
Menschliche Überreste aus Kolonien: Auch in Basel wurde «Rassenforschung» betrieben
Baseljetzt
Obwohl die Schweiz keine Kolonien hatte, besitzen Museen und Sammlungen tausende menschliche Überreste aus kolonialem Kontext, wie eine Auswertung zeigt. Die meisten der Skelettteile befinden sich in Basel und Zürich.
In Kürze
- Eine Auswertung der Universität Lausanne gelangte mittels Umfrage zu dieser Erkenntnis
- Basel prägte die nationale und internationale koloniale Rassenanthropologie durch die «Rassenforschung» der Sarasins
- Dem Bundesamt für Kultur empfehlen die Wissenschaftler, die Forschung nach der Herkunft, die Provenienzforschung, stärker zu unterstützen.
Mindestens 4175 menschliche Überreste liegen derzeit in der Schweiz, überwiegend Schädel, die in einem kolonialen Zusammenhang erworben wurden. Dies geht aus dem Bericht der Universität Lausanne hervor, der am Freitag veröffentlicht wurde. Er basiert auf einem Fragebogen vom Jahr 2023 an 34 Museen, auf den 26 Museen und Sammlungen geantwortet haben.
Es sei so gut wie nichts darüber bekannt, wer diese Überreste erworben hat, unter welchen Umständen dies geschah und wie sie in die Schweiz gelangten. Die meisten dieser Skelett-Teile befinden sich demnach in Sammlungen in Basel und Zürich.
«Rassenforschung» in Basel, Zürich und Genf
Der Fall Basel, wo ein Teil der Sammlungen genauer untersucht wurde, deutet laut der Auswertung jedoch darauf hin, dass die individuellen Forschungsinteressen damaliger Natur- und sogenannter Rassenforscher und Museumsdirektoren eine grosse Rolle spielten.
In Basel handelte es sich um Paul (1856–1929) und Fritz Sarasin (1859–1842). Sie dominierten jahrzehntelang die biologische Forschung und mit ihren Schädelvermessungen und -vergleichen die sogenannten Rassenanthropologie am Rheinknie. Auch in der übrigen Schweiz und in Deutschland hatten sie erheblichen Einfluss.
Die Sarasins waren laut dem Lausanner Historiker und Mitautor des Berichtes, Bernhard Schär, sozusagen die einzigen, die ab den 1880er Jahren die Evolutionstheorie auf die sogenannte Rassenanthropologie anwendeten und hierfür auch neue Methoden entwickelten. Diese Fragestellungen und Methoden wurden von anderen aufgegriffen, radikalisiert und schliesslich in den Dienst der nationalsozialistischen Rassenpolitik gestellt.

Neben Basel waren auch Zürich und Genf während der Kolonialzeit im 19. Jahrhundert und bis weit ins 20. Jahrhundert hinein wichtige internationale Zentren für die sogenannte Rassenforschung.
Gleichzeitig zur Erforschung von Schädeln aus den Kolonien begann die Vermessung von Schädeln aus der Schweizer Urgeschichte, besonders von Schädeln aus der Pfahlbauzeit sowie aus Gebeinhäusern aus katholischen Kantonen, wie Schär der Nachrichtenagentur Keystone-SDA sagte.
So habe Eugène Pittard, ein Freund und Zeitgenosse der Sarasins und Professor für Ethnologie in Genf, mit einer rassenanthropologischen Studie über Schädel aus dem Wallis promoviert.
Schweizer in allen Kolonialgebieten
Während menschliche Überreste, die heute noch in Institutionen ehemaliger Kolonialmächte aufbewahrt werden, aus deren ehemaligen Kolonien zu stammen scheinen, besitzen Schweizer Sammlungen menschliche Überreste aus allen Teilen der Welt, wie der Bericht festhält. Dies zeige, dass die Schweiz institutionell mit allen Kolonialreichen verbunden war und dass Schweizerinnen und Schweizer direkt oder indirekt in praktisch allen Kolonien tätig waren.
Obwohl die Schweiz keine formellen Kolonien hatte, seien ihre Forschungs-, Sammlungs- und Konservierungseinrichtungen seit der Kolonialzeit oft Drehscheiben für den internationalen Austausch von Objekten, Daten oder wissenschaftlichen Theorien weit über die politischen und sprachlichen Grenzen der ehemaligen Kolonialmächte hinaus gewesen. Diese Geschichte sei jedoch immer noch zu wenig erforscht, beklagen die Autoren des Berichts.
Unterstützung für Provenienzforschung
Sie empfehlen, dass das Bundesamt für Kultur seine Unterstützung für die Provenienzforschung – die Erforschung der Herkunft – zu menschlichen Überresten ausweitet und deutlich sichtbar macht, ergänzend zur Forschung zu während der Nazizeit geraubter Kunst und zu Kulturgütern aus kolonialen oder archäologischen Zusammenhängen.
Weiter wird die Einrichtung einer öffentlich zugänglichen Plattform empfohlen, auf der sich Menschen leicht darüber informieren können, ob sich die Überreste ihrer Vorfahren in Schweizer Sammlungen befinden.
Bereits im Jahr 2007 hatte die Uno-Vollversammlung die Rechte indigener Völker auf Zugang zu den Überresten ihrer Vorfahren bekräftigt und darauf, selbstbestimmt über diese verfügen zu dürfen. Ein Bericht des Uno-Menschenrechtsrats empfahl 2020 seinen Mitgliedsstaaten, mehr Transparenz über das Schicksal von Überresten indigener Vorfahren und die Möglichkeiten ihrer Rückgabe zu schaffen.
In diesem Zusammenhang intensivieren laut dem Bericht der Universität Lausanne auch die Schweizer Museen ihre Bemühungen um Provenienzforschung und Rückgabe. Angesichts des geringen Wissensstandes über menschliche Überreste in ihren Sammlungen seien diese Bemühungen zu unterstützen. (sda/vaz)
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