Stillstand in Basel  – ein Tag, der alle Beteiligten erschöpft zurücklässt
1. Mai
Basel-Stadt

Stillstand in Basel – ein Tag, der alle Beteiligten erschöpft zurücklässt

01.05.2023 18:59 - update 02.05.2023 16:28
Lea Meister

Lea Meister

Ordnungseinsätze, beispielsweise bei Demonstrationen, sind für alle Beteiligten anstrengend. So auch jedes Jahr am 1. Mai. Baseljetzt begleitete die Kantonspolizei Basel-Stadt am Montag. Ein Augenschein, der gewisse Fragezeichen hinterlässt.

Kurz nach 7 Uhr in der Früh scheint die Stadt Basel noch zu schlafen. Es regnet und die Strassen sind leer. Kaum vorstellbar, dass hier in wenigen Stunden so richtig etwas los sein soll. Während die meisten ihren freien Tag geniessen, bereiten sich die Polizist:innen der Kantonspolizei Basel-Stadt auf ihren bevorstehenden Einsatz vor. Mit dabei ist auch Tosca Stucki. Seit 21 Jahren arbeitet sie als Polizistin.

Stillstand in Basel  - ein Tag, der alle Beteiligten erschöpft zurücklässt
Tosca Stucki kurz vor dem Start ihres Einsatzes am 1. Mai. Bild: Lea Meister

Erfahrung hilft im Vorfeld solcher Einsätze auf jeden Fall. Die Vorbereitung ist aber dennoch subjektiv. «Ich überlege mir, was passieren könnte und bereite mich innerlich auf alle möglichen Szenarien vor», sagt Stucki. Dass es sich heute nicht um einen normalen Ordnungsdiensteinsatz handelt, spüren auch wir als Medienteam, welches die Polizei heute etwas näher als sonst begleiten darf.

9’000 Liter Wasser mit dabei

Im Polizeifahrzeug zum Einsatzort gibt Stefan Schmitt, Mediensprecher und langjähriger Polizist, Einblick in seinen grossen Topf an Erfahrungen. Angespannt sei man auf jeden Fall, da man ja oft nicht wisse, was auf einem zukomme an solch einem Tag. Angst sei bei ihm persönlich aber kein Thema. «Aber ein gesunder Respekt ist da.»

Stillstand in Basel  - ein Tag, der alle Beteiligten erschöpft zurücklässt
Stefan Schmitt ist heute Mediensprecher und hat langjährige Erfahrung im Ordnungsdienst. Bild: Lea Meister

Die Einsatzkräfte sind gut vorbereitet. Im Einsatz stehen Polizist:innen aus Basel-Stadt, dem Baselbiet, dem Aargau und Luzern. Die Luzerner brachten auch gleich ihren Wasserwerfer mit. 9’000 Liter Fassungsvermögen hat er und glänzt in einem hellen Blau. Basel-Stadt besitzt keinen eigenen. Man hofft, dass er später nicht zum Einsatz kommen muss.

Früher wurde noch gejasst

Die Besammlung am Morgen hat etwas von einem grossen Camp. Beim Verpflegungsstand werden die letzten Sandwiches und Wasserflaschen abgeholt; viele zieht es noch einmal aufs stille Örtchen, bevor es losgeht. Der Schweiss läuft schon vor dem Start des Einsatzes, denn die Ausrüstung wiegt mehrere Kilos.

Am Einsatzort angekommen, werden die Fahrzeuge an ihren jeweiligen Startposten abgestellt. «Früher haben wir hinten in den Autos gejasst, um Wartezeiten zu überbrücken», erzählt Schmitt und lacht. Heute unterhalte man sich oder beschäftige sich mit dem Handy.

Wenn plötzlich alles ganz schnell geht

Derweil kreist ein Polizeihelikopter über Basel. Noch immer ist es ruhig in der Stadt. Um 10 Uhr versammeln sich erste Demonstrierende im De Wette Park. Aufgeteilt in verschiedene Gruppen zieht der Demonstrationszug kurz vor halb 11 Uhr los. Ganz vorne laufen einige mit, die ihr Gesicht vermummt haben. Das violette Transparent zuvorderst scheint von hinten verstärkt worden zu sein, um vor Gummischrotgeschossen zu schützen.

Stillstand in Basel  - ein Tag, der alle Beteiligten erschöpft zurücklässt
Plötzlich setzte sich eine Polizeikette in Bewegung. Kurz darauf wurde der vordere Teil des Demonstrationszugs eingekesselt. Bild: Lea Meister

Und dann geht alles ziemlich schnell. Eine Polizeikette bahnt sich den Weg links am Demonstrationszug vorbei nach vorne, postiert sich dort und bleibt stehen. Die mit Gummischrot ausgerüsteten Polizist:innen sehen bedrohlich aus. Was genau passiert, weiss in diesem Moment niemand. Ein Passant spricht uns direkt an. Wir sollen nach vorne und filmen, was dort vor sich gehe. Demonstrant:innen seien eingekesselt worden.

Wir wechseln den Standort hin zum Bankverein, wo wir uns hinter der Polizei postieren. Wir wünschen uns einen anderen Blickwinkel. Unterdessen stehen Gitterfahrzeuge mitten auf der Strasse vor der Elisabethenkirche. Der vordere Teil des Demonstrationszugs wurde dort tatsächlich eingekesselt. Unter vielen Erwachsenen befinden sich laut Aussagen mehrerer Anwesenden und Bildern verschiedener Medien auch Minderjährige und Kinder.

Demonstration ohne Dynamik

Adrian Plachesi, Medienchef der Polizei, begründet die Einkesselung wie folgt: «Im vorderen Teil waren einige mit Schutzausrüstung ausgestattet.» Das oberste Ziel der Polizei sei am heutigen Tag aber das Ermöglichen einer friedlichen Demonstration.

Stillstand in Basel  - ein Tag, der alle Beteiligten erschöpft zurücklässt
Mit Gitterfahrzeugen wurde ein Teil der Demonstrierenden eingekesselt. Bild: Lea Meister

Eine Demonstration hat eigentlich etwas Dynamisches, sie ist stets in Bewegung und immer auch etwas unberechenbar. So weit kommt es heute Nachmittag in Basel nicht. Kaum in Bewegung gesetzt, wurde die 1. Mai-Demo gestoppt. Den Demonstrierenden wurde eine Alternativroute über einen kleinen Umweg angeboten, um am eingekesselten Teil vorbeiziehen zu können. Aus Solidarität wurde dieses Angebot der Polizei aber ausgeschlagen.

Ablösung herbeigesehnt

Hinter der Polizeiabsperrung haben sich unterdessen einige Menschen versammelt, die wissen wollen, was hier vor sich geht. Ein älterer Mann ruft den Polizisten vor ihm zu: «Jetzt händer zwei schwarzi Blöck, eine im Demo-Zug und dr anderi sin dir.»

Die Polizeikette steht seit einer gefühlten Ewigkeit in einer Reihe direkt hinter dem gelben Polizeiband nach der Tramhaltestelle der Linie 2 am Bankverein. Immer wieder hört man Beschimpfungen aus der Bevölkerung, Zurufe und Vorwürfe. Um 13.30 Uhr werden die Polizist:innen dann endlich abgelöst – nach guten zweieinhalb Stunden stramm stehen und Beschimpfungen über sich ergehen lassen. Ein dickes Fell schadet hier ganz bestimmt nicht.

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Die Polizist:innen verharrten mehrere Stunden in dieser Position direkt hinter dem Absperrband. Bild: Lea Meister

Auch das Nicht-Demonstrieren muss möglich sein

Für Aussenstehende ist indes nur schwer durchschaubar, was hier vor sich geht. Der öffentliche Verkehr in der halben Stadt ist lahmgelegt und die (bewilligte) Demonstration steht seit nunmehr vier Stunden still. Gleichzeitig ziehen in Städten wie Zürich oder Bern die Demo-Züge durch die Strassen. Es kommt dabei zu Sachbeschädigungen und später am Nachmittag wird dort auch Reizgas eingesetzt. In Zürich kommt ein Wasserwerfer zum Einsatz.

Stillstand in Basel  - ein Tag, der alle Beteiligten erschöpft zurücklässt
Der Wasserwerfer der Luzerner Polizei. Bild: Lea Meister

In Basel bleibt dieser ein Objekt der Einschüchterung. Weshalb Basel-Stadt einen derart anderen Kurs fährt als andere Städte, begründet Plachesi mit der Tatsache, dass man eben alles dafür tun wollte, eine friedliche Demo zu ermöglichen. Stefan Schmitt betont ausserdem die Wichtigkeit verschiedener Perspektiven: «Es muss genauso möglich sein, problemlos in der Stadt einkaufen oder spazieren zu gehen, wie zu demonstrieren.» Bei solchen Einsätzen ginge es also stets auch darum, das friedliche Miteinander aller zu ermöglichen und auch Leute zu schützen, die nicht für die Demonstration in die Stadt gekommen seien.

