
«Viele entscheiden sich dagegen»: Der Weg zum Psychotherapeuten ist teuer
Leonie Fricker
Immer mehr Schweizer:innen kämpfen mit psychischen Problemen. Oft warten sie lange auf einen Therapieplatz. Mehr Therapeut:innen könnten die Situation entschärfen, doch für viele ist die Ausbildung nicht attraktiv.
Die Klimakrise, Coronapandemie und der Krieg haben ihre Spuren hinterlassen. Der Bedarf an psychotherapeutischer Hilfe in der Schweiz steigt. Gleichzeitig sind Therapieplätze laut dem Verband der Psychotherapeutinnen so knapp wie noch nie. Menschen, die Unterstützung bräuchten, warten monatelang auf einen Therapieplatz. In Basel-Stadt gibt es derzeit rund ein Prozent freie Plätze, die Wartezeit beträgt neun bis zwölf Monate.
Wer sich weiterbildet, braucht Zeit und Geld
Gäbe es mehr Therapeut:innen, könnte das die Lage entschärfen. Doch wer sich zum Psychotherapeuten ausbilden lassen will, stösst auf viele Hürden. Eine wichtige Rolle spielen dabei die hohen Kosten für die Weiterbildung nach dem Studium. Je nach Fachrichtung müssen zwischen 40’000 und 70’000 Franken aus der eigenen Tasche bezahlt werden.
Hinzu kommt, dass die Weiterbildung berufsbegleitend vier Jahre dauert. Nach fünf Jahren Studium eine lange Zeit, findet Psychologiestudent Enea Carluccio. Der 26-Jährige schliesst im Herbst sein Masterstudium an der Universität Basel ab. Seine Ausbildung zum Psychotherapeuten will er im Januar starten. Läuft alles rund, ist er im Alter von 30 Jahren fertig ausgebildet.
«Dass ich nach dem Gymnasium noch neun Jahre anhängen muss, war mir damals nicht so ganz bewusst», sagt Carluccio. Vor dem Studium habe er sich kaum Gedanken gemacht, welche Kosten auf ihn zukommen. Wenn er im nächsten Jahr die Weiterbildung anfängt, darf er mit einem Monatslohn von 4’000 Franken rechnen. Davon muss er auch die Weiterbildung zahlen. Für ihn heisst das, weiterhin in einer WG wohnen und «wie ein Student» leben.
Hohe Kosten, geringer Lohn
Dass man als angehende Psychotherapeutin Geduld und das nötige finanzielle Polster braucht, weiss auch Jessica Doll. Noch in diesem Jahr wird sie ihre Weiterbildung abschliessen. Lange hat sie aus finanziellen Gründen bei ihren Eltern gewohnt. Erst als sie mit ihrem Partner zusammenzog, konnte sie ausziehen und sich eine eigene Wohnung leisten. Sie habe «Glück gehabt», andere seien darauf angewiesen, sich Geld zu leihen oder ein Stipendium zu bekommen.
Denn Semestergebühren, Einzelsupervision und Selbsterfahrung kosten sie rund 12’500 Franken im Jahr. «Je nachdem, wo man angestellt ist, ist das etwa ein Viertel des Jahresgehalts», rechnet Doll vor. Sie lege jeden Monat viel Geld auf die Seite, um die Rechnungen bezahlen zu können.
SP-Grossrätin fordert Subventionen
Dass die Weiterbildung für angehende Psychotherapeut:innen so teuer ist, will SP-Grossrätin Amina Trevisan ändern. Denn die hohen Kosten würden dazu führen, dass viele aus finanziellen Gründen auf die Weiterbildung verzichten und damit der psychotherapeutischen Versorgung verloren gehen. Sie fordert deshalb eine stärkere Subventionierung für Assistenzpsychotherapeut:innen.
Derzeit gebe es nämlich Ungleichheiten bei der Subventionierung, sagt Trevisan. Wenn Assistenzärzt:innen – beispielsweise im psychiatrischen Bereich – eine Weiterbildung absolvieren, seien sowohl der Lohn als auch die finanzielle Unterstützung besser. Dies müsse unbedingt angeglichen werden.
Chancengleichheit für Interessierte
Institutionen wie Spitäler oder Kliniken, die Weiterbildungsplätze für angehende Therapeut:innen anbieten, müssten vom Kanton finanziell unterstützt werden, fordert die SP-Politikerin. Lediglich die Semestergebühren in Höhe von 850 Franken sollen bestehen bleiben. Das sei fair und biete allen die Chance auf eine Therapieausbildung – unabhängig von deren sozialer Herkunft. «Mit der Übernahme der Ausbildungskosten können wir auch eine grössere Vielfalt unter den Psychotherapeutinnen generieren.»
Die SP-Politikerin hat zu ihren Anliegen bereits im April einen Vorstoss eingereicht, im September folgt eine Motion mit konkreten Forderungen. Der im Frühjahr eingereichte Vorstoss wurde von der Basler Regierung noch nicht beantwortet. Zusammen mit der Motion wird das Geschäft voraussichtlich im Herbst im Parlament behandelt.
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seppertonni
Gut, dass diese Thematik publik wird. Ich „musste“ mich für ein anderes Studium entscheiden, weil mir Gottseidank rechtzeitig bewusst wurde, dass meine Finanziellen Möglichkeiten nie und nimmer reichen würde ohne eine Bank auszurauben
spalen
es ist traurig, wenn wir aufgrund von finanziellem druck zuwenig fachpersonen ausbilden – das wirkt wie ein versteckter numerus clausus.