Eifersucht oder Notwehr? Strafgericht muss Messerstecherei in der Steinen beurteilen
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Prozess
Basel-Stadt

Eifersucht oder Notwehr? Strafgericht muss Messerstecherei in der Steinen beurteilen

17.09.2024 18:28 - update 19.09.2024 12:54
David Frische

David Frische

Im Messerstecherei-Prozess am Basler Strafgericht haben Staatsanwaltschaft und Verteidigung am Dienstag ihre Plädoyers gehalten. Entweder handelte der Angeklagte in eiskalter, böser Absicht oder er stach aus Notwehr zu.

Ein kalter Samstagabend im Dezember 2023. Zwei Personengruppen treffen im Soho-Club in der Steinenvorstadt aufeinander. In der einen Gruppe der Angeklagte, in der anderen der Geschädigte. Die Begegnung begann mit Small-Talk auf der Tanzfläche und endete kurze Zeit später mit vier Messerstichen in der Steinen vor dem Club. Die Details zur bisherigen Verhandlung am Basler Strafgericht kannst du hier nachlesen:

Seit dem Abend des 2. Dezember 2023 sitzt der mutmassliche Täter in Haft. Seit Montag wird dem 23-jährigen Türken am Strafgericht der Prozess gemacht. Die Anklage: versuchte vorsätzliche Tötung, dazu noch die illegale Einreise und der illegale Aufenthalt in der Schweiz.

Beschuldigter zeige «manipulatives Verhalten»

Am zweiten Verhandlungstag hielten die Parteien ihre Plädoyers. Für die Staatsanwaltschaft ist klar: Der Beschuldigte M.T.* ist ein kaltblütiger Täter, der seinen Kontrahenten N.A.* im Streit vorsätzlich mit vier Messerstichen lebensgefährlich verletzte und danach die Tat zu vertuschen versuchte. Dass er das Messer aus Notwehr benutzte, glaubt Staatsanwältin Sherilyn Kirchhofer mit keinem Wort. Wenn dem so gewesen wäre, hätte er das Sackmesser im Streit auch einfach hervorholen und zeigen können – sein Widersacher hätte ihn dann fallen lassen «wie eine heisse Kartoffel», ist sie überzeugt. Stattdessen stach M.T. «nicht einmal, nicht zweimal, nicht dreimal, sondern gleich viermal» in die Brust des Geschädigten.

Die Staatsanwältin sieht im Beschuldigten ein «manipulatives Verhalten». Er verschleiere seine Tat mit Unwahrheiten, indem er sich in die Opferrolle begebe. Das Verfahren zeige aber, dass der Angeklagte mehrfach widersprüchliche Aussagen zum Tatgeschehen gemacht habe, die er fortlaufend anpasste. So sei M.T. mal vom Geschädigten N.A., dann von dessen Kollegen geschlagen worden. Zudem gebe es «keinerlei Beweise» für ein lebensgefährdendes Verhalten des Geschädigten gegenüber dem Angeklagten. So lasse sich nicht belegen, dass M.T. von N.A. im Streit vor dem Soho-Club tatsächlich mit beiden Händen gewürgt worden sei, da später bei der medizinischen Untersuchung keine Würgemale oder sonstige Verletzungen am Hals festgestellt wurden.

Vielmehr habe der Beschuldigte sein Vorgehen bis zu einem gewissen Grad geplant. «In Panik würde man doch eher um sich schlagen, als ein Klappmesser zu öffnen», so die Staatsanwältin.

Hohe Freiheitsstrafe und Genugtuung gefordert

Auch die rechtswidrige Einreise und der rechtswidrige Aufenthalt in der Schweiz sieht die Staatsanwaltschaft als erwiesen an. Dass der Angeklagte bei einer Einreise per Flugzeug nach Zürich nach zwei Zollkontrollen keinen Einreisestempel im Pass hat, könne kein Zufall sein.

Staatsanwältin Kirchhofer beantragt dem Gericht einen Schuldspruch in allen Anklagepunkten und eine Freiheitsstrafe von sechseinhalb Jahren, dazu einen Landesverweis von zehn Jahren.

