«Die Frage ist: Weshalb geht man vermummt an eine Demo?»
©Bilder: Keystone
1. Mai-Demo
Basel-Stadt

«Die Frage ist: Weshalb geht man vermummt an eine Demo?»

02.05.2023 18:34 - update 03.05.2023 12:07
Lea Meister

Lea Meister

Wieder sorgte ein Polizeieinsatz in Basel für Gesprächsstoff. Stephanie Eymann, Vorsteherin des Justiz- und Sicherheitsdepartements, äussert sich nach dem 1. Mai zum Einsatz der Kantonspolizei Basel-Stadt.

Baseljetzt: Frau Eymann, ein Helikopter, der über Basel flog, ein ausgeliehener Wasserwerfer – was rechtfertigt den Einsatz derart aufwendiger Mittel?

Stephanie Eymann: Die Polizei macht im Vorfeld von Demonstrationen immer eine Lagebeurteilung und schaut auch, welches Gewaltpotenzial vorhanden ist. Aus dem letzten Jahr haben wir immer noch die Bilder im Kopf, wie die ganze Stadt kurz und klein geschlagen wurde. Dementsprechend hat die Polizei sich auch vorbereitet. Der Helikopter stand aber nicht exklusiv für Basel im Einsatz, es war der 1. Mai, es kam in verschiedenen Städten zu grossen Veranstaltungen mit entsprechenden Ausschreitungen. Der Helikopter war sowieso in der Luft und somit auch bei uns im Einsatz.

Die Polizei begründet die Einkesselung der Demo mit Schutzmaterialien bei Demonstrierenden und vermummten Personen. Ist es nicht unverhältnismässig, eine friedliche, bewilligte Demo zu unterbrechen und einen Teil der Personen einzukesseln?

Was mir als Sicherheitsdirektorin gefällt ist sicher, dass es eine bewilligte Demonstration war. Es ist wichtig, dass man vor Ort eben auch einen Ansprechpartner hat. Auch bei einer bewilligten Demonstration kann man nie ausschliessen, dass sie auch andere Leute anzieht. In diesem Fall lief ein Teil vorweg, vermummt und mit Schutzmaterialien, was darauf schliessen lässt, dass man nicht in friedlicher Gesinnung an diese Demonstration gekommen ist, sondern auch bereit gewesen wäre für eine Eskalation mit der Polizei. Diese Leute wurden von der Polizei spezifisch kontrolliert. Dafür wurde der Demo-Zug auch gestoppt – aber nicht abgesagt.

«Die Frage ist: Weshalb geht man vermummt an eine Demo?»
Bild: Keystone

Ist es eine neue Strategie der Basler Polizei, dass man präventiv eingreift, ohne dass etwas passiert ist?

Wenn wir es objektiv betrachten, hat die Polizei Personenkontrollen gemacht. Das gehört zu ihrem täglichen Job. Und wenn sie sehen, dass Leute unkenntlich mitlaufen, haben sie einen Anspruch darauf, zu wissen, was das für Personen sind. Ob man sie kennt, was hier genau der Hintergrund ist. Den friedlich Demonstrierenden, der Mehrheit, hat die Polizei parallel das Angebot gemacht, über einen kurzen Umweg wieder auf die angestammte Route zurückzukehren und die Demonstration somit fortsetzen zu können. Das Angebot wurde dann leider ausgeschlagen und man hat sich mit dem Schwarzen Block solidarisiert. Deshalb ging der Einsatz dann auch so lange.

Eine Vermummung liegt im Bereich einer Ordnungsbusse. Ist es verhältnismässig, deshalb eine Personenkontrolle zu fordern?

Das Vermummungsverbot ist ein Übertretungsstraftatbestand, der mit einer Busse bestraft wird. Die Frage ist ja aber immer, weshalb man vermummt an eine Demo geht. Weshalb nimmt man Schutzmaterialien mit? Weshalb findet man Utensilien, mit welchen man die Stadt verschmieren oder nachhaltig beschädigen könnte? Das war in der Kombination das, was wir verhindern wollten und jetzt auch sagen können, dass wir es verhindert haben.

«Die Frage ist: Weshalb geht man vermummt an eine Demo?»
Bild: Keystone

Wann bekommen wir Transparenz darüber, was man künftig erwarten muss, wenn man an einer Demo teilnimmt?

