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Zwischen Pop und Poesie: Ein Einblick ins Taylor-Swift-Seminar

09.03.2024 12:01 - update 09.03.2024 00:27
Larissa Bucher

Larissa Bucher

Viel mehr als nur schnulzige Musik über Ex-Freunde: Das Taylor Swift Seminar an der Uni Basel bietet eine tiefgründige Auseinandersetzung mit Swifts Songtexten und beweist dabei deren literarische Relevanz.

Mit Taylor Swift T-Shirt, buntem Nagellack und Cowboy-Boots betreten die beiden Dozierenden Andrew Shields und Rachael Moorthy den Seminarsaal der Universität Basel. «Welcome everyone to ‘Debut’ Week. Today we will talk about the confessional Poets and how Swift can be categorized as such», sagt Moorthy vor den knapp 150 Studierenden im Raum – und schon geht es los mit einem Mix aus Literatur, Geschichte, Feminismus und Humor.

Das Seminar, das auf Englisch abgehalten wird, zieht nicht nur Anglistik-Studierende an, sondern auch Teilnehmende aus verschiedenen anderen Fachbereichen. Der Andrang war enorm, berichtet Shields: «Wir mussten aufgrund des Platzmangels sogar kurzfristig den Seminarraum wechseln.» Doch wer annimmt, dass es sich hierbei ausschliesslich um «Swifties» handelt – so nennen sich die Fans von Taylor Swift -, liegt laut Shields falsch. Viele Studierende weisen einfach ein Interesse an den Parallelen zwischen älterer und zeitgenössischer Literatur auf.

Swift im literaturwissenschaftlichen Kontext

Ein Irrtum besteht auch darin zu glauben, dass im Seminar zwei Stunden lang nur Swifts Musik gehört und über ihre Ex-Freunde gesprochen wird. «Jede Woche steht ein Album von Swift im Mittelpunkt. Im Seminar analysieren wir verschiedene Songtexte», erklärt Shields. Diese erzählen oft Geschichten, was in der Popmusik einzigartig ist. «In der Literaturwissenschaft geht es oft um Geschichten. Wir betrachten also ihre Lieder und Geschichten und verwenden dann spezifische Methoden, um sie in einem wissenschaftlichen Kontext zu analysieren.»

Beim ersten Seminar konzentrierte man sich auf Themen wie Rhetorik und Ambition sowie den Romantizismus. Aber auch die Parallelen zu anderen Schriftsteller:innen wie den Lake Poets, Shakespeare oder Sylvia Plath sind laut Moorthy ein zentrales Thema im Kurs. Das Gedicht «The Road Not Taken» von Robert Frost dient ebenfalls als Ausgangspunkt für viele faszinierende Analysen von Swifts Texten. Die 14-fache Grammy Gewinnerin bezieht sich in mehreren Songs auf dieses und andere Gedichte.

Zwischen Humor und Rhetorik

Ein Beispiel vom Experten: Im Song «Tim McGraw» beginnt Swift mit Rhetorik – und mit der Behauptung, dass rhetorische Figuren der Wahrheit nicht entsprechen müssen. Dieser Aspekt allein, so erklärt Shields, lenke die Aufmerksamkeit auf die Funktion rhetorischer Elemente in literarischen Werken.

Ein weiteres Beispiel für die literarische Signifikanz von Swifts Songtexten sei das zehnminütige Lied «All Too Well», welches Shields als Meisterwerk bezeichnet. «Es erzählt eine Geschichte mit stark gezeichneten Figuren, lebhaft beschriebenen Schauplätzen und prägenden Bildern – wie etwa dem Licht des Kühlschranks oder dem verlorenen Schal», erklärt er. «Und natürlich darf auch hier Swifts charakteristischer Humor nicht fehlen.»

So würde der Song perfekt zusammenfassen, was Swifts Texte von den Texten anderer Musiker:innen abhebt: Ihre narrativen Qualitäten, ihr Witz, die lebendigen Figuren, die Rhetorik und die Vielzahl an Anspielungen. All das zeige eine deutliche Verbindung zur Literatur.

Bekanntes aus dem Geschichtsbuch

Während der Seminare wird nicht nur auf die literarischen Parallelen, sondern auch auf die gesellschaftlichen Aspekte hingewiesen. «Eine Frau, die etwas kreiert und damit Erfolg hat, wird von der Gesellschaft oft herabgewürdigt und kleingemacht», sagt Moorthy. Für viele Menschen sei es weiterhin unmöglich, zu akzeptieren, dass Frauen – besonders junge Frauen – komplexe, anspruchsvolle und bedeutungsvolle Werke schaffen können.

«Wenn Menschen lange genug innehalten, um aufmerksam zu sein, finden sie oft Wege, die Schöpfungen durch eine äusserst gewissenhafte Linse zu trivialisieren.» Das resultiere darin, dass ihr Erfolg als minderwertig angesehen und ständig nach alternativen Gründen dafür gesucht wird.

Zwischen Pop und Poesie: Ein Einblick ins Taylor-Swift-Seminar
Die Kanadierin Rachael Moorthy studiert Literaturwissenschaften (Master) und ist Autorin. Ihr erstes Buch «River Meets the Sea» erscheint am 16. April in der Schweiz. (Bild: zvg)

«Dieses Phänomen ist in der literarischen Geschichte gut dokumentiert. Frauen begannen in den 1950er Jahren damit, ‘Confessional Literature’ oder ‘Confessional Poetry’ zu schreiben, die oft als kitschig oder zu emotional abgetan wurden, anstatt ernst genommen zu werden», erklärt Moorthy, die selbst Schriftstellerin ist. Die Tendenz, den Erfolg von Frauen herunterzuspielen, sei also nichts Neues. Im Seminar wird hier immer wieder ein Vergleich zu Grössen wie Sylvia Plath oder Virginia Woolf gezogen.

