Illegal über die Grenze in Richtung Deutschland: «Sie haben nur einen Rucksack dabei»
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Geflüchtete
Basel-Stadt

Illegal über die Grenze in Richtung Deutschland: «Sie haben nur einen Rucksack dabei»

09.12.2023 07:28 - update 09.12.2023 17:17
Tim Meyer

Tim Meyer

In Deutschland suchen geflüchtete Menschen nach einem besseren Leben. Die meisten illegal und mit Durchreise durch die Schweiz. Wir haben zwei junge Bundespolizist:innen bei ihrer Arbeit begleitet.

Es ist ein Balanceakt zwischen täglicher Routine und Mitgefühl für Menschen. Luca und Paula sind beide erst kürzlich an der Schweizer Grenze stationiert worden. Ihr Job: Illegale Migrant:innen abfangen, bevor sie deutschen Boden erreichen. Denn sobald die Geflüchteten in Deutschland sind, können sie Asyl beantragen. Seit Mitte Oktober sind die Grenzkontrollen verschärft, weil es immer mehr Migrant:innen gibt.

Auch das 8er-Drämmli wird durchsucht

An der Grenze in Weil fangen die Bundespolizist:innen einen schwarzen Transporter ab, der aus der Schweiz kommt. «Der Transporter hat keine Fenster an der Seite und deshalb können wir nicht hinten hineinschauen. Es kam schon vor, dass Menschen hinten auf einer Ladefläche waren.» Dieses Mal ist es ein Fehlalarm. Die Ladefläche ist leer – der Mann geht Möbel kaufen. Aber nicht nur Fahrzeuge, die die Grenze überqueren, stehen im Fokus der Kontrollen, sondern auch der ÖV. Das 8er-Tram wird an der Grenze angehalten. Luca betont bei den Fahrgästen: «Hier ist kein Ausstieg. Das ist eine Grenzkontrolle, alle Ausweise bitte.»

Fahrgäste sind genervt

Das ganze Tram zu durchsuchen, braucht Zeit – und führt zu Verspätungen. Das stösst bei vielen auf Unmut, wie Paula sagt: «Viele der Fahrgäste sind sehr genervt, haben keine Lust und meckern auch gerne mal. Manche wollen sich gar nicht ausweisen.» Es gäbe aber auch Menschen, die die Kontrollen verstehen und die Ausweise sofort zeigen. (Paula stösst auf einen Mann der keinen Ausweis dabei hat. Auch als sie nach einem Foto fragt, winkt der Mann ab und sagt ironisch «tschüss». Sie geht nicht weiter auf die Spielchen ein, der Mann mit C-Ausweis kommt ungeschoren davon.) Auch im Tram finden die beiden Bundespolizist:innen keine illegalen Migrant:innen. Generell gibt es wenige Migrant:innen, die via Weil am Rhein nach Deutschland flüchten. Anders sieht es am Bahnhof SBB aus.

Im ICE direkt nach Berlin

Paula und Luca sind nicht nur an der Grenze in Weil am Rhein tätig. Am Bahnhof SBB steigen sie in den ICE nach Berlin ein und kontrollieren den ganzen Wagen. Sie fangen hinten an, zwei Kolleg:innen kommen ihnen von vorne entgegen. Sieben Minuten Zeit – Endstation Badischer Bahnhof. Die Beiden müssen bis dorthin illegale Fahrgäste aufspüren, sonst ist es zu spät. Ab dem Badischen Bahnhof hätten es die illegalen Migrant:innen auf deutschen Boden geschafft und die Bundespolizei könnte sie nicht mehr an die Schweiz zurückweisen.

Meist junge Männer

Im Zug fallen den Bundespolizist:innen vier junge Männer auf. Als sie auf Deutsch nach dem Ausweis gefragt werden, können sich die Männer kaum artikulieren. Auch auf Englisch geben sie keine Antwort – sichtlich überfordert mit der Situation. Mit Mühe und Not finden Paula und Luca die Nationalität der Männer heraus: Afghanistan. Für die Polizei ist klar, diese Männer müssen aus diesem Zug. Aber warum sind gerade diese vier aufgefallen? «Sie haben nur einen Rucksack dabei, sind jung und alleinreisend und haben auch keinen Reisepass dabei».

Racial Profiling kaum zu verhindern

Die meisten geflüchteten Menschen sind junge Männer. Darum stehen sie bei den Kontrollen im Fokus. Das viele von ihnen aