
Streit auf Birsigparkplatz: Es wurde zugestochen – aber aus welchem Motiv?
David Frische
Nach einer Messerstecherei auf dem Birsigparkplatz vor vier Jahren sitzen seit Donnerstag drei Männer auf der Anklagebank. Der Hauptangeklagte gibt zu, zugestochen zu haben. Die Umstände sind aber unklar.
Juni 2021 um circa 1:30 Uhr auf dem Birsigparkplatz: Zwei Gruppen von Männern treffen aufeinander, es kommt zu Beschimpfungen und Gewalt. Am Ende liegen zwei Personen blutend und mit Stichverletzungen am Boden. Mindestens drei Männer verlassen den Ort.
Was war geschehen? Diese Frage versucht das Basler Strafgericht seit Donnerstag zu klären. In einem Prozess gegen drei angeklagte junge Männer rollt es die Ereignisse auf – vom Ursprung des Konflikts über die Auseinandersetzung bis zum blutigen Messereinsatz. Dem heute 24-jährigen Angeklagten wird mehrfache versuchte schwere Körperverletzung vorgeworfen, den beiden anderen Beschuldigten legt die Staatsanwaltschaft zur Last, andere Männer angegriffen zu haben.
Eine ausführliche Vorschau auf den Prozess findest du hier:
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Angeklagter gibt Messerstich zu
Der Hauptangeklagte D.S.* gab an der Hauptverhandlung vor Gericht zu, dass er auf einen der zwei Männer eingestochen habe – nur der Grund für den Messereinsatz ist unklar. Denn über die Ereignisse in besagter Nacht erzählen die drei Beschuldigten eine andere Version als eines der beiden mutmasslichen Opfer. Der zweite durch Messerstiche verletzte Mann will nicht am Strafverfahren teilnehmen und machte deshalb keine Aussagen.
Während die drei Angeklagten sagen, dass der Streit vom mutmasslichen Opfer B.D.* ausgegangen sei, sieht dieses es genau umgekehrt. Die Parteien beschuldigen sich gegenseitig. Ursprung des Konflikts soll ein verweigerter Handschlag in der Steinenvorstadt gewesen sein – bedingt durch eine mutmassliche Eifersuchtsgeschichte mit einer Frau, die beide Parteien kannten.
Er habe aus Notwehr gehandelt
Fakt ist: Die drei Angeklagten und die beiden mutmasslichen Opfer trafen sich zu später Stunde auf dem Birsigparkplatz – beide Seiten in Begleitung von Kollegen. Dabei ist aber bereits unklar, wie viele Personen anwesend waren, die Angaben dazu variieren. Ebenso ist umstritten, was danach geschah. Wer hat wen angegriffen und weshalb? Der Hauptbeschuldigte D.S. will aus Notwehr gehandelt haben, da sein Kontrahent B.D. auf ihn losgegangen sei. Es sei ein Moment der Angst und Überforderung gewesen. «Es ging alles in Sekundenschnelle», so D.S. Er habe sich bedroht gefühlt, sein Schweizer Taschenmesser gezückt und B.D. gezielt in den Oberschenkel gestochen.
Die beiden anderen Angeklagten im Alter von 24 und 26 Jahren gaben vor Gericht an, keinen Streit und keine tätliche Auseinandersetzung gesucht zu haben – im Gegenteil: Sie hätten versucht, schlichtend einzugreifen und die Streithähne zu trennen. Sie seien mit dem Hauptbeschuldigten mit der Absicht auf den Birsigparkplatz gegangen, die offenbar offene Angelegenheit mit B.D. zu klären, sagten sie aus.
Mutmassliches Opfer: «Es kam von allen Seiten»
Ganz anders lautet die Version des mutmasslichen Opfers der Messerstiche: B.D. sieht im Hauptangeklagten D.S. den Aggressor. Man habe sich nach einem Telefonat auf dem Birsigparkplatz getroffen, um zu reden. Doch dann sei die Situation schnell zu einer Schlägerei eskaliert, in welcher er unter die Räder gekommen sei. Mehrere Männer hätten mehrfach auf ihn «eingeschlagen» und «eingetreten». «Ich habe versucht mich zu verteidigen, aber es kam von allen Seiten.» Als er zu Boden ging, sei auf ihn eingestochen worden. Kurz darauf hätten er und seine Kollegen bemerkt, dass auch auf einen seiner Freunde eingestochen worden war, ebenfalls in den Oberschenkel. Die gegnerische Gruppe habe das Weite gesucht.
B.D. trug nebst der Stichverletzung im Oberschenkel mehrere Prellungen davon. Zudem habe er immer wieder Flashbacks aus jener Nacht und leide bis heute unter den psychischen Folgen des Erlebten. Er tritt im Verfahren als Privatkläger auf.
Richter: «Alle sagen, dass sie schlichten wollten»
Weitere Zeugen, die bei der Auseinandersetzung in jener Nacht dabei waren, beschreiben die Szenen als chaotische Massenschlägerei. Folglich konnte vor Gericht niemand der Beteiligten sagen, wer auf das zweite mutmassliche Opfer, das nicht am Verfahren teilnimmt, eingestochen hatte. Ebenso ist umstritten, was der Grund für den Messereinsatz war. «Alle sagen, dass sie schlichten wollten», fasste Gerichtspräsident Dominik Kiener an der Verhandlung die Situation zusammen.
So muss das Gericht am Ende die Glaubwürdigkeit der widersprüchlichen Aussagen abwägen. Dass die Ereignisse in jener Juni-Nacht äusserst unübersichtlich sind, zeigt auch die Tatsache, dass das Gericht im Laufe des ersten Prozesstages entschied, die Sache auch unter dem Straftatbestand des Raufhandels zu prüfen. Dabei handelt es sich um eine Schlägerei zwischen mindestens drei Personen.
Zwei der drei Angeklagten sind türkische Staatsbürger. Im Falle einer Verurteilung steht für sie auch ein Landesverweis im Raum.
Beschuldigter verstrickt sich in Widersprüche
Der Hauptangeklagte ist zudem wegen weiterer Straftaten angeklagt. Er soll unter anderem gefälschte Covid-Tests und Impfzertifikate verkauft sowie mehrere Verkehrsdelikte begangen haben. D.S. fiel im Laufe der Befragung immer wieder mit widersprüchlichen Aussagen auf. Das könnte beim Gericht zumindest Zweifel an seiner Glaubwürdigkeit aufkommen lassen.
Am Freitag geht der Prozess mit den Plädoyers von Staatsanwaltschaft, Verteidigung und dem Vertreter des Privatklägers weiter. Baseljetzt wird vor Ort sein und berichten. Das Urteil wird am Montag erwartet. Für alle Beteiligten gilt die Unschuldsvermutung.
*Namen von der Redaktion geändert
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