«Wer aus schwächeren Verhältnissen kommt, dem wird das Studium erschwert»
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Langzeitstudierende
Basel-Stadt

«Wer aus schwächeren Verhältnissen kommt, dem wird das Studium erschwert»

09.05.2023 18:49 - update 10.05.2023 11:46
Larissa Bucher

Larissa Bucher

Von der Gesellschaft als faul abgestempelt und an den Hochschulen unerwünscht: Langzeitstudierende haben auf ihrem Weg zum Abschluss mit einigen Problemen zu kämpfen. Nun sollen weitere hinzukommen.

Es ist ein Vorschlag, der hohe Wellen schlägt: Wer länger studiert und erst später ins Berufsleben einsteigt, soll länger arbeiten. Dieses neue AHV-Modell aus der Mitte-Fraktion prüft jetzt der Nationalrat. Für Valentin Messmer, Präsident der Studierendenvertretung der Uni Basel «Skuba», ist das völlig unverständlich und diskriminiert sogenannte Langzeitstudierende: «Die Studierenden arbeiten neben dem Studium und befinden sich bereits im Arbeitsmarkt. Hier ein System einzuführen, das eine bestimmte Gruppe von Studierenden einseitig diskriminiert, ist für uns nicht nachvollziehbar und empörend.»

Für die «Skuba» ist klar: Dieses Modell steht für eine Verletzung des Rechts auf Bildung in der Schweiz. «Die Menschen haben ein Recht auf Bildung. Der Staat hat dies zu gewährleisten.»

Ein Kampf um Bildung

Doch das Postulat ist nur der jüngste von vielen Steinen, die Langzeitstudierenden in den Weg gelegt werden. «Manchmal hat man das Gefühl, dafür bestraft zu werden, dass man sich weiterbilden will», meint eine Studentin aus Basel. «Vor allem, wenn man aus sozioökonomisch schwächeren Verhältnissen kommt, wird einem das Studium erschwert.» Längeres Studieren sei also kein Zeichen von Faulheit, sondern ein Kampf um Bildung.

Die 26-Jährige absolviert derzeit das 6. Semester ihres Zweitstudiums an der PH der Fachhochschule Nordwestschweiz und arbeitet nebenbei mehr als 50% an einer Primarschule. Das heisst: Sie studiert Teilzeit und wird nicht in der Regelstudienzeit abschliessen könnnen. «Ich studiere in Teilzeit, weil meine finanzielle Situation es nicht anders zulässt. Ein Elternteil unterstützt mich finanziell nicht, obwohl die Person es eigentlich müsste. Der andere Elternteil kann mich momentan schlicht nicht finanziell unterstützen.»

Zu Vorschlägen wie dem neuen AHV-Modell hat sie eine klare Meinung: «Wer glaubt, dass man erst mit Arbeiten beginnt, nachdem man studiert hat, muss in einem sehr privilegierten Umfeld aufgewachsen sein, in dem das Erreichen einer hohen Bildung nicht an Probleme und Aufwand gekoppelt ist.»

Höhere Semestergebühren gegen den Fachkräftemängel

Der finanzielle Aspekt eines Studiums wird für viele zum Problem. Vor allem dann, wenn es um Semestergebühren geht. Zuletzt im Jahr 2019 wollte die Uni Basel die Semestergebühren ab dem zwölften Semester verdoppeln, um Langzeitstudierenden entgegenzuwirken. Wegen Corona ist das aber in den Hintergrund gerückt.

Nun werde das Rektorat das Projekt wieder aufgreifen, meint die «Skuba». Die Uni Basel will sich gegenüber Baseljetzt nicht näher dazu äussern. «Derzeit laufen Gespräche zwischen dem Vizerektorat Lehre und der studentischen Vertretung ‘Skuba’, in denen Lösungen im Bereich der Langzeitstudierenden diskutiert werden», heisst es auf Anfrage.

In verschiedenen anderen Kantonen wurde diese Massnahme bereits umgesetzt und auch der Arbeitgeberverband schlägt sie als eine von acht neuen Massnahmen zur Bekämpfung des Fachkräftemangels vor. «Akademikerinnen und Akademiker sollen ihre Studienkosten amortisieren müssen. Mögliche Modelle wären exponentiell steigende Studiengebühren etwa nach zehn Semestern, nachgelagerte Studiengebühren oder Darlehenssysteme», heisst es im Bericht von Ende April.

Zur Kritik an dieser Massnahme sagt Nicole Meier vom Schweizerischen Arbeitgeberverband gegenüber Baseljetzt: «Jedes Modell muss in der Umsetzung konkretisiert werden und Lösungen für bestimmte Situationen bieten können. Umgekehrt muss aber auch die Frage gestellt werden dürfen, ob es in Ordnung ist, dass die Gesellschaft für Kosten aufkommt, die von den Studierenden im Verlaufe ihres Arbeitslebens insbesondere aufgrund der zunehmenden Kleinstpensen mittlerweile nicht mehr selbst übernommen werden.»

«Eine Bestrafung für Studierende»

Das dürfe in Basel nicht passieren, warnt Messmer und erklärt, wie es überhaupt zu den längeren Studienzeiten kommt: «Studierende arbeiten in der Regel neben dem Studium, um ihre Lebenskosten bezahlen zu können.» Eine Erhöhung der Semestergebühren sei eine Bestrafung und Sanktionierung von Studierenden, die sich ohnehin schon in einer schwierigen Lebenssituation befinden.

Für die Studentin aus Basel hätte das einschneidende Folgen: «Ich müsste dann noch mehr für meine Bildung und eine bessere Zukunft bezahlen, mit Geld, das ich schlicht nicht habe. Meine Lebenssituation würde sich dadurch zunehmend erschweren.» Nicht nur für sie selber, sondern auch für andere Studierende wäre dieser Vorschlag ein Schlag ins Gesicht.

«Viele Menschen können kein Vollzeitstudium absolvieren, weil es ihre psychische Gesundheit nicht zulässt. Diese dann mit noch mehr psychischem Stress zu bestrafen, halte ich für ein No-Go und einen gefährlichen Teufelskreis.» So ist erwiesen, dass die mentale Gesundheit bei Studierenden prekär ist. Das zeigen die Ergebnisse einer Absolventenbefragung an Schweizer Hochschulen vom Bundesamt für Statistik (BfS) aus dem Jahr 2020.

Regelstudienzeit ist eine Ausnahme

Die Probleme der Studierenden beginnen laut der «Skuba» bereits beim Begriff «Langzeitstudierende». Dieser würde so keinen Sinn ergeben und vermittle ein falsches Bild. «Die sogenannte Regelstudienzeit ist mehrheitlich nicht die Regel, sondern eine Ausnahme. Der Begriff Langzeitstudierende suggeriert dabei den Eindruck einer unintelligenten und faulen Person, die lange Zeit braucht für das Studium. Dies ist nicht der Fall.» Vielmehr handle es sich um eine diverse Gruppe von Studierenden: Teilzeitstudierende, Studierende, die neben dem Studium noch arbeiten wollen oder müssen und Personen, die aus gesundheitlichen Gründen ihr Studium nicht in der Mindeststudienzeit absolvieren können.

Der Teufelskreis dahinter: «Ich fühle mich ständig gestresst, weil ich das Gefühl habe, hinterherzuhinken», erklärt die Studentin. «In meinem jetzigen Job verdiene ich weniger, als wenn ich das Studium schon abgeschlossen hätte, was natürlich auch Sinn macht. Aber ich bin noch lange nicht mit dem Studium fertig, weil ich den Job brauche, um mich finanziell über Wasser zu halten.» So geht es vielen Studierenden. Sie arbeiten genauso viel wie andere, verdienen aber weniger. Damit zahlen sie auch weniger in die AHV und die Pensionskasse ein. Das wiederum bedeutet weniger gute Sozialleistungen im Alter.

Unfreiwillig zum Langzeitstudierenden gemacht?

Besonders ärgerlich kann das sein, wenn man unfreiwillig zum «Langzeitstudierenden» wird. So würden laut der Studentin gewisse Abläufe beispielsweise an der Pädagogischen Hochschule der FHNW, wo sie studiert, dies begünstigen. «Auch wenn ich zeitlich Vollzeit studieren könnte, macht es die Einschreibephase der PH fast unmöglich für mich und andere Studierenden», sagt sie.

So müsse man sich die Plätze in den Modulen und Seminaren regelrecht erkämpfen und komme deshalb nicht überall rein. Viele Studierende können deshalb teilweise nur die Hälfte der Lehrveranstaltungen besuchen, die sie ursprünglich geplant hatten. «Die Studiengebühren bleiben aber gleich, auch wenn man so nicht Vollzeit studieren kann. Und dann hört man in den Medien, dass die Gebühren extra für Langzeitstudierende erhöht werden sollen? Man fühlt sich einfach verarscht und hintergangen.»

Eine exponentielle Erhöhung der Studiengebühren sei an der FHNW jedoch nicht geplant, versichert die Hochschule gegenüber Baseljetzt. «Wir haben an der FHNW einen geringen Anteil an Langzeitstudierenden. Das liegt daran, dass viele Studierende bereits eine Berufsausbildung haben, sich an der Hochschule eine praxisorientierte Zusatzqualifikation aneignen und sodann möglichst schnell zurück in den Arbeitsmarkt gehen wollen. Somit ist auch eine Erhöhung der Studiengebühren für Langzeitstudierende an der FHNW kein Thema.» Die Studiendauer sei jedoch begrenzt und betrage in der Regel das Doppelte der Regelstudienzeit.

Passung Studium und Unterrichtstätigkeit allenfalls nicht optimal

An der PH gebe es jedoch durchaus Studierende, die ihr Studium in Teilzeit absolvieren. Zu den Vorwürfen bezüglich der Einschreibephase meint die Hochschule: «Ist die zeitliche Flexibilität der Studierenden durch ihre Erwerbstätigkeit (Unterrichtstätigkeit) stark eingeschränkt, ist die Passung Studium und Unterrichtstätigkeit allenfalls nicht immer optimal. Dies kann auch nicht durch die Vergabe der Gewichtspunkte bei der Belegung korrigiert werden.»

Diese Gewichtspunkte, welche den Studierenden die Möglichkeit geben Kurse zu priorisieren und sich so den Zugang zu sichern, seien dazu da, der Gerechtigkeit bei der Belegung zu dienen. So soll nicht allein der Zeitpunkt der Belegung über einen Modulplatz entscheide. Weiter würde die PH ihre Module und Kurse so planen, dass alle, die dies wünschen, ein Vollzeitstudium absolvieren können.

Ob die höheren Semstergebühren und das neue AHV-Modell durchgesetzt werden, ist noch unklar. Es ist zu hoffen, dass eine Lösung gefunden wird, die niemandem den Zugang zu Bildung verwehrt. Die Studentin hat abschliessend noch eine Bitte an die Gesellschaft: «Hinterfragt Entwicklungen bezüglich AHV-Reform und Erhöhung der Studiengebühren nicht nur aus eurer eigenen privilegierten Sicht, sondern betrachtet solche Entscheide aus verschiedenen Standpunkten.»

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