Drogen, Suizid & Einsamkeit: Ein Kind alkoholkranker Eltern erzählt seine Geschichte
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Aktionswoche
Basel-Stadt

Drogen, Suizid & Einsamkeit: Ein Kind alkoholkranker Eltern erzählt seine Geschichte

12.03.2024 18:15 - update 13.03.2024 06:29
Maximilian Karl Fankhauser

Maximilian Karl Fankhauser

Rund 100’000 Kinder wachsen in der Schweiz mit alkoholkranken Elternteilen auf. Michel Sutter erzählt, wie ihn das selbst in die Sucht getrieben hat. Und wie er den Weg heraus fand.

100’000 Kinder. So viele wachsen in der Schweiz nach Schätzungen mit mindestens einem alkoholkranken Elternteil auf. Dies schreibt die Abteilung Sucht des Kantons Basel-Stadt. Einsamkeit, Schuldgefühle und Verunsicherung sind oftmals Folgen, unter denen die Kinder zu leiden haben. Zudem ist das Risiko um ein Sechsfaches grösser, im Erwachsenenalter selbst der Sucht zu verfallen oder unter anderen psychischen Problemen zu leiden. Vom 11. bis 17. März findet deswegen die nationale Aktionswoche für Kinder suchtkranker Eltern statt.

Jemand, der dies an seinem eigenen Leib erfahren musste, ist Michel Sutter. Der mittlerweile 50-Jährige wächst mit alkoholkranken Eltern auf. Auch psychische Krankheiten und Suizidversuche begleiten die Geschichte seiner Eltern. Im Umfeld seiner Familie sind sich Menschen der Situation bewusst – eingeschritten sei aber niemand. «Als sich mein Vater zum ersten Mal das Leben nehmen wollte, versuchte er es mit seinem eigenen Sturmgewehr.» Sutter ist damals vier Jahre alt.

Obwohl die Polizei vor Ort ist, wird das Gewehr nicht konfisziert und bleibt im Haushaltsbestand. Die Gewalt, die er erleben muss und auch die Angst vor einem blutigen Ende prägen Sutters Kindheit. «Ich habe sicher auch schöne Zeiten erlebt. Ich habe vor allem einen permanenten Druck erlebt, ein Wechselbad der Gefühle. Ich musste immer schauen: Wie darf ich sein, wie muss ich sein, damit man mich gerne hat.»

Die Suche nach der Vertrauensperson

Als Sutter 20 Jahre alt ist, nimmt sich sein Vater mit dem Sturmgewehr des Bruders das Leben. Die stete Belastung, der Sutter ausgesetzt ist, hat ihn dann selbst in die Sucht getrieben. Das erste Bier trinkt er als 14-Jähriger, später kommen dann die Drogen dazu. Sutter begibt sich in Therapie, die Spirale zieht ihn dennoch immer weiter runter. «Ich habe im Wald gelebt und bin in Häuser eingebrochen. Damit ich mir die Drogen leisten konnte.»

Eines Nachts stellt er sich der Polizei. «Es hat dann eigentlich wirklich fast das Bewusstsein des bevorstehenden Todes gebraucht, als es dann Klick gemacht hat.» Nach einem Jahr im Gefängnis und in der Entzugsklinik zieht er 2011 in eine eigene Wohnung und findet einen Job. Seither ist Michel Sutter clean.

Rückblickend sei ihm bewusst, was ihm in dieser schweren Zeit gefehlt hat: «Ich habe mich damals wirklich nach einer Vertrauensperson gesehnt, habe aber keine gefunden.» Aus der heutigen Perspektive sei ihm aber auch bewusst, dass sein Umfeld und vor allem auch die Verwandten mit der Situation komplett überfordert waren.

Hemschwelle muss auf verschiedenen Wegen angegangen werden

Sutter ist überzeugt davon, dass seine Geschichte heute anders ablaufen würde. Unter anderem, weil die Behörden nicht mehr wegschauen. Auch der Kanton Basel-Stadt ist bereits zum fünften Mal Teil der nationalen Aktionswoche für Kinder suchtkranker Eltern. Seit Montag stehen auf zehn Spielplätzen Plakate, die auf die Probleme hinweisen.

Damit wolle man ein Zeichen setzen, sagt Regine Steinauer, die die Abteilung Sucht des Kantons leitet. «Es fällt uns Menschen grundsätzlich schwer, zu sagen: Ich habe ein Problem, ich brauche Unterstützung.» Egal in welchem Alter. «Im Kindesalter, im jugendlichen Alter ist das vielleicht noch etwas schwerer, sich an jemanden zu wenden. Diese Hemmschwelle müssen wir auf verschiedenen Wegen und nicht suchtspezifisch angehen.»

Je früher man betroffene Kinder begleiten würde, desto besser seien die Aussichten auf ein gesundes und glückliches Leben, sagt Steinauer. Ein Punkt, an dem Michel Sutter mittlerweile angekommen ist. Er arbeitet nun als Sucht-Coach und hilft Menschen, mit ihren Süchten umgehen zu können. «Ich habe meine Sucht überwunden. Ich bin versöhnt mit meiner Vergangenheit. Und es geht mir besser, als dass ich es mir in meinen ersten 36 Jahren meines Lebens jemals hätte vorstellen können.»

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