Doku bricht das Schweigen über Machtmissbrauch in Film und Theater
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Doku bricht das Schweigen über Machtmissbrauch in Film und Theater

21.03.2024 06:35 - update 20.03.2024 23:02
Michael Kempf

Michael Kempf

Die Schattenseiten der Glitzerwelt und das System, das Machtmissbrauch begünstigt. Eine neue Doku des NDR zeigt auf, weshalb es so wichtig ist, das Schweigen zu brechen und über Missbrauch im Showgeschäft zu sprechen.

Beleidigungen, Demütigungen, Gewalt, sexuelle Übergriffe – die Welt hinter Kamera und Kulissen kann für viele Theater- und Filmschaffende ein Albtraum sein. Genau diesem Thema widmet sich die knapp einstündige Doku «Gegen das Schweigen – Machtmissbrauch bei Theater und Film».

Während rund drei Jahren haben die beiden Journalistinnen Zita Zengerling und Kira Gantner mit über 200 Personen aus der Film- und Theaterwelt über die Probleme in ihrer Branche gesprochen. Das Ergebnis zeigt, die mutmasslichen Täter:innen sind unterschiedlich, das Vorgehen weist aber einen ähnlichen Mechanismus auf.

Ein System, das die Täter schützt

Ein bekannter deutscher Schauspieler, der am Set Crewmitglieder beschimpft und anschreit, ein namhafter österreichischer Theaterregisseur, der auf der Bühne gegenüber seinen Schauspielern gewalttätig wird, und ein deutscher Filmregisseur, der junge Frauen zu sich nach Hause lockt, um sexualisierte Gewalt an ihnen auszuüben.

Das Problem liegt aber nicht nur bei den mutmasslichen Täter:innen, wie der Dokumentarfilm zeigt. Es liegt auch am System, das einen solchen Missbrauch ermöglicht und die Täter:innen schützt. Die Verantwortung liegt auch bei Geldgebern, Produktionsfirmen und Sendern, gegen Machtmissbrauch vorzugehen und möglichen Tätern keine Unterstützung oder Plattform mehr zu bieten.

Auch das Publikum trägt eine Verantwortung. Durch den Besuch von Produktionen, die von Personen geleitet oder unterstützt werden, die Macht missbrauchen, tragen sie indirekt zur Fortsetzung des Machtmissbrauchs bei. Dies zeigt die Doku deutlich am Beispiel des Theaterregisseurs, der auch beim Publikum für seine Gewalttätigkeit gegenüber seinen Schauspielern bekannt ist, und dessen Aufführungen dennoch besucht werden.

Das Schweigen brechen

Die Betroffenen des Dokumentarfilms haben eines gemeinsam: Sie haben es satt, zu schweigen. Einige anonym, andere mit Klarnamen, alle sprechen über ihre Missbrauchserfahrungen am Filmset oder auf der Theaterbühne.

Während sie mit der Angst leben, aufgrund ihrer Erzählungen keine Arbeit mehr in der Branche zu bekommen, schweigen die, über die gesprochen wird. Bei der Konfrontation mit den Journalistinnen äussern sie sich nur über ihre Anwälte und drohen mit mutmasslichem Rufmord.

Die #metoo-Debatte 2017 hat gezeigt, dass es möglich ist, ein System des Missbrauchs zu durchbrechen und die Verantwortlichen, wie in jenem Fall den Vergewaltiger Harvey Weinstein, zu Fall zu bringen.

Die Doku zeigt, dass nun auch in der deutschen Film- und Theaterbranche gegen Machtmissbrauch vorgegangen wird. Betroffene, die ihr Schweigen brechen. Verbündete, die sie unterstützen und ebenfalls nicht über den Missbrauch schweigen und Journalist:innen, die über solche Fälle berichten.

Die Schweiz hinkt hinterher

Wie damals beim Frauenstimmrecht hinkt die Schweiz auch beim Thema Machtmissbrauch in der Film- und Theaterbranche hinterher. Nicht, dass es so etwas bei uns nicht gäbe, ganz im Gegenteil. Wie die Expertin für sexualisierte Gewalt, Agota Lavoyer, bereits 2022 in ihrem Gastbeitrag «#Metoo und die Schweizer Filmbranche» schrieb, ist auch die Schweizer Filmbranche kein Kind von Unschuld. Dennoch wird Machtmissbrauch hierzulande noch zu oft totgeschwiegen.

Organisationen wie FemaleAct oder der 2018 gegründete Verein SWAN – Swiss Women’s Audiovisual Network setzen sich dafür ein, Frauen (bzw. FLINTAs) innerhalb der Schweizer Film- und Theaterbranche zu vernetzen und strukturellen Machtmissbrauch aufzubrechen. Zu diesem Zweck hat der Verein SWAN auch den Insta-Account «Ch_metoowall» ins Leben gerufen, auf dem Betroffene anonym über ihre Erfahrungen berichten können.

Der mutmassliche Rufmord

Machtmissbrauchende Personen können ihre Macht nur solange aufrechterhalten, wie die Betroffenen und ihre Verbündeten schweigen. Sobald sie mit den Vorwürfen konfrontiert werden, reagieren sie daher mit dem mutmasslichen Rufmord. Meist wird diese Strategie über Anwälte umgesetzt, um den eigentlichen Täter in die Opferrolle zu stellen und jene, die über die Vorwürfe sprechen, zu verängstigen und zum Schweigen zu bringen.

Dieses Verhalten zeigte sich bereits in der #metoo-Debatte um Harvey Weinstein sowie in der NDR-Doku. Statt sachlich auf die Vorwürfe zu reagieren, drohen die Beschuldigten mit der Strategie des mutmasslichen Rufmords. Ihr Ziel: die Journalistinnen zu verunsichern, damit diese ihre Recherche nicht weiterverfolgen.

Am Ende der NDR-Doku steht die Frage der Verantwortung. Denn nebst den Tätern stehen auch Produktionsfirmen, Sponsoren und das Publikum in der Verantwortung Machtmissbrauch nicht zu unterstützen. Die NDR-Doku ist daher ein guter Anfang, das Schweigen zu brechen.

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