Viel Erfolg trotz harscher Kritik: Ist Temu wirklich so problematisch?
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Viel Erfolg trotz harscher Kritik: Ist Temu wirklich so problematisch?

30.03.2024 09:05 - update 30.03.2024 11:31
Larissa Bucher

Larissa Bucher

Die Billig-Shopping-App Temu erobert die Schweiz gerade im Sturm. Die Qualität und Herstellung der Produkte, sowie das Geschäftsmodell sorgen jedoch für viel Kritik. «Darf» man trotzdem noch bei Temu bestellen?

Niedrige Preise, aggressives Marketing, unglaubliche Rabatte und gratis Produkte: Das ist Temu, eine aufstrebende E-Commerce-Plattform, die sich zweifellos als eine Grösse im Online-Handel etabliert hat. Doch hinter der glänzenden Oberfläche dieser beliebten Website verbirgt sich eine Vielzahl von Problemen.

Eine breite Auswahl an Produkten

In den vergangenen Jahren hat sich die Art und Weise, wie wir einkaufen, extrem verändert. Traditionelle Einzelhändler wurden von Online-Plattformen verdrängt und der Fokus der Kundschaft hat sich auf E-Commerce-Apps verschoben. Diese bieten ein breites Spektrum an Produkten und Dienstleistungen an. Beispiele dafür sind Websites und Apps wie Shein oder eben Temu.

Temu ist eine chinesische E-Commerce-Plattform, die es Verkäufer:innen ermöglicht, ihre Produkte online anzubieten, und damit Kund:innen eine breite Auswahl an Artikeln zum Kauf bietet. Hauptattraktionen der Plattform sind die enorme Auswahl an Produkten und die tiefen Preise. Von Kleidung über Elektronik bis hin zu Lebensmitteln ist alles mit dabei. Und das zu einem unschlagbar tiefen Preis.

Grund zur Besorgnis ist dabei die Balance zwischen Quantität und Qualität. Denn während die Plattform eine enorme Vielfalt an Artikeln anbietet, fehlt es oft an Transparenz bezüglich der Herkunft und Qualität dieser Produkte. Kunden sehen sich häufig mit minderwertigen oder sogar gefälschter Ware konfrontiert, was die Glaubwürdigkeit und das Vertrauen in die Plattform untergräbt.

Wie kann Temu die Produkte zu so tiefen Preisen anbieten?

Temu bietet Produkte zu niedrigen Preisen an, indem sie direkte Partnerschaften mit Herstellern und Grosshändlern eingehen und von effizienten Logistik- und Lagerhaltungssystemen profitieren. Das heisst konkret: Die Ware wird direkt aus der Fabrik geliefert. Temu spart sich dadurch Kosten für eigene Lager und Geschäfte und gilt «nur» als Marktplatz.

Illegale Produkte und gefährliche Schadstoffe

Dazu kommt, dass viele der auf der Plattform angebotene Produkte in der EU illegal sind. Sie enthalten häufig verbotene Schadstoffe oder entsprechen den gesetzlichen Sicherheitsanforderungen nicht. Die Deutsche Sendung «Servicezeit» testete einige Produkte von Temu und war schockiert ab den Resultaten: Ein Autotüröffner, der auf einer in Deutschland verbotenen Militärfrequenz funkt, ein Smoothie-Gerät, bei dem das Messer ungeschützt eingeschaltet werden kann oder ein Dampfgarer, der keine Schutzleiter im Stecker hat, was zu Stromschlägen führen kann.

Auch «PULS Reportage» testete Produkte und fand den Schadstoff DBP in den Knöpfen von Poloshirts. Und das in einer Dosis, die vierzigfach über dem europäischen Grenzwert liegt. DBP senkt bei Männern den Testosteronspiegel, reduziert die Anzahl der Spermien und kann bei Schwangeren sogar dem ungeborenen Kind schaden.

Das alles wirft Fragen hinsichtlich der Qualitätssicherung und der Einhaltung gesetzlicher Vorschriften auf. «Es kann nicht sein, dass ein Schweizer Händler Giftstofftests machen und jegliche Vorschriften einhalten muss und Temu sich dem einfach entzieht», sagt Bernhard Egger, Geschäftsführer vom Handelsverband, gegenüber Baseljetzt. Verbraucher, die Produkte auf Temu kaufen, könnten also unwissentlich gefährliche oder gesetzeswidrige Artikel erhalten, was ein ernsthaftes Risiko für ihre Gesundheit und Sicherheit darstellt.

So viel Umsatz macht Temu

Alleine in der Schweiz machte Temu im ersten Jahr schätzungsweise einen Umsatz von 350 Millionen Franken. In den USA konnte die Plattform sogar bereits die ersten Prozente Marktanteil für sich gewinnen. Ein Mitspielen im landeseigenen Markt ist auch in der Schweiz das Kernziel.

