Giulia Steingruber: «Es zieht einem komplett den Boden unter den Füssen weg»
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Giulia Steingruber: «Es zieht einem komplett den Boden unter den Füssen weg»

12.01.2024 18:21 - update 14.01.2024 19:30

Ann Weber

Ein falscher Schritt, ein ausgerenktes Gelenk, eine misslungene Landung oder ein unglücklicher Sturz – die Wege, sich beim Sport zu verletzen, sind so vielfältig wie die Disziplinen selbst. Über den harten Weg der Rehabilitation spricht kaum jemand.

Wenn der Körper plötzlich zum Hindernis wird, beginnt eine anspruchsvolle Reise der Genesung. Drei individuelle Geschichten von Sportlern.

Ein Traum verbindet Giulia Steingruber, Joana Mäder und Nicolas Hunziker. Aber nicht nur sie drei, sondern eine Gruppe von Menschen, die Tag für Tag an die sportlichen Grenzen des Möglichen gehen. Die Tag für Tag, sichtbar oder unsichtbar, trainieren, ihre Defizite aufarbeiten und das, was sie gut können, noch besser lernen. Die Gruppe von Menschen, die im Fernsehen bewundert wird, wenn sie eine Medaille gewinnt. Das sind sie: Die Spitzensportler:innen.

Aber sie verbindet auch etwas anderes: Jeden Tag leben sie mit dem Risiko, dass ihr Körper streiken könnte, dass er nicht mehr so funktioniert, wie er sollte. Das Risiko, dass eine Bewegung den grossen Traum zerstören könnte, ist allgegenwärtig. Ihr Körper ist ihr Kapital; und so greifbar der Traum in einem Moment ist, so unglaublich weit weg kann er im nächsten sein.

Und dieses Risiko gehen sie als Sportler:innen täglich ein. In diesem Artikel geht es um den oft vernachlässigten Teil der Verletzung, die Rehabilitation, das Zurückkämpfen und die Probleme auf dem Weg dorthin.

Werde ich jemals wieder so gut sein, wie ich einmal war?

Sie war die ganz Grosse in ihrem Sport und hat den Turnsport in der Schweiz geprägt. Giulia Steingruber. Während viele ihren Namen, ihre spektakulären Turnauftritte oder ihre Olympiamedaille kennen, bleibt ihre lange Verletzungsgeschichte meist im Hintergrund.

Die Anfänge

Mit sieben Jahren steht die kleine Giulia erstmals im Turntenue. Als Giulia in ganz jungen Jahren ihren Weg in die Halle findet, lässt sich ihre langjährige Karriere im Sport wohl kaum vorhersagen. Aber schnell verliebt sich Giulia unsterblich in den Sport. Sie verbringt ihre Kindheit in Hallen und bleibt diszipliniert an ihren Bewegungsabläufen dran.

Dahinter eine grosse Liebe und Faszination für den Sport: «Ich liebte schon immer das Gefühl, das man beim Turnen hat. Für mich ist es das Gefühl der absoluten Freiheit. Ich habe immer diese enorme Kontrolle über den Körper bewundert, die man als Kunstturnerin haben kann.»

Aus einem Kindheitshobby wird aber schnell mehr – Denn Giulia ist eine talentierte Kunstturnerin. Jede Woche stehen mindestens 28 Stunden Training auf dem Plan. Ihr Fleiss und ihre Disziplin tragen Früchte: Bei Giulia häufen sich in ihrem Jahrzehnt als Profisportlerin zahlreiche Medaillen. Neben Schweizer-, Europa- und Weltmeisterschaftsmedaillen hat sie auch die wohl grösste Auszeichnung für eine Sportlerin gewonnen: Eine olympische Medaille.

Körperliche Verausgabung

Während die unzähligen Medaillen zweifelsohne von Giulias erfolgreicher Karriere zeugen, scheinen Verbände, Tapes und das Hinken eine andere Seite des Sports zu offenbaren. Eine Seite, die Zuschauer, Fans und Normalos so gut wie nie zu Gesicht bekommen.

Körperlich musste Giulia immer wieder Rückschläge einstecken. Sei es eine Knieverletzung, die ihre Saison 2015 abrupt beendete, ein Aussenbandteilriss und Knochenabsplitterungen im Sprunggelenk, die sie 2017 ebenfalls zum Saisonabbruch zwangen oder ihr Kreuzbandriss 2018. Auch Corona war keine leichte Zeit für Steingruber. Zuletzt folgte ein Muskelfaserriss 2021, kurz vor ihrem Rücktritt.

Giulia gab zu dieser Zeit trotz Rückschlägen mehrmals ein Comeback. Und sie gewann auch: Olympia Dritte (2016), Weltmeisterschaftsbronze (2017) und mehrmals Europameisterin (2015, 2016, 2021). Ohne Druck gehen Comebacks aber nicht: «Für mich als Sportlerin war es immer wichtig, ein gewisses Niveau zu halten, sonst hätte ich es nicht mehr mit mir vereinbaren können. Das ist ein enormer Druck für alle Athleten und Athletinnen in diesen Situationen.»

Wie viel Energie Reha kostet

Wie schwer es ist, durch Verletzungen in seinen sportlichen Ambitionen ausgebremst zu werden, musste Giulia am eigenen Körper erfahren. «Es zieht einem komplett den Boden unter den Füssen weg», meint die ehemalige Spitzensportlerin. «Es gibt nie einen guten Zeitpunkt, um sich zu verletzen. Der Moment ist immer blöd. Danach weiss man, dass eine lange Reha auf einen zukommt und man jetzt viel Geduld braucht. Geduld mit sich selbst, aber auch Geduld mit dem Körper.»

Diese Geduld ist es, die die Rehabilitation so anspruchsvoll macht. Die eigenen Ziele von einem dreifachen Salto auf das Laufen ohne Stöcke zu reduzieren, ist nicht einfach. Für Giulia ist das aber der Schlüssel, um nach einer Verletzung weitermachen zu können. Sich kleine Ziele zu setzen und sich über Fortschritte zu freuen, kann die Sportkarriere nach Verletzungen am Leben halten.

Auch das mentale Training war für sie sehr wichtig. 2021 trat sie dann vom Spitzensport zurück. Zu diesem Zeitpunkt war sie körperlich und mental extrem erschöpft. Sie habe sich entschieden, ihre Gesundheit in den Vordergrund zu stellen und auf ihren Körper zu hören. Dem Sport wird sie aber immer verbunden bleiben. Denn schliesslich habe neben viel Stress und Verletzungspech auch viel Liebe zum Sport ihre Karriere geprägt.

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