Der Geschädigte tritt im Prozess als Privatkläger auf. Sein Anwalt Markus Trottmann sieht die Straftatbestände ebenfalls als erwiesen an. Für das Erlittene fordert er vor Gericht einen Schadenersatz von 1’400 Franken für N.A. und eine Genugtuung von 25’000 Franken.

Verteidiger: «Von Klischees geleitete Untersuchung»

Eine grundlegend andere Sicht auf die Geschehnisse hat die Verteidigung des Angeklagten. Von einer schweren Verletzung durch Messerstiche dürfte nicht auf eine schwere Straftat geschlossen werden, argumentiert Anwalt Jonas Eggmann in seinem Plädoyer vor Gericht. Er sieht in seinem Mandanten ein Opfer, keinen Täter. «Nichts ist verifiziert.» Die Staatsanwaltschaft mache es sich mit ihren Behauptungen zu einfach. In einer Situation wie einer solchen mit einem Streit im Ausgang gebe es nicht einfach Gut und Böse.

Zudem sei die Strafuntersuchung von Beginn weg «einseitig geführt» worden. «Meinem Mandanten wurde nichts geglaubt. Die Seiten waren schnell gemacht, die Rollen schnell verteilt.» Die Staatsanwaltschaft habe sich in ihrer Untersuchung «verrannt». Und sie habe sich von Klischees wie «dem eifersüchtigen türkischen Mann» leiten lassen, der auf sein Opfer, einen «arbeitenden zweifachen Familienvater» eingestochen habe.

«Mandant versuchte verzweifelt, sich zu befreien»

Dabei sei es ganz anders gewesen. Sein Mandant habe sich nicht auf Aggressionen einlassen wollen und sei froh, dass er diesen Abend überlebt habe, so Eggmann. «Er handelte aus Notwehr.» Die Gruppe um den Geschädigten N.A. habe sich in die Gruppe des Beschuldigten M.T. gedrängt, in der eigentlich eine fröhliche Stimmung geherrscht habe, und hätten insbesondere M.T. bewusst provoziert. Sein Mandant sei in Sachen Gewalt ein unbeschriebenes Blatt. Er sei schon öfters im Soho-Club im Ausgang gewesen und sei stets als «angenehm und zuvorkommend» beschrieben worden, so sein Anwalt mit Berufung auf Aussagen eines Club-Mitarbeitenden.

Vielmehr hätten N.A. und seine beiden Kollegen ein hohes Aggressionspotenzial an den Tag gelegt. N.A. habe dem deutlich kleineren und schmächtigeren M.T. gedroht. Aufgrund seiner körperlichen Unterlegenheit, der Trunkenheit von N.A. und dessen belästigendem Verhalten habe sein Mandant Angst gehabt, ist Eggmann überzeugt.

Draussen vor dem Club sei M.T. dann in einer 1:3-Unterzahlsituation gewesen. N.A. sei auf ihn losgegangen, habe ihn gepackt, geschlagen und schliesslich gewürgt. «Er versuchte verzweifelt, sich zu befreien, was ihm aber nicht gelang», so der Anwalt über seinen Mandanten. Hilferufe seien ungehört geblieben. So habe er sich schliesslich mittels seines Sackmessers zur Wehr gesetzt. Die fehlenden Würgemale am Hals des Angeklagten erklärt Eggmann mit der Kleidung: Wenn ein Kleidungsstück die Haut verdecke, sei es medizinisch nachvollziehbar, dass auch ein Würgen mit festem Händedruck nachträglich nicht sichtbar sei.

Verteidigung will vollumfänglichen Freispruch

Die Verteidigung fordert für den Beschuldigten einen vollumfänglichen Freispruch. Auch in den Anklagepunkten der rechtswidrigen Einreise und des rechtswidrigen Aufenthalts. Sein Mandant habe zu diesem Zeitpunkt ein gültiges Schengenvisum des Typs D gehabt, das gemäss Bestimmungen des Staatssekretariats für Migration auch zur Einreise in die Schweiz berechtige. Seinem Mandanten stehe zudem eine Genugtuung von 73’000 Franken zu.

Das Strafgericht wird das Urteil am Donnerstagmorgen verkünden. Für den Beschuldigten gilt die Unschuldsvermutung. Baseljetzt wird vor Ort berichten.

*Namen der Redaktion bekannt

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