Die erste Kampagne, die den Freier in die Pflicht nahm – und sie lohnt(e) sich
©Bilder: Keystone / Kampagne
«Hast du Eier, Freier?»
Basel-Stadt

Die erste Kampagne, die den Freier in die Pflicht nahm – und sie lohnt(e) sich

21.04.2023 05:37 - update 21.04.2023 12:14
Lea Meister

Lea Meister

«Hast du Eier, Freier?»: Diese Kampagne der Schweizerischen Kriminalprävention wurde im Kanton Basel-Stadt lanciert. Auswertungen zeigen: Sie hat sich gelohnt. Deshalb wird sie – ohne Budget – weitergeführt.

Seit Herbst 2021 werden in Basel die Konsumenten von Prostitution in die Pflicht genommen. Die Kampagne «Hast du Eier, Freier?» zielt bewusst darauf ab, das Bewusstsein von Freiern für allfällige Missstände in der Prostitution zu schärfen. Hat eine Sexarbeiterin eine Wunde? Äussert sie sich vielleicht sogar über Missstände? In solchen Fällen ist eine anonyme Meldung über die entsprechende Webseite möglich.

Entwickelt wurde die Kampagne von der Schweizerischen Kriminalprävention (SKP). Die SKP hat den politischen Auftrag, Kriminalpräventionsbelange aufzunehmen und eng mit den kantonalen Behörden, Fedpol und den städtischen Polizeikorps zusammenzuarbeiten. Das Zielpublikum der erarbeiteten Kampagnen ist die allgemeine Bevölkerung.

Fabian Ilg leitet die SKP und hat mit Baseljetzt über die kantonale Kampagne «Hast du Eier, Freier?» gesprochen und ein – sehr positives – Fazit gezogen.

Herr Ilg, die Kampagne lief jetzt gut ein Jahr lang. Wissen Sie schon, wie es weitergeht?

Fabian Ilg: Wir haben ein langes Gespräch mit der Meldestelle Act 212 geführt, die auch bei dieser Kampagne die anonymen Meldungen entgegennimmt. Sie meinten, dass es sehr schade wäre, wenn die Kampagne auslaufen würde und sie uns dabei unterstützen würden, die Kampagne weiterzuführen. Auch mit der Kantonspolizei Basel-Stadt habe ich Kontakt aufgenommen. Die Übereinkunft war, dass wir die Kampagne weiterführen wollen, dies einfach ohne Budget tun müssen. Wir können die Kampagne also nicht ausbauen oder weiter aktiv bewerben, sondern arbeiten mit den bestehenden Mitteln weiter. Wir versuchen, auch weiterhin öffentlich sichtbar zu sein. Die Kantonspolizei hat sich nach langem Überlegen und wohl auch aus Ressourcengründen zurückgezogen. Das ist aber meiner Ansicht nach nicht weiter tragisch, weil wir wie gesagt keinen proaktiven Auftritt in der Öffentlichkeit mehr planen, sondern versuchen, die Webseitenbetreiber von Sexportalen, die die Kampagnen-Banner geschaltet haben, auch weiterhin zu motivieren, mitzumachen.

Geht es hier auch um ein gewisses Bekenntnis seitens dieser Webseitenbetreiber?

Ja, es ist ein gewisses Statement im Sinne von, dass zwar Prostitution angeboten wird, aber das Bewusstsein für mögliche Gefahren da ist und entsprechend auch darauf hingewiesen wird. Missstände in diesem Gewerbe sollen gemeldet werden.

Sie sind jetzt für die Weiterführung der Arbeit also auf Goodwill der Webseitenbetreiber angewiesen?

Genau. Die Sprüche der Kampagne wurden ja teilweise auch kontrovers diskutiert, auch zurecht, wenn man sie in der Öffentlichkeit gesehen hat. Das Ziel war, die Kampagne sehr stark zielgruppenorientiert aufzuziehen, gerade auch auf diesen einschlägigen Webseiten, wo die Slogans dann natürlich auch zur Geltung kommen. Mit den kecken Sprüchen wollen wir Männer, die nach Sexarbeiterinnen suchen auf unsere versteckte Webseite locken. Die Daten können wir so auch sehr gut auswerten. Hätten wir einfach Plakate in der Innenstadt aufgehängt, wäre die Wirkung wohl nicht die gleiche gewesen und die Kampagnen-Sprüche hätten eher irritiert.

Wie viele Webseitenbetreiber sind noch an Bord?

Es sind rund zehn Sexportal-Betreiber, die weiterhin bereit sind, die Banner zu schalten. Auch ohne Entgelt. Sie sind für diese Kampagne absolut zentral.

Sind auch andere Institutionen nach wie vor mit dabei?

Ja, beispielsweise Organisationen, die mit Sexarbeiterinnen zusammenarbeiten. Also sozusagen die, die Frontarbeit leisten. Dort haben wir Visitenkärtchen in Umlauf gebracht, die auch den Freiern abgegeben werden können. Diese Kärtchen werden auch weiterhin eingesetzt. Vor Ort in den Bordellen.