Lange Tage für alle Beteiligten

Immer wieder ruft die Polizei vor der Elisabethenkirche in Basel die Eingekesselten dazu auf, sich freiwillig für die Personenkontrolle anzustellen. Viele kommen der Bitte nach, über Stunden werden Kontrollen durchgeführt an Tischen, die einer Wand entlang aufgestellt wurden. Gegenüber können sich die Einsatzkräfte eine kleine Verpflegung abholen, sofern sie denn die Zeit dafür finden.

Tosca Stucki läuft uns nochmals kurz über den Weg. Es ist ca. 15 Uhr, sie kommt gerade zu ihrer ersten kurzen Pause seit Dienstbeginn vor 7 Uhr. Weiter hinten sucht das Dialogteam der Polizei immer wieder den Kontakt zur Bevölkerung, beantwortet Fragen, so weit wie möglich. Nerven aus Stahl braucht es auch in dieser Position, denn die wenigsten Gespräche verlaufen angenehm.

Stillstand in Basel

Um 15.30 Uhr greift die Polizei dann durch. Wer sich nicht freiwillig kontrollieren lässt, wird fortgetragen. Die angedrohten «polizeilichen Zwangsmassnahmen» werden eingesetzt. Ab und an ist ein Knall zu hören, wobei es sich wahrscheinlich um Gummischrotgeschosse handelt. Aus der Menge in der Einkesselung und auch von Einzelnen hinter der Polizeiabsperrung ist Entrüstung zu hören.

Stillstand in Basel  - ein Tag, der alle Beteiligten erschöpft zurücklässt
Die Polizei greift am Nachmittag durch. Die junge Frau au dem Bild muss von den Sanitätern vor Ort betreut werden. Vermutlich hat sie Reizgas abbekommen. Bild: Lea Meister

Auf Twitter kommuniziert die Kantonspolizei wie folgt: «Die verbliebenen Personen im Polizeikessel weigern sich, sich einer Kontrolle unterziehen zu lassen. Die Kantonspolizei wird die restlichen Personen nach mehrfacher Abmahnung nun der Personenkontrolle zuführen.» Gesagt getan.

Die Polizei hat sich eine friedliche Demonstration für die Stadt Basel gewünscht. Ein Grossteil der Demonstrierenden hätte dem wohl zugestimmt. Viel von einer Demo hat die Stadt Basel dann zumindest aber am Nachmittag nicht gesehen. Knapp 1’000 Menschen verharrten am Tag der Arbeit im unfreiwilligen Stillstand. Dieser Stillstand wird noch viele Fragen aufwerfen und in den kommenden Tagen zu reden geben.

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Stillstand für alle Beteiligten. Ohne Geduld wurde es an diesem Montag schwierig, egal, ob bei der Polizei, als Demo-Teilnehmer:in oder als Medienschaffende. Bild: Lea Meister

Bewegung nach endlos langer Wartezeit

In Zürich hat eine Gruppe zu einer unbewilligten Nachdemonstration aufgerufen. Die Stadtpolizei Zürich rät auf Twitter dringend davon ab, diese Demo zu besuchen. Ob es in Basel auch zu einer Nachdemonstration kommen wird? Kurz vor 18 Uhr konnte sich der Demonstrationszug Richtung Wettsteinbrücke in Bewegung setzen. Nach sieben Stunden Stillstand vor der Elisabethenkirche.

Erschöpft sind nach diesem Tag mit Sicherheit alle Beteiligten.

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Kommentare

Dein Kommentar

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02.05.2023 17:38

lusi

Danke für den Einsatz der Polizei
Sollten die Demonstranten sich korrekt verhalten, bräuchten wir dieses grosse aufgebot nicht mehr!
Der 1. Mai ist der Rag der Arbeit und nicht des Randalierens

3 0
02.05.2023 11:45

rothue

Einsatz der Polizei ist absolut gerechtfertigt. Bravo ans Team von Frau Eymann. Die in schwarz, vermummt sind schuld das der Marsch verweigert wurde von der KP. Zu dem hatte man die Chance einen anderen Weg einzuschlagen, wurde ab von den Anhänger verweigert, bez. die Unia hat abgeleht, also nicht klagen. Zu dem hat man schwarz gekleidete und vermummte Personen mitgenommen und sich von diesen nicht distanziert. Ich als Bürger demonstrierte auch aber ohne v
Verkleidung ich kann zeigen wär ich bin ob man das Gut findet oder nicht. Zeigt mal Charakter und Stiel. Meine Eltern sind nie in schwarzem Tenü auf dem Markplatz gestanden, damals waren es auch FRAUEN u. MÄNNER mit Stolz da musste man sich nicht verstecken.

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