Niedrige Preise, aggressives Marketing und unglaubliche Rabatte: Das ist Temu. Die Billig-Shopping-App aus China ist umstritten, wird in der Schweiz aber immer beliebter. Ein Erfahrungsbericht einer Userin.

Ein Top für 3.99 Franken, ein Kamerastativ für 4.19 Franken oder ein Epilierer für 10.29 Franken. Das sind nur einige der vielen unglaublichen Angebote auf Temu. Die E-Commerce-Plattform ist bekannt für ihre enorme Auswahl an Produkten und ihre unschlagbar tiefen Preise.

Die Nutzung von Temu ist aus verschiedenen Gründen kontrovers und sorgt immer wieder für viel Kritik. Von schlechter Qualität über illegale Produkte bis hin zur schlechten Klimabilanz – viele Leute sind besorgt und rufen immer wieder zu einem Boykott der App auf. Trotz allem scheint Temu jedoch grosse Erfolge in der Schweiz zu feiern. Mit einem geschätzten Umsatz von 350 Millionen Franken hat sich die Plattform zweifellos als eine Grösse im Online-Handel etabliert.

Eine Temu-Userin im Interview

Lia (*Name geändert) aus Basel ist eine von vielen, die die App trotz viel Kritik weiterhin nutzt. Die 28-Jährige erzählt im Interview mit Baseljetzt, weshalb sie so häufig bei Temu shoppt.

Baseljetzt: Wie oft bestellst du bei Temu?

Lia: Ich habe vor ein paar Monaten das erste Mal bei Temu eingekauft und kehre seither regelmässig auf die App zurück. Ich kaufe mittlerweile viele Kleider, aber vor allem auch Deko und Haushaltgeräte dort ein.

Deine Erfahrung mit der App sind also meist positiv?

Bis jetzt sind alle Produkte angekommen und waren immer in einem super Zustand. Ein paar Mal sind Produkte ein paar Tage später als geplant angekommen – das ist aber kein grosses Problem. Im Gegenteil: Ich habe vom Kundenservice dann sogar einen extra Gutschein erhalten. Natürlich merkt man bei gewissen Dingen, dass die Qualität nicht die beste ist, aber das passiert mir auch wenn ich beispielsweise bei H&M einkaufe. Dort bezahle ich dafür aber doppelt so viel.

Was macht Temu so attraktiv?

Ganz klar der Preis. Das ist besonders wichtig für mich, da ich als Studentin ein begrenztes Budget habe. Dazu kommt, wie immer beim Online-Shopping, die Bequemlichkeit. Oft finde ich auf Temu aber einfach auch viel schönere Dinge, die ich sonst auf keiner anderen Website finde. Sie gehen sehr schnell mit den Trends mit, auch das macht die Produkte attraktiv.

Bekommst du mit, dass Temu von vielen Seiten stark kritisiert wird?

Natürlich. In meinem Umfeld wird darüber gesprochen und auch auf Instagram oder Tiktok gibt es viele kritische Videos.

Hältst du die Kritik für nicht gerechtfertigt oder weshalb shoppst du trotzdem auf der Plattform?

Ja und nein. Wie gesagt, hatte ich nie Probleme mit defekten Produkten oder «Päckli», die nicht ankamen. Diese Kritik kann ich also überhaupt nicht verstehen. Da ist aber jede Erfahrung anders und es kann gut sein, dass andere Personen auch mal schlechte Produkte erhalten haben. Man muss bei diesen Apps natürlich mit einem gewissen Menschenverstand einkaufen, Reviews und Beschreibung lesen und die Bilder genau anschauen.

Auf der anderen Seite verstehe ich die Kritik, dass Plattformen wie Temu beispielsweise Fast-Fashion unterstützen und damit nicht gut fürs Klima sind. Über diesen Punkt denke ich immer wieder nach und fühle mich auch immer wieder etwas schuldig. Trotzdem überwiegt dann der Gedanke, dass ich alleine die Klimakrise nicht lösen kann. Wenn ich dort nicht einkaufe – tut es jemand anderes. Ausserdem sehe ich nicht ein, wie Temu schlechter ist für die Umwelt als jedes andere Unternehmen, das seine Ware quer durch die Welt fliegt.

Das Klima ist ja nur ein Punkt von vielen. Da gibt es beispielsweise auch noch die Frage der Sicherheit. Viele der Produkte sind nämlich in der EU illegal, da sie nicht richtig getestet und zertifiziert sind. Macht dir das keine Angst?

Das wusste ich ehrlich gesagt nicht. Aber nein, Angst macht mir das nicht wirklich. Soviel ich weiss, werden auf Temu Produkte angeboten, die sonst in der genau gleichen Ausführung in Läden in Europa oder in der USA verkauft werden. Ich kann mir nicht vorstellen, das ich wegen einer Hose von Temu etwa plötzlich an Krebs erkranke. Meiner Meinung spielt da auch etwas Angstmacherei mit. Und auch hier: Man braucht einen gesunden Menschenverstand und dann kauft man schon nichts, was gefährlich sein kann. Ich würde beispielsweise einem Kind keinen «Nuggi» von dort kaufen. Da bin ich dann schon vorsichtiger.

Wieso bei Kindern und nicht bei dir selbst? Dir können Schadstoffe in den Produkten ja auch schaden.

Bei einem selbst ist man da einfach weniger vorsichtig. Ausserdem bin ich sowieso umzingelt von Dingen, die mir schaden könnten. Wie gesagt, ich sehe keinen Unterschied zwischen Produkten von Temu oder anderen günstigeren Produkten, die auch in China hergestellt werden.

Musst du dich oft für deine Einkäufe bei Temu rechtfertigen?

Ja, immer wieder. Wenn man mich beispielsweise fragt, woher ich meine neue Hose habe, bin ich immer unsicher, ob ich die Wahrheit sagen soll.

Wie gehst du damit um?

Mittlerweile ist mir das recht egal. Natürlich nervt es, aber das ist nun mal so. Manchmal muss ich auch lachen, wenn anderen Moralapostel spielen. Nobody’s perfect und wir alle tun Dinge, kaufen Dinge und benutzen Dinge, die nicht immer 100 Prozent in Ordnung sind. Ich halte anderen schliesslich auch keinen Vortrag über das Klima, wenn sie mir von ihren Ferien erzählen.

Trotzdem gibst du dieser Interview unter einem anderen Namen. Schämst du dich also trotzdem dafür, bei Temu einzukaufen?

Wie gesagt, fühle ich mich manchmal etwas schlecht. Aber nein, ich schäme mich nicht. Ich will einfach meine Erfahrungen und Gedanken teilen, ohne später 50 Whatsapp-Nachrichten zum Thema zu erhalten.

*Name geändert