Was ist Confessional Poetry?

Das Wort «Confessional» kommt aus dem englischen und bedeutet „Geständnis“, oder „Eingeständnis“. Confessional Poetry bezeichnet Werke, die oft intime und wenig schmeichelhafte Details aus dem Leben der Poet:innen thematisieren. In den Anfangszeiten wurden dabei häufig gesellschaftliche Tabus gebrochen, in dem über Sexualität oder psychische Krankheiten geschrieben wurde.

Typisch bei Confessional Poetry ist die geringe Distanz zwischen der im Gedicht dargestellten Person und dem Verfasser oder der Verfasserin des Werkes.

Swift selbst thematisiert in vielen ihrer Texte die Herausforderungen, mit denen Frauen im Patriarchat konfrontiert sind. Mit Zeilen wie «I’m so sick of running as fast as I can / wondering if i’d get there quicker if I was a man» oder «They’d say I hustled / put in the work / they wouldn’t shake their heads and question how much of this I deserve» können sich viele Frauen in unterschiedlichsten Lebenssituationen identifizieren.

Frauen werden klein gemacht

Auch Moorthy, die sich nicht als Taylor Swift Fan bezeichnet, findet häufig ein Stück von sich selbst in Swifts Songs wieder. «Als Künstlerin, als Frau und als Immigrantin wird man oft mit dem „Tall-Poppy-Syndrome“ oder dem „Krabbe im Eimer“-Phänomen konfrontiert», erklärt sie «Ich hatte schon immer grossen Respekt vor Swift als kreativer Person mit einem beeindruckenden Gesamtwerk. Sie ist belastbar und entwickelt sich kontinuierlich in ihrem künstlerischen Schaffen weiter.»

Tall-Poppy-Syndrome und Krabbe im Eimer“-Phänomen

In Australien und Neuseeland werden Personen, die besser und stärker als andere sein möchten (oder es sind), von der Gesellschaft verpönt. Es ist unerwünscht, dass sich eine Person aus der Masse hervorhebt. Das bezeichnet man das als «Tall-Poppy-Syndrom».

Die Krabben-Mentalität bezieht sich auf ein Verhaltensmuster bei Krabben, wenn diese in einem Eimer gefangen werden. Jede Krabbe könnte sich selbst aus der Situation befreien, es schliessen sich aber lieber alle Krabben zusammen, um eine potenziell erfolgreiche Krabbe herunterzuziehen.

Die Tatsache, dass Taylor Swift nun auch an verschiedenen angesehenen Universitäten in Kursform behandelt wird, biete die Möglichkeit für mehr Menschen, sich mit ihr, ihrem Erfolg und ihren Texten auseinanderzusetzen. «Ich habe ein grosses Problem damit, wenn Menschen den Erfolg von Frauen – oder Personen allgemein – kritisieren oder kleinreden, ohne sich jemals ernsthaft damit beschäftigt zu haben.»

Würde man Bob Dylans Erfolg auch hinterfragen?

Shields sieht die Tendenz, Frauen kleinzuhalten, besonders bei älteren Männern. «Es sind häufig weisse, ältere und heterosexuelle Männer, die gegen Swift hetzen – also eigentlich ich selbst», scherzt er. «Es kann gut sein, dass ich früher auch mal ablehnend gewesen wäre gegenüber ihren Texten, aber ich habe mich dann aktiv mit ihnen beschäftigt und habe Swift als Frau und Autorin schätzen gelernt.»

Zwischen Pop und Poesie: Ein Einblick ins Taylor-Swift-Seminar
Andrew Shields ist ein US-Amerikanischer Sprach- und Literaturwissenschaftler. Er doziert an der Uni Basel. (Bild: zvg)

Das zu tun, sei nicht zu viel verlangt, meint er. Stattdessen würden viele Leute aber lieber die Augen verdrehen und sich darüber ärgern, dass es nun sogar Seminare über ihre Texte gibt. «Das Ironische daran ist ja, dass dies nicht das erste Seminar über die Texte von bekannten Musiker:innen ist. Schon seit Jahren kann man beispielsweise Vorlesungen über Bob Dylan besuchen.»

Seit den 80er- und 90er-Jahren erhielt die Popkultur nämlich immer mehr Aufmerksamkeit in der akademischen Forschung und Lehre. Nicht nur in den Medienwissenschaften, sondern auch in den Literatur- und Kulturwissenschaften. «Niemand hat jemals hinterfragt, ob Dylans Erfolg verdient und gerechtfertigt ist. Bei Taylor Swift hingegen wird diese Frage täglich gestellt.»

Vielfältige Möglichkeiten

Nicht nur die Dozierenden sind überzeugt von der Relevanz von Swifts Texten im literaturwissenschaftlichen Kontext. Auch die Studierenden sind begeistert vom Seminar. «Taylor schreibt Songs, mit denen sich viele verbunden fühlen», sagt Jael Iff, die Psychologie studiert. «In diesem Seminar lernen wir, die Texte aus vielen verschiedenen Blickwinkeln zu sehen und das ist extrem bereichernd für alle Beteiligten.»

Das Taylor-Swift-Seminar an der Universität Basel öffnet also den Raum für eine tiefgründige Auseinandersetzung mit Popkultur und Literatur, die über oberflächliche Betrachtungen hinausgeht. Es verdeutlicht die vielfältigen Möglichkeiten, in denen Musik und Literatur miteinander verwoben sind und wie sie wichtige gesellschaftliche Diskussionen anregen können.

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