Wie viele Klicks auf die Kampagnen-Banner konnten Sie verzeichnen?

Zu Beginn hatten wir natürlich einen Peak. In den ersten drei Monaten hatten wir teilweise 400-600 Klicks pro Woche. Die Zahl pendelte sich dann bei rund 200 Klicks pro Woche ein. Nach zwölf Monaten haben wir die Auswertung dann abgeschlossen. Ein wichtiger Punkt ist, dass die Kundschaft irgendwann ausgereizt ist, es bleiben immer in etwa die gleichen Kunden, die immer wieder nach Sexarbeiterinnen suchen. Eine Mehrheit hat also die Webseite irgendwann besucht und die Informationen gelesen. Diese bleiben dann aber auch im Kopf und können nachhaltig Wirkung erzielen. Da erwarten wir einen Langzeiteffekt.

Und wie hoch ist die Anzahl der gesamthaft eingegangenen Meldungen?

Die Meldestelle Act 212 hat vor unserer Kampagne insgesamt in fünf Jahren zwischen fünf und acht Meldungen von Freiern erhalten. Seit September 2021 bis zum 17. April sind insgesamt 28 Meldungen von Freiern eingegangen. Wenn ich nur die Zahl kommuniziere, ist diese als absolute Zahl relativ tief. Wenn man sich den Vergleich anschaut, ist das aber ein wahnsinniger Anstieg. Ein Grossteil der Meldungen konnte auch an die Polizei weitergeleitet werden. Wie es in diesen Fällen dann juristisch weiterging, weiss ich aber natürlich nicht, da ich keine Akteneinsicht habe. Das spannende an diesen Meldungen ist auch, dass sie aus Örtlichkeiten wie Privat- und Hotelzimmern kommen, an welche die Polizei selbst nur sehr schwierig rankommt. Genau dort ist die Polizei auf Meldungen von Freiern angewiesen.

Eine Zunahme der Meldungen von 2,3 auf 16,9 Prozent (anteilsmässig berechnet auf alle eingehenden Meldungen) bestätigt auf Anfrage von Baseljetzt auch die Meldestelle Act 212. Ebenfalls bestätigt sie, dass die meisten Meldungen an die spezialisierte Polizei weitergeleitet wurden.

Die Meldungen gehen komplett anonym ein, oder?

Das ist genau die Motivation und macht die niedere Hemmschwelle für Freier aus, sich dann auch wirklich zu melden.

Act 212 nennt auf Anfrage zwei Beispiele eingegangener Meldungen:

  1. Ein Freier meldet sich über das anonyme Meldeformular. Nach mehreren Besuchen eines Etablissements vermutet er, dass die oftmals wechselnden Frauen, die kaum ein Wort Deutsch sprechen, nicht selbständig sind, sondern unter einem Zuhälter anschaffen müssen. Von den Frauen vernahm er, dass sie auch ohne Kondom arbeiten und z. T. mit den Sexkäufern Drogen konsumieren müssen. Falls sie nicht mitmachen, werden sie auf die Strasse gestellt. Er hatte zudem den Verdacht, dass in diesem Bordell Menschen und z. T. auch Kinder gehandelt würden. Unseren Partnern von der spezialisierten Polizei war der Ort bekannt und sie gingen der Sache nach.
  2. Der Clubbetreiber fische scheinbar bewusst nach Anfänger*innen, die ihm zu Beginn ihre Identität verraten würden, was er als Druckmittel einsetze, um sie gefügig zu machen. Er wisse, dass viele Menschen in kurzer Zeit Geldbeträge benötigen und nutze dies zu seinem Vorteil aus. Die Frauen werden mit überdurchschnittlich guten Tagesverdiensten angelockt, müssten dann aber Dienste anbieten, über die nur er entscheide und horrende Prozentsätze abgeben. Zudem verlange er gratis Sex ohne Kondom, sonst verlieren die Betroffenen das Recht dort zu arbeiten. Die Person schliesst mit: «Ich bin kein Jurist, aber meiner Ansicht nach liegt hier Förderung der Prostitution vor. Vielen Dank für Ihr Angebot. Ich traue mich nicht, damit zur Polizei zu gehen.» Bei der Bearbeitung der Meldung zeigte sich, dass es sich bereits um die dritte Meldung zum selben Etablissement handelt, die bei der nationalen Meldestelle eingegangen ist. Der Ort war der zuständigen Behörde also bereits bekannt, dennoch signalisierte sie Interesse, weitere Informationen zu erhalten. Jede Beobachtung und jeder Hinweis, egal wie klein, können dazu beitragen, ein klareres Bild zu ergeben.. Diese Rückmeldung erhalten wir von den meisten unserer Kooperationspartner*innen und für die Zusammenarbeit sind wir sehr dankbar.

Eine Zeit lang wurde eine Ausdehnung der Kampagne auf das angrenzende Ausland geprüft. Wie ist hier der aktuelle Stand?

