Diagnose
Schweiz

Borderline-Patientin: «Ich ging davon aus, dass ich nichts wert bin»

11.10.2023 15:55
Leonie Fricker

Leonie Fricker

Extreme Stimmungsschwankungen und die ständige Angst, verlassen zu werden. Steffi (37) kennt dieses Gefühl seit ihrer Jugend. Wie ist es, mit der Diagnose Borderline zu leben?

Erst war sie stationär in der Psychiatrie, dann drei Monate lang in der Tagesklinik. Seither geht sie einmal in der Woche zur ambulanten Therapie. Um einen Umgang mit ihrer Borderlinestörung zu finden, hat Steffi schon einen langen Weg hinter sich.

Traumatische Kindheit

Seit sie ein Teenager ist, kennst sie das Gefühl emotionaler Instabilität. «Ich hatte viele traumatische Erlebnisse in der Kindheit», erzählt Steffi. Dort, wo sie aufwuchs, gab es körperliche und seelische Gewalt statt liebevoller Gesten und Worte. Deshalb fällt es ihr bis heute schwer zu verstehen, wenn Menschen nett zu ihr sind. «Ich habe nie gelernt, Liebe zu geben und Liebe zu bekommen, und das sollte man eigentlich in der Kindheit lernen.»

Was ist eine Borderlinestörung?

Menschen mit einer Borderlinestörung leiden an ihrer ausgeprägten seelischen Instabilität. Dabei handelt es sich um Hochspannungszustände, eine „Achterbahnfahrt der Gefühle“ mit einem Muster von Selbstabwertung und Selbstschädigung bis hin zu schweren Selbstverletzungen und Suizidversuchen.

Bei einer Borderlinestörung beobachtet man ein durchgängiges Muster von

  • Instabilität der zwischenmenschlichen Beziehungen
  • Instabilität des Selbstbildes
  • Instabilität im Bereich der Stimmung
  • ausgeprägter Impulsivität mit Beginn in der frühen Erwachsenenzeit

Quelle: sonnenhalde.ch

Menschen mit dem Borderline Syndrom befinden sich oft in einem Spannungsfeld, erklärt Johannes Beck, Chefarzt der Sonnenhalde. Meist suchen Betroffene sehr stark die Nähe zu anderen Menschen, in der Beziehung komme es dann aber oft zu Situationen, in denen sie von ihren Emotionen überflutet werden. «Diese Anspannung kann sich auch in Wut äussern», erklärt Johannes Beck. Gleichzeitig sei eine der Grundängste von Borderlinern, verlassen zu werden, «und das wollen sie eigentlich um alles in der Welt verhindern».

Eine Achterbahnfahrt

Dieses Gefühl kennt Steffi sehr gut. Sie selbst beschreibt Borderline als eine «Überflutung von Emotionen», seien das positive oder negative. «Wenn die Emotionen da sind, kann ich sie nicht einordnen und weiss nicht, woher sie kommen», so die 37-Jährige.

Durch die Therapie kennt sie heute Strategien, die sie in solchen Situationen anwenden kann. Früher war das anders. «Was mich extrem mitnimmt, ist, wenn es um Kinder geht», erzählt Steffi. «Wenn ich eine Mutter sehe, die auf der Strasse ihr Kind anschreit, dann kommen dermassen viele Emotionen bei mir hoch, der absolute Horror.» Bilder steigen in ihr auf, gegen die sie in diesem Moment nichts ausrichten kann. Ihr erster Impuls sei es dann, die Frau zur Rede zu stellen. «Es fällt mir dann schwer, mich zurückzuhalten.»

«Nichts hilft so schnell, wie sich selbst zu verletzen»

Menschen mit einer Borderlinestörung fügen sich oft selbst Schmerzen zu, zum Beispiel durch Ritzen. «Es gibt nichts, was ihnen bei Anspannung so schnell hilft, wie sich selbst zu verletzen», erklärt die Psychologin Jessica Doll. Sich selbst zu verletzen sei eine wirksame Strategie, die aber nicht gesund ist.

Deshalb gibt es Hilfsmittel, die Jessica Doll ihren Patient:innen in der Therapie vorstellt. Sie stimulieren verschiedene Sinne und sollen die Betroffenen davon abhalten, sich selbst Schmerzen zuzufügen. Hilfsmittel können zum Beispiel ein Igelball in der Hand oder ein Chilibonbon im Mund sein, erklärt die Psychotherapeutin. «So lernen sie, mit ihren Emotionen umzugehen.

In der Therapie hat Steffi vor allem eines gelernt: ihr Selbstbewusstsein aufzubauen. «Vor der Therapie dachte ich, ich sei nichts wert», sagt sie. Das habe sich geändert. «Jetzt kenne ich meinen Wert und weiss, dass es sich lohnt, weiter zu kämpfen.»

Die Diagnose-Sendung zum Thema Borderline Syndrom kannst du dir am Mittwoch, dem 11. Oktober, um 18.45 Uhr auf Telebasel anschauen.

Hier findest du Hilfe, falls du in einer persönlichen Krise steckst:

In der Schweiz gibt es zahlreiche Stellen, die rund um die Uhr für Menschen in suizidalen und depressiven Krisen da sind.

  • Die Dargebotene Hand: Tel. 143, (www.143.ch)
  • Angebot der Pro Juventute: Tel. 147, (www.147.ch)
  • Kirchen: Seelsorge.net
  • Anlaufstellen für Suizid-Betroffene: Nebelmeer – Perspektiven nach dem Suizid eines Elternteils (Nebelmeer.net); Refugium – Geführte Selbsthilfegruppen für Hinterbliebene nach Suizid (Verein-refugium.ch); Verein Regenbogen Schweiz (Verein-regenbogen.ch).

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