Hinter Temu steckt übrigens der chinesische Online-Handel-Gigant Pinduoduo (PDD). Dieser finanziert die Billig-Strategie der Plattform. Laut Bernhard Egger muss man sich bei den Umsatzzahlen aber auch fragen: Welche Rolle spielt der chinesische Staat bei der Finanzierung von Temu und inwiefern wird die Plattform als politisches Mittel eingesetzt, um eine Machtrolle im internationalen Kommerz aufzubauen.

Plagiatsvorwurf – wem gehört das Produkt?

Das ist aber nicht alles: Neben Sicherheit und Qualität wirft Temu auch Fragen bezüglich Wirtschaftsethik auf, sagt Egger: «Die grosse Frage ist, wem gehört urheberrechtlich die Ware, die verkauft wird.» Viele der Produkte seien nämlich in Wahrheit Plagiate.

Das funktioniert so: Eine europäische Firma produziert beispielsweise T-Shirts bei einem chinesischen Produzenten. Sie liefert Design, Schnitt, Material und alles nötige an den Produzenten. Dieser produziert mit dem Material 110’000 Shirts statt der nur 100’000 bestellten Exemplare – es kommt also zu einer Überproduktion.

Für den chinesischen Produzenten gehören die restlichen 10’000 Shirts nun ihm. «Somit hat er keine extra Kosten, die anfallen und kann die übrigen T-Shirts billig auf Plattformen wie Temu verkaufen», erklärt Egger. Die Chinesen würden das Wort Plagiat in ihrer Wirtschaftsethik nämlich nicht kennen. Für sie sei es etwas Positives, dass sie sparsam mit dem Material umgegangen sind und somit extra T-Shirts produzieren konnten.

Schweiz hat keine Exekutivmacht

Beim Verkauf in der Schweiz tritt dann direkt das nächste Problem auf. «Temu bezahlt keine Mehrwertsteuer oder Ertragsteuer und deklariert und versteuert die Ware nicht sauber», meint Egger. Auch hier sieht der Experte ein grosses wirtschaftsethisches Problem. Denn: Würde sich eine Schweizer Firma so verhalten, hätte das schon längst fatale Folgen gehabt. Plattformen wie Temu verstecken sich jedoch erfolgreich dahinter, dass sie «nur» ein sogennanter Online-Marktplatz sind, auf welchem verschiedene Drittanbieter ihre Produkte anbieten. Die Regierung sie somit juristisch nicht belasten.

Aber kann die Schweiz denn wirklich nichts gegen Plattformen wie Temu unternehmen? Ja und nein, sagt der Experte. «Es wäre ein riesen Aufwand, wenn die Schweiz die Millionen ‘Päckli’ von Temu kontrollieren müsste. Aber: Sie könnten Stichproben machen, wie sie es sonst auch bei anderen Produkten tun.» Wird bei den Stichproben ein Problem vorgefunden – beispielsweise eine fehlende Zertifizierung – müsse die Regierung durchgreifen und die App gesetzlich sperren lassen. Grundsätzlich gelte jedoch: Es ist keine Schweizer Firma, also ist der Spielraum der Schweizer Behörden relativ klein.

Ein Hoffnungsschimmer bleibt laut Egger jedoch bestehen. «Ab 2025 kommt die Plattformbesteuerung in die Schweiz. Auch eine asiatische Firma muss dann Mehrwertsteuer bezahlen. Tut sie das nicht, kann die Regierung ihre Produkte zerstören.» Damit hätten die Behörden zum erstem Mal eine Exekutivmacht.

Die Zukunft für Schweizer Händler

In Zukunft wird erwartet, dass Websites wie Temu weiterhin eine zentrale Rolle im Einzelhandel spielen werden. «Solche Plattformen wird es immer wieder geben», sagt Egger. «Sie poppen schnell auf – vielleicht unter einem anderen Namen, aber das Konzept dahinter bleibt immer das gleiche.» Denn mit der zunehmenden Digitalisierung und dem Wandel der Einkaufsgewohnheiten hin zum Online-Shopping werden E-Commerce-Plattformen immer wichtiger.

«Vor fünf Jahren sagte man, Amazon würde den Schweizer Markt kaputt machen – heute hat Amazon einen Qualitätsstandard erreicht», erklärt Egger. Der Markt sei also stetig im Wandel. In Zukunft müssten sich Schweizer Online-Shops abheben, um ihr Überleben zu sichern. «Sie müssen nachweisen können, dass ihr Produkt besser, nachhaltiger und sicherer ist.» Nur dann haben sie eine Chance.

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Kommentare

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30.03.2024 10:20

XxX84

Ist alles das Gleiche: Amazone, Pearl, Apfelkiste und Temu. Aber mal ehrlich, die bekannten Firmen wie Media Markt usw. beziehen vieles auch aus China, nur teurer, weil man die Marke bezahlt.🤷‍♂️

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