Es gab eine Anfrage des Deutschen Berufsverbands für Sexarbeitende, der grosses Interesse daran hatte, die Kampagne zu übernehmen. Ich hatte diesbezüglich Kontakt zu verschiedenen Präventionsstellen in Deutschland. Dort war das Interesse allerdings nicht so gross. Ich glaube auch, dass der Berufsverband ein nicht so starkes Netzwerk zu den Behörden hat und sie sich deshalb nicht so stark machen konnten für die Kampagne. Erstaunlicherweise haben sich im Winter dann aber zwei Bundesländer unabhängig voneinander bei uns gemeldet, Bayern und Nordrhein-Westfalen. Das Interesse an der Kampagne ist sehr gross. Wir wären auch sehr offen dafür, sie weiterzugeben. Damit die Kampagne wirkt, muss man aber Webseitenbetreiber haben, die die Banner schalten und eine Meldestelle, die in engem Kontakt mit den Behörden arbeitet. Da hatte ich den Eindruck, dass es in gewissen deutschen Bundesländern noch gewisse Schwierigkeiten oder auch offene Fragen bei den Zuständigkeiten gibt. Es hat sich in der Zwischenzeit nichts mehr ergeben.

Engagiert sich der Kanton Basel-Stadt genug im Bereich der Bekämpfung von Menschenhandel?

In erster Linie ist die kantonale Schwerpunksetzung sehr wichtig, denn dadurch werden mehr Mittel und Ressourcen eingesetzt. Was die hiesige Kampagne betrifft, hat Basel ein sehr starkes Interesse gezeigt und sich stark engagiert. Auch die Behörden haben die Kampagne unterstützt, obwohl sie vielleicht etwas kecker ist, als behördlich unterstützte Kampagnen normalerweise daherkommen. Das Thema wurde in der Stadt Basel dadurch sicher etwas mehr an die Oberfläche gebracht. Die Kantonspolizei Basel-Stadt war die einzige Kantonspolizei, die bei dieser Kampagne mitgemacht und sie auch proaktiv unterstützt hat. Das Thema Menschenhandel bleibt kriminalpräventiv aber sicher ein Randthema.

Gibt es in anderen Kantonen ähnliche Kampagnen? Vielleicht auch ohne die aktive Mitarbeit der Polizei?

Es handelt sich hier um die erste Kampagne der schweizerischen Kriminalprävention, die spezifisch die Freier in die Pflicht nimmt und ihnen Verantwortung überträgt. Eine andere wäre mir nicht bekannt. Die Meldungen, die bei Act 212 eingehen, werden aber natürlich weitergeleitet und von allen Kantonspolizeien dann auch ernst genommen.

Besteht in der täglichen Arbeit rund um das Thema Menschenhandel auch eine gewisse Ohnmacht?

Wir sind nicht so nah dran am Thema, wie die, die im Alltag Kontrollen durchführen und Betriebe überwachen. Das Problem ist aber schon länger bekannt, es gibt ja auch einen nationalen Aktionsplan Menschenhandel, nächstes Jahr startet eine zweite Auflage mit dem Fokus Arbeitsausbeutung. Dann sollten mehr Ressourcen gesprochen werden, um gegen die Arbeitsausbeutung vorgehen zu können, die ja überall stattfindet, wo man Produkte weit unter marktgerechten Preisen erhält. Das kann zum Beispiel auf Baustellen, in Nagelstudios, in Bubble-Tea-Shops oder eben in der Prostitution der Fall sein.

Sollte auch die Bevölkerung besser auf Signale wie Dumpingpreise achten?

Es ist sicher gut, wenn man sich zumindest Gedanken darüber macht, ob die angegebenen Preise mit normalen Anstellungsbedingungen überhaupt umsetzbar sind. Man kann sich auch Fragen, wie es den Personen wohl geht, ob sie unter menschlichen Bedingungen arbeiten. Vieles sieht man aber natürlich nicht. Entsprechende Verdachtsmeldungen können jederzeit an Meldestellen oder an die Polizei gemacht werden.

Können Sie schon etwas über die nächste Kampagne sagen, an welcher Sie arbeiten?

Die nächste Kampagne wird sich um den Umgang mit Pornografie von Jugendlichen im Internet drehen. Die Zahlen in diesen Bereichen steigen stark an und beschäftigen die Polizei. Es sind auch immer mehr Jugendliche betroffen, wir wollen deshalb 10- bis 16-Jährige mit einem Erklärvideo erreichen. Darin werden die folgenden drei Problemfelder erklärt: Sexting, selbst hergestellte und publizierte Nacktbilder und das Verbreiten legaler Pornografie unter Minderjährigen, was wiederum illegal ist. Das Video wird dann auf den Sozialen Medien ersichtlich sein und auch als sogenanntes Lehrmittel den Schulen zur Verfügung stehen. Auch hier produzieren wir wieder ein informatives Visitenkärtchen mit einem QR-Code, der einem auf weiterführende Informationen zur Verfügung stellt. Bei dieser Kampagne arbeiten wir mit allen Polizeikorps zusammen. Mehr dazu in einer Woche, wenn wir öffentlich darüber informieren.

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