Selbstbetroffene setzt sich gegen Missbrauch in der katholischen Kirche ein
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Aufarbeitung
Schweiz

Selbstbetroffene setzt sich gegen Missbrauch in der katholischen Kirche ein

05.03.2024 19:36 - update 06.03.2024 06:25
Aliena Müller

Aliena Müller

Missbrauchsfälle sind in der katholischen Kirche ein grosses Thema. Das Bistum Basel veröffentlichte am Dienstag schockierende Zahlen. Vreni Peterer ist Selbstbetroffene und setzt sich für Opfer ein.

Vreni Peterer wurde im Alter von circa 10 Jahren von einem Pfarrer vergewaltigt. Heute setzt sich die 63-Jährige für Missbrauchsopfer ein und ist die Präsidentin der Interessengemeinschaft für missbrauchsbetroffene Menschen im kirchlichen Umfeld (IG M!kU). Eine von der Uni Zürich veröffentlichte Studie führte zu vielen Meldungen von Opfern. Auch das Bistum Basel verzeichnete seit der Pilotstudie einen Anstieg an Meldungen, Baseljetzt berichtete.

Für die Aufarbeitung, die momentan stattfindet, ist das Bistum Basel mit verschiedenen Hilfsorganisationen zusammengesessen. Eine davon ist die IG M!kU.

Triggerwarnung: Im folgenden Video wird eine Vergewaltigung beschrieben.

Mit ihrer Geschichte steht Vreni Peterer nicht alleine da. Wie sich später herausstellte, kam der Pfarrer bereits früher jungen Mädchen zu nahe. Und auch der Bruder von Vreni Peterer wurde vom selben Pfarrer vergewaltigt. Die Kirche und das Dorf schwiegen darüber, wie Peterer im Gespräch mit Baseljetzt schildert.

Im Interview äussert sich Vreni Peterer zu den aktuellen Entwicklungen in der katholischen Kirche in Bezug auf die Missbrauchsfälle und deren Aufarbeitung.

Baseljetzt: Vreni Peterer, das Bistum Basel hat in der Amtszeit von Bischof Felix Gmür 183 Meldungen zu mutmasslichen sexuellen Übergriffen erhalten, 92 davon nach der Veröffentlichung der Pilotstudie. Wie ist das zu werten?

Diese hohe Zahl verwundert mich nicht. Wir haben damit gerechnet und das mussten wir auch.
Bei den unabhängigen Meldestellen und Forschenden der Studie selbst haben sich über 150 Personen gemeldet und auch bei uns gingen über 50 Meldungen ein. Das zeigt, was diese Pilotstudie ausgelöst hat.

Wie wichtig ist diese Aufarbeitung?

Es ist einerseits vor allem für die Betroffenen extrem wichtig, dass sie (wenn sie möchten) jetzt Gehör finden können und andererseits müssen die Strukturen aufgedeckt werden, und das ist genau, was diese Forscher:innen machen – damit solche Dinge nicht mehr passieren.

Wie wertvoll war der Austausch der Bischofsrates mit der  IG-M!kU und dadurch mit den Betroffenen?

Es bedeutet viel, dass die Einladung vom Bistum kam und dieses von Betroffenen lernen und hören will. Dieser Austausch ist eine sehr wichtige Begegnung. Es war sehr eindrücklich und wir erhielten positive Rückmeldungen von den Teilnehmern. Die Gespräche hätten deutlich aufgezeigt, was solche Missbräuche mit den Betroffenen machen, wie Vertrauen bis ins hohe Alter dadurch zerstört werden kann.

Eine Kirche ohne Missbrauch als Ziel: Ist das möglich? Wie weit ist man davon entfernt?

Davon sind wir noch weit entfernt. Ich denke, wir sind erst an der Sensibilisierung. Es kommt zu einer Annäherung, Betroffene werden nicht mehr als Feinde gesehen, sondern als Menschen wahrgenommen.

Mir wurde bewusst, dass es für eine Veränderung mindestens einen Funken Hoffnung braucht.

Warum kommt es vor allem in der Kirche – nicht nur in der Schweiz, sondern auch weltweit – immer wieder zu Missbrauchsfällen?

Ich bin mir sicher, das liegt an den Machtstrukturen und auch am spirituellen Missbrauch, also dass Betroffene durch Druckausübung und Sätze wie «sonst kommst du in die Hölle» daran gehindert werden, zu sprechen. Es wird eine Vertrauensbeziehung aufgebaut und diese dann ausgenutzt. Dieser spirituelle Missbrauch ist der Nährboden für den sexuellen Missbrauch. Das wurde meiner Meinung nach lange Zeit vernachlässigt.

Gehen Sie noch in die Kirche?

Immer weniger, es fällt mir immer schwerer. Ich bin nicht aus der katholischen Kirche ausgetreten, weil ich finde, dass die Kirchengemeinschaft beispielsweise mit Seelsorge und Hospizen wertvolle Arbeit leistet.

Ausserdem will ich ein Stachel sein. Ich möchte ein Mitglied sein, dass die inneren Strukturen dieser Gemeinschaft kennt und sieht. Ich finde, das macht mich auch glaubwürdiger.

Interview: Pascal Kamber, Text: Aliena Müller

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