Ein Buch gegen die Ohnmacht der Betroffenen
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Sexualisierte Gewalt
Review

Ein Buch gegen die Ohnmacht der Betroffenen

09.08.2023 12:08 - update 15.08.2023 14:17
Michael Kempf

Michael Kempf

Das Buch «Hast du Nein gesagt?» beschäftigt sich mit einem Thema, das uns alle angeht – sexualisierte Gewalt. Warum gerade auch Männer dieses Buch lesen sollten, erfährst du in diesem Artikel.

«Ein beeindruckendes Buch gegen die Ohnmacht, die einen als Betroffene, als Angehörige, als Gesellschaft lähmt. Jetzt kann eine neue Debatte über sexualisierte Gewalt beginnen», schreibt Salome Müller von DIE ZEIT Schweiz über das Buch «Hast du Nein gesagt?»

Hinter dem Buch stehen die beiden Journalistinnen Miriam Suter und Natalia Widla. Das Buch entstand, als in der Schweiz über die Reform des Sexualstrafrechts debattiert wurde.

Von Betroffenen bis hin zur Polizei

Das erste Drittel des Buches behandelt den Umgang der Polizei mit sexualisierter Gewalt. Eine Betroffene berichtet, wie sie nach einer Vergewaltigung den Vorfall immer wieder schildern musste und von den Behörden nicht immer mit dem nötigen Verständnis behandelt wurde.

Eine Opferhilfeberaterin erzählt von den vielen Frauen, die sie in einem Prozess begleitet hat und davon, wie schwierig ein solcher Prozess für die Betroffenen sein kann.

Eine Polizeischuldirektorin erklärt, warum die Polizei bei einer Anzeige bestimmte Fragen stellen muss, aber auch, dass die Polizeikorps nun vermehrt geschult werden, um im Umgang mit sexualisierter Gewalt richtig zu reagieren und die nötige Sensibilisierung gegenüber den Betroffenen zu erreichen.

Von der Schockstarre bis zu misogynen Vorurteilen

Das zweite Drittel beginnt wieder mit der Geschichte einer Betroffenen, die über ihre Erfahrungen mit der Opferberatungsstelle berichtet. Die Notwendigkeit von Opferberatungsstellen wird auch von Agota Lavoyer, Expertin für sexualisierte Gewalt, betont.

Auch sie kommt im Buch zu Wort und erläutert, welche misogynen Vorurteile beim Thema Vergewaltigung immer noch vorherrschen und inwiefern dies die Strafverfolgung beeinflussen kann.

Agota Lavoyer

Agota Lavoyer ist Expertin für sexualisierte Gewalt.
Als Opferhilfeberaterin hat sie in den letzten Jahren hunderte Opfer sexualisierter Gewalt begleitet, ihre Angehörigen unterstützt und viele Fachpersonen beraten, die im Zusammenhang mit Vorfällen sexualisierter Gewalt Fragen hatten. Sie engagiert sich nun als Referentin, Buchautorin und Kolumnistin für einen gesellschaftspolitischen Wandel und für ein Umdenken bezüglich sexualisierter Gewalt.

Die Reform des Sexualstrafrechts

Im letzten Drittel des Buches wird der Blick auf das heutige Strafrecht gerichtet. Wieder kommt eine Betroffene zu Wort, die ihre Erfahrungen bei der Einvernahme ihrer Anzeige schildert.

Als das Buch im März erschien, debattierten Stände- und Nationalrat noch über die Reform des Sexualstrafrechts. Inzwischen hat man sich auf die Widerspruchslösung «Nein heisst Nein» geeinigt. Im Buch kommen auch Nationalrätin Tamara Funincello und Bundesrätin Karin Keller-Sutter zu Wort und erklären, warum die Reform des Sexualstrafrechts in der Schweiz längst überfällig war.

Ein Buch nicht nur für Betroffene

«Hast du Nein gesagt?» ist ein Buch, das Betroffenen von sexualisierter Gewalt aus der Seele spricht. Sie finden Gehör und werden ernst genommen. Aber auch für Nichtbetroffene oder Menschen, die sich noch nicht so intensiv mit dem Thema sexualisierte Gewalt auseinandergesetzt haben, kann ich das Buch sehr empfehlen.

Die ehrliche Sicht, die die beiden Journalistinnen aus ihren Protagonist:innen herausholen konnten, berührt und regt zum Nachdenken an. Sexualisierte Gewalt ist kein Kavaliersdelikt und darf auch nicht als solches verharmlost werden. Dieses Buch trägt dazu bei, Vergewaltigungen beim Namen zu nennen und den Betroffenen die Glaubwürdigkeit zu geben, die sie verdienen.

Es gibt nicht «den Vergewaltiger», der nachts im Gebüsch lauert. Freunde, Verwandte, Bekannte, Mitarbeitende: Sie alle können sexualisierte Gewalt ausüben. Und spätestens seit der #Metoo-Debatte um Harvey Weinstein sollte klar sein: Auch Oscar-Academy-Mitglieder können Vergewaltiger sein.

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