Wichtig ist wirklich die Dialogbereitschaft und die gilt selbstverständlich weiterhin. Ich biete auch dem 1.-Mai-Komitee an, dass wir im Nachgang schauen, wo wir stehen, welche Fragen bestehen und was wir tun müssen, um wieder in eine Gangart zu kommen, die beide Seiten zufriedener macht. Da müssen wir dran bleiben. Das ist aber ein Prozess und nicht einfach von heute auf morgen besser. Das Angebot besteht aber auf alle Fälle. Es ist wichtig, dass wir an diesem Thema dranbleiben.

Weshalb wurden auch Personen eingekesselt, die nicht vermummt waren? Beispielsweise Minderjährige?

Das ist Teil der Aufarbeitung des Einsatzes, die findet bereits statt. Einen Tag nach dem Einsatz ist es noch etwas früh und eine Frage, die die Polizei sicher noch prüfen muss. Es muss geprüft werden, ob es auch Unbeteiligte im Kessel hatte. Vor Ort wurde relativ schnell gesagt, dass sich melden soll, wer nichts damit zu tun hat. Die Personen wurden dann kontrolliert und konnten direkt gehen. Ob man von der Dynamik her anders hätte vorgehen müssen, ist sicher eine Frage, die wir uns stellen müssen.

Hätte man den Demo-Zug nicht einfach laufen lassen können?

Die Schwierigkeit ist halt schon, was der Auftrag an die Polizei ist. Muss die Polizei dann einschreiten, wenn es eskaliert, wenn die ersten Scheiben eingeschlagen und die ersten Sprayereien platziert sind? Oder dann, wenn sie die Hinweise hat, dass es eben so weit kommen kann? Das Verhindern von Straftaten ist auch einer der Grundaufträge der Polizei. Im Unterschied zu Zürich und Bern hatten wir dieses Jahr keine demolierte Stadt. Aus Sicht der Bevölkerung, die es sehr ärgerlich findet, dass die Stadt nach solchen Veranstaltungen immer in Mitleidenschaft gezogen wird, war es richtig, relativ früh durch eine relativ milde Massnahme zu verhindern, dass es zu Schlimmerem kommt.

Eine stringente Linie auf beiden Seiten könnte zur Beruhigung der Lage beitragen. Sehen Sie das auch so?

Das Statement der SP im Vorfeld der Demonstration zum «Kodex» hat mich hoffnungsvoll gestimmt. Ich glaube, das wäre ein ganz wichtiger Schritt. Wie geht man in den eigenen Reihen mit Gewaltbereitschaft oder mit Gewaltausübung um? Ich glaube, diese Diskussion müssen wir führen, weil wir dann auch in einen geregelteren Umgang miteinander kommen. Solange völlig unklar ist, wer in diesen Reihen toleriert wird, und mit wem man sich solidarisiert, wird es einfach schwierig, auch für die Polizei. An diesem Dialog müssen wir wirklich dranbleiben. Es ist klar, dass die Emotionen nach so einem Tag hoch gehen, aber die Wogen müssen sich wieder glätten, denn wir müssen in diesem Thema weiterkommen. Meine Polizistinnen und Polizisten finden es auch nicht «glatt», jedes Wochenende in Vollmontur in den Einsatz zu gehen. Wenn wir hier einen Weg finden, ist das in jeder Hinsicht und für beide Seiten richtig und wichtig.

Hatte der Aktionskonsens der SP einen Einfluss auf die Einsatzplanung der Polizei?

Ich habe es einfach sehr bedauert, dass es kurz vor der Demonstration hiess, dass es gar keinen Konsens gebe und alle willkommen seien. Das Statement der SP war recht klar gegen Ausschreitungen, Sachbeschädigungen und Gewalt formuliert. Natürlich muss man sich fragen, was das bedeutet, wenn hier kein Konsens entsteht. Selbstverständlich schaut die Polizei aber auch unabhängig davon, wie die Entwicklung ist, wie dynamisch es wird, wozu aus gewissen Kreisen aufgerufen wird. Das läuft natürlich parallel ab. Es wäre aber auf jeden Fall ein guter Anfang gewesen, zu sagen, man hat einen Konsens darüber, dass nicht alle mit jeder Gesinnung mitlaufen dürfen.

Dann finden Sie es schade, dass sich die Diskussion um den Vorschlag im Endeffekt aus kommunikativer Sicht eher unglücklich entwickelt hat?

Sehr, ja. Es wäre ein erster und neuer Schritt gewesen, zu sagen, dass man sich selber von gewissen militanten Gruppierungen distanziert und entsprechend auch einen guten Weg dafür sucht. Die Polizei hat gestern ja an sich probiert, genau das umzusetzen und so zu ermöglichen, dass alle friedlich Demonstrierenden auf ihrer bewilligten Route weiterziehen können. Dieser Schritt der Distanzierung hat gestern nicht stattgefunden, was ich sehr schade finde.

Die Juso Basel-Stadt hat heute in einer Mitteilung Ihren Rücktritt gefordert. Nino Russano sagt, die Polizei fordere Dialogbereitschaft, die sie aber selber nicht habe. Was sagen Sie dazu?

Rücktrittsforderungen seitens der SP sind mittlerweile salonfähig. Das scheint die neue Gangart zu sein. Das muss ich aushalten. Ich bin gewählt, entsprechend darf man auch meinen Rücktritt fordern. Das gehört zu meinem Job. Zur Dialogbereitschaft kann ich einfach nur wiederholen, dass es sich dabei um eine zweiseitige Sache handelt. Die Polizei versucht wirklich, in den Dialog zu treten, auch verständlich. Es wurde ja auch schon kritisiert, dass man vor Ort oft nicht hört, was die Polizei sagt. Das ist ein Prozess, an welchem wir dranbleiben müssen. Wenn mir jemand ganz klar aufzeigen kann, wo der Dialog seitens Polizei fehlt, dann höre ich selbstverständlich gerne zu. Wir sind auch der Meinung, dass wir in diesem Thema besser werden müssen.

Wie intensiv wird die Nachbearbeitung der Geschehnisse am 1. Mai für die Polizei?

Die Nachbearbeitung ist immer intensiv. Sie muss auch die verschiedenen hierarchischen Stufen durchlaufen. Die Polizei muss für sich schauen, wer vor Ort anwesend und wer in der Einsatzleitung war. Dann wird geschaut, was kommunikativ gelaufen ist. Natürlich komme auch ich ins Spiel. Selbstverständlich ist ein Teil davon auch, die Rückmeldungen aus der Bevölkerung und von Demoteilnehmerinnen und-teilnehmern aufzunehmen, einzelne Punkte auch zu prüfen und zu schauen, wo wir stehen. Das gehört dazu und dabei muss man immer auch selbstkritisch sein.

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Kommentare

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04.05.2023 05:07

PRodriguez

Es gab tatsächlich hunderte Vermummte. Fast alle hatten zusätzlich eine Polizeiuniform an.

Gegen Dealer bei der Kaserne kann man nichts tun.
Gegen Räuber aus Frankreich hat man keine Mittel.
Gewaltexzesse rund um Dreirosen sind normal.
Am Rheinbord entlang darf man als Frau mit Vergewaltigung rechnen, keine Polizei weit und breit.
Aber versuch mal, eine bewilligte Demo auf der bewilligten Route zu laufen: Wasserwerfer, Helikopter Gummischrot und ausserkantonale Polizeien stehen sofort bereit.
In die Menge reinprügeln ist halt schon einfacher als die Bevölkerung vor alltäglicher Kriminalität zu schützen.

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04.05.2023 13:48

PJPM

Sie vergessen den kleinen aber durchaus relevanten Unterschied, wonach die Demo eine Ankündigung von Straftaten enthält, nämlich dass vermummte Idioten eine bewilligte Demo für ihre Gewaltexzesse missbrauchen werden.
Ihr Statement tönt ein wenig nach “lasst sie doch, sie wollen ja nur spielen”. Manchmal ist man der Hund, manchmal der Baum. Diesmal waren die schwarzen Deppen eben Baum: angepisst. Selber schuld.

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03.05.2023 04:43

szvmek

Ein grosses Dankeschön an alle Mitarbeitenden der Basler Polizei, die hier im Einsatz standen und an die Verantwortlichen, die diesen Einsatz vorausschauend geplant und so einmal mehr Krawalle und Verwüstungen in unserer Stadt verhindert haben!

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