
Vor 50 Jahren verhinderte ein Massenprotest das AKW in Kaiseraugst
Baseljetzt
Am 1. April 1975 besetzten Aktivist:innen das Gelände des geplanten Atomkraftwerks Kaiseraugst im Kanton Aargau. Mit Erfolg: Es entstand eine Volksbewegung, die schliesslich zum Verzicht auf das Projekt führte.
Es war ein kalter Osterdienstag, als rund 500 Gegner:innen der Atomkraft das Gelände vor den Toren Basels besetzten. Mit der Aktion verhinderten sie, dass die kurz zuvor überraschend aufgenommenen Aushubarbeiten für das geplante Atomkraftwerk Kaiseraugst fortgeführt werden konnten.
Erinnerungen an eine besondere Zeit
Ruedi Eggima, ehemaliger Aktivist, war 1975 in Kaiseraugst vor Ort und besetzte das Gebiet. Die Stimmung sei gut gewesen, sagt er gegenüber Baseljetzt. «Am frühen Morgen war es sehr kalt. Es waren etwa gleich viele Menschen wie jetzt da, etwa 30. Es war sehr friedlich», so Eggima. Es habe eine grosse Hütte gegeben, wo man auch gekocht habe. Dahinter habe es Baracken für die Nachtwache gegeben.
Die Besetzung dauerte insgesamt elf Wochen. Mit dabei war auch Anita Fetz. Die spätere Basler SP-Ständerätin war damals noch im Gymnasium. «Die Bedingungen meiner Eltern waren keine Gewalt und nicht in der Schule nachzulassen. Sonst hätte es einen Abbruch gegeben», so Fetz. Das Versprechen habe sie halten können.
Die Geburtsstunde der Anti-AKW-Bewegung
Es war die Geburtsstunde der Anti-AKW-Bewegung in der Schweiz. Aus der Besetzung erwuchs eine Volksbewegung, die nicht nachliess. Unter dem Eindruck der Atomkatastrophe in Tschernobyl im April 1986 setzte sich die Einsicht auch in der Politik durch, dass sich der Bau eines neuen AKW nicht durchsetzen liess. Im Herbst 1988 wurde das Projekt zu Grabe getragen.
Am Dienstag blickten Zeitzeugen des Widerstands auf dem Gelände auf die erfolgreiche Bewegung zurück. Am Samstag ist in Basel ein Gedenkanlass zum 50. Jahrestag geplant.
Gewaltfreier Protest gegen das AKW
Peter Scholer, Mitgründer der damaligen Gewaltfreien Aktion Kaiseraugst und graue Eminenz der Anti-AKW-Bewegung, liess am Dienstag vor Ort die Umstände, die zur Besetzung geführt hatten, Revue passieren. Man habe die Besetzung streng unter dem Gesichtspunkt der Gewaltfreiheit im Voraus trainiert und stets Ausschau gehalten, wann die ersten Bagger auffahren, sagte er.
Vor Ostern 1975 sei es so weit gewesen. Das Gelände wurde am Osterdienstag besetzt, Aktivistinnen und Aktivisten hätten sich auf die Bagger gesetzt, ein Besetzerdorf sei aufgebaut worden – mithilfe der Bevölkerung und der Bauern aus der Umgebung. Elf Wochen habe man ausgeharrt, bis der damalige Bundesrat und Energieminister Willi Ritschard Verhandlungen vorschlug.
1988 ein Schlussstrich gezogen
1986 kam es dann zur Reaktorkatastrophe in Tschernobyl und zu einem Bewusstseinswandel weg von der Atomkraft. 1988 wurde das AKW in Kaiseraugst, ausgelöst durch bürgerliche Motion in den eidgenössischen Räten unter der Ägide von Christoph Blocher, schliesslich beerdigt.

Andreas Fischer, Präsident der Vereins «Nie wieder Atomkraftwerke» (NWA) bekundete als «Nachgeborener» mit Jahrgang 1977 seine Dankbarkeit gegenüber den damaligen Aktivistinnen und Aktivisten. «Ich bin euch ewig dankbar, dass ich in Füllinsdorf nicht unter Kühltürmen aufwachsen musste», sagte er.
Kaiseraugst sei der erste Baustein für den Ausstieg aus der Atomenergie gewesen, der in der Politik leider wieder hinterfragt werde, sagte er. Es gehe darum, mit allen verfügbaren Mitteln die Förderung der erneuerbaren Energien zu fördern sowie die Abschaltung der veralteten Atomkraftwerke zu erwirken.
AKW-Befürworter: «Ich war enttäuscht»
Aber nicht alle haben die Besetzung als positiv erachtet. «Ich war enttäuscht, dass so etwas passieren kann in der Schweiz. Dass ein rechtskräftiges und bewilligtes Projekt nicht realisiert werden kann, weil das Gelände besetzt ist», erklärt Ulrich Fischer, damaliger Direktor der AKW Kaiseraugst AG und damit Gegenpart der Besetzerinnen und Besetzer. Es sei eine Erfahrung gewesen, die man in der Schweiz so noch nie hatte. Ulrich Fischer vertrete noch immer seine Meinung von damals. So brauche es die Kernenergie, um den gesamten Strombedarf langfristig zu decken.
Es war ein Protest, der die Geschichte verändert hat. Was damals in Kaiseraugst begonnen hat, war der Startpunkt für eine Anti-Atomkraftbewegung in der Schweiz. Und auch heute, 50 Jahre später, bleibt die Frage: Wie soll unsere Energiezukunft aussehen? Zum 50. Jahrestag der Besetzung von Kaiseraugst fordert die NWA Schweiz einen Fahrplan für die Abschaltung der Atomkraftwerke, Förderung erneuerbarer Energien und Umleitung von Forschungsgeldern in diese Bereiche.
(jeg/sda)
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