Luc Addor sah den Grund der Ablehnung im Kurzzeitgedächtnis der Schweizerinnen und Schweizer.

Beat Flach, GLP-Nationalrat und Co-Präsident des Nein-Komitees, gab sich erleichtert über das Resultat. «Ich hoffe, dass das Thema damit aufgearbeitet ist und wir uns wieder wichtigeren Themen widmen können», sagte er auf Anfrage. «Wir sind als Gesellschaft dazu verpflichtet, den Schwächeren unter uns Sorge zu tragen. Diese Initiative hätte dies verunmöglicht», wurde Flach in einer Mitteilung seiner Partei zitiert. (sda)

Ja zum Stromgesetz: Solar-, Wind- und Wasserkraft werden ausgebaut

Die Schweiz erhält Regeln, um mehr einheimische Energie aus Solar- und Windenergie zu gewinnen, und die Planung von 16 Wasserkraftanlagen wird vereinfacht. Das Stimmvolk hat sich deutlich hinter den Energie-Mantelerlass gestellt. Für Energieminister Albert Rösti ist damit ein Meilenstein erreicht.

Die Zustimmung von 68,7 Prozent zum zum Energie-Mantelerlass – oft auch Stromgesetz genannt – hatte sich in den Abstimmungsumfragen abgezeichnet. Bundesrat, Parlament, die grossen Parteien sowie wichtige Umweltverbände haben sich nun durchgesetzt.

Die Fondation Franz Weber hatte die Vorlage mit dem Referendum bekämpft, zusammen mit einem Bündnis um den Neuenburger Pierre-Alain Bruchez und dem Verband Freie Landschaft Schweiz. Auch die SVP-Basis war dagegen – die Parteispitze um den neuen Präsidenten Marcel Dettling hatte den Delegierten die Nein-Parole empfohlen.

Alle Kantone sagten Ja, am deutlichsten Basel-Stadt mit 76,2 Prozent. Die geringste Unterstützung kam aus dem Kanton Schwyz mit 57 Prozent Befürwortern. Zürich sagte mit 72,2 Prozent Ja, Bern mit 70,8 Prozent. Nein-Gemeinden gab es aber etliche, vorwiegend in ländlichen Regionen.

Gegner:innen pochen auf Versprechen

Die Verliererinnen und Verlierer pochen auf Versprechen der Befürworterseite. Vera Weber von der Fondation Franz Weber erinnerte ans Versprechen etwa, dass acht Prozent der Solarpanels auf Dächern installiert würden. Auch habe Bundesrat Albert Rösti versprochen, dass die demokratischen Rechte der Gemeinden nicht angetastet würden.

Die SVP wiederum will prüfen, ob der Zubau von erneuerbaren Energien zu teurerem Strom führe, wie der Berner Nationalrat Thomas Knutti sagte. Ein Auge haben will die SVP auch darauf, ob die von den Befürwortern genannte Maximalzahl von 150 bis 200 neu zu erstellenden Windrädern eingehalten werde.

Rösti: Mantelerlass ist ein «Meilenstein»

Für Energieminister Albert Rösti ist das Ja zum Energie-Mantelerlass ein Meilenstein auf dem Weg zur sicheren Stromversorgung und zugleich ein Ausgangspunkt, wie er am Sonntag in Bern vor den Medien sagte. Auf dem eingeschlagenen Weg müssten nun noch viele Schritte kommen für den Um- und Ausbau der Stromversorgung.

Zwanzigjährige Verfahren für die Projektierung neuer Anlagen und Netzbauten könne sich die Schweiz nicht leisten, sagte Rösti. Dem Beschleunigungserlass, der der Planung und Bewilligung von grossen Solar-, Wind- und Wasserkraftwerken Schub geben soll, werde eine Beschleunigungsvorlage für das Stromnetz folgen. Die Vernehmlassung dazu werde bald starten.

Offene AKW-Frage

Aufs Tapet kommt nun auch wieder die Atomenergie-Frage. Es sei Zeit, einen Schlussstrich unter die Atomkraft zu ziehen, schrieb Greenpeace. Die Volksinitiative «Jederzeit Strom für alle (Blackout stoppen)» hingegen fordert eine Aufhebung des AKW-Bauverbots. Der Bundesrat hat noch nicht Stellung bezogen dazu. (sda)

Baselland entschied über kantonales Energiegesetz

Der Kanton Baselland hat ebenfalls über das Thema Energie abgestimmt. Die Baselbieter Stimmbevölkerung hat die Änderung des kantonalen Energiegesetzes beschlossen. Was die Gewinner und Verlierer dazu sagen, erfährst du hier:

Du hast noch nicht genug?

Dann kannst du den Abstimmungssonntag mit seinen Entscheidungen und den Reaktionen hier in unserem Live-Ticker ganz genau nachlesen. Viel Spass!

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