Wusstest du, dass Tampons mit Wasser statt Blut getestet wurden?
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Gender Bias
International

Wusstest du, dass Tampons mit Wasser statt Blut getestet wurden?

14.03.2024 06:06 - update 15.03.2024 13:14
Larissa Bucher

Larissa Bucher

Eine Studie zeigt, dass Periodenprodukte weniger Blut aufnehmen als angenommen. Das offenbart nicht nur ein Problem bei deren Nutzung, sondern zeigt auch exemplarisch den «Gender Bias» in der Medizin auf.

Geschlechtsspezifische Unterschiede in Diagnose, Behandlung und Forschung sind in der Medizin allgegenwärtig. Das ist längst kein Geheimnis mehr. Studien zeigen immer wieder, dass Frauen und Männer nicht gleich behandelt werden, sei es bei Herzkrankheiten oder psychischen Erkrankungen. Das kann weitreichende Auswirkungen auf die Gesundheit von vielen Patient:innen haben.

Es sind jedoch nicht nur die bekannten Fälle von Frauen, die wegen einer Fehldiagnose oder falschen Dosierungen von Medikamenten sterben, die der Bevölkerung zunehmend die Augen öffnen. Es sind die oftmals als «unwichtig» abgestempelten Fälle und Ereignisse, die in letzer Zeit für Aufsehen sorgen.

Tampons mit Wasser testen

Ein Beispiel dafür ist die Tatsache, dass Tampons und andere Periodenprodukte in der Vergangenheit immer mit Wasser oder Kochsalzlösung und nicht mit Blut getestet wurden. Vielen Frauen wurde das erst bewusst, als im Sommer 2023 eine erste Studie in den USA veröffentlicht wurde, welche die Saugfähigkeit von Tampons tatsächlich mit Blut testete. Das Ergebnis: Ein Tampon ist viel weniger saugfähig, als angenommen. Für viele Frauen war das ein Aha-Erlebnis. Es erklärt endlich, weshalb viele Tampons oder Binden auslaufen.

Die Studie des Forschungsteams der Oregon Health and Science University in Portland wurde im British Medical Journal Sexual & Reproductive Health veröffentlicht. Ziel der Studie war es, erstmals die Füllkapazität von Periodenprodukte mit Blutkonserven aus roten Blutzellen zu testen. Das Team untersuchte 21 Menstruationsprodukte mit verschiedenen Saugkräften, darunter Einlagen, Tampons, Menstruationstassen, Menstruationsscheiben und Periodenunterwäsche.

Das Ergebnis zeigte, dass die meisten Produkte eine grössere Füllkapazität angaben, als sie tatsächlich hatten. Im Schnitt fassten Menstruationsscheiben rund 61 ml Blut, Tampons, Tassen und Binden zwischen 20 und 50 ml und die Periodenunterwäsche nur 2 ml. Als Vergleich: Durchschnittlich verliert eine Frau während der Menstruation 60 ml Blut.

Die Forschenden führen diese Diskrepanz auf die Produkttests mit Wasser oder Kochsalzlösung zurück. Obwohl die Absorption von Menstruationsblut auch mit dem Blutkonserven-Test nicht zu 100% gemessen werden kann, kommt dieser der Konsistenz von Menstruationsblut viel näher als Wasser oder Kochsalzlösung.

Fehlinformation führt zu Risiken

Das Problem der unzureichenden Saugfähigkeit von Periodenprodukten ist nicht nur ärgerlich, sondern birgt auch medizinische Risiken. Jede Frau sollte darüber informiert sein, wie viel Blut sie während ihrer Menstruation verliert, die in der Regel falschen Angaben führen dazu, dass Frauen die Menge ihres Blutverlusts nicht korrekt einschätzen können.

@marillewellyn they used WHAT to test tampons?! @Dr. Jolene Brighten fills us in on all things women’s health on this week’s episode 🎧 listen to the full episode of @Pursuit of Wellness Podcast now anywhere you listen to podcasts 🤍 #tampons #wonenshealth ♬ original sound – marillewellyn

Das Hauptproblem dabei ist, dass dieses Wissen von entscheidender Bedeutung ist für die frühzeitige Erkennung verschiedener Krankheiten oder Menstruationsstörungen. So kann eine Periode, bei der mehr als 80 ml Blut verloren wird, ein Anzeichen für Erkrankungen wie Endometriose, Myom oder PCOS sein. Aus diesem Grund fordern die Wissenschaftler:innen mehr Daten und Forschung zur Menstruation. Schliesslich sei ein Viertel der Weltbevölkerung direkt betroffen.

Gender Bias in der Medizin

Das Problem mit der Menstruation ist aber nur eines von vielen, das aufzeigt, wie einschränkend und gefährlich der sogenannte Gender Bias in der Medizin ist.

Was bedeutet «Gender Bias»?

Gender Bias beschreibt systematische Verzerrungseffekte, die durch geschlechtsbezogene Stereotypisierungen und Vorurteile entstehen. Dadruch kann es zu Ungleichheiten und Diskriminierung in verschiedenen Bereichen des Lebens führen.

«Die Gefahr des Gender Bias liegt in der ‚Nicht-Berücksichtigung‘, der Vielfältigkeit und Wechselwirkung biologischer und sozialer Aspekte», sagt Frank Luck, Professor für Pflegewissenschaft. Das Hauptproblem bestehe darin, dass Symptome geschlechterstereotypisch zugeordnet und interpretiert werden oder, dass in der Forschung überwiegend Personen einer bestimmten Geschlechtergruppe zur Beantwortung von Forschungsfragen herangezogen werden.

Einige Beispiele, die den «Gender-Bias» laut Luck gut aufzeigen:

  • Wenn Symptome von Frauen primär im Kontext ‚der Psyche‘ verordnet werden (Stichwort ‚Psychologisierung von Symptomen‘) und Frauen primär gefragt werden, ob sie Stress zu Hause‘ haben.
  • Wenn Symptome von Männern primär im Bereich ‚des Körperlichen‘ verordnet werden und dabei Fragen seelischer Gesundheit auf dem Weg einer Diagnosestellung aus dem Blick geraten.
  • Wenn Symptome bei Menschen im Rahmen eines binären Geschlechterverständnis kategorisiert werden und dabei die gesundheitlichen Situationen von ‚nicht-binären‘, queeren, lesbischen, schwulen, bisexuellen sowie trans- und intergeschlechtlichen Menschen nur unzureichend berücksichtigt werden.

Abweichung des Standards

Aber wie entstand eigentlich der Gender Bias in der Medizin? Laut Frank Luck führt uns diese Frage zurück ins 18. Jahrhundert. «In der bürgerlich-kapitalistischen Gesellschaftsordnung waren Frauen als ‘das Besondere’ bezeichnet und galten als Abweichung vom ‘geschlechtsneutralen’ Standard, der vom Mann verkörpert wurde.» Die Medizin orientierte sich genau an diesem Standard.

In den 60er- und 70er-Jahren des vorherigen Jahrhunderts begann eine wachsende Sensibilisierung für das Thema Geschlecht. Wichtig dabei war die Frauengesundheitsbewegung und -forschung. «Von dort stammt die Einsicht, wonach Gesundheit nicht ‚geschlechtsneutral‘ ist, sondern geschlechtsspezifische Aspekte aufweist.»

Das Problem ist jedoch noch lange nicht gelöst. Um den Gender Bias zu erkennen und zu reflektieren, bräuchte es Wissen, Strukturen, Prozesse und Ressourcen. «Hierzu ist es notwendig, Gesundheit und Krankheit aus einer Geschlechterperspektive im Studium zu lehren und zu lernen, in der Praxis zu berücksichtigen und zu beforschen», betont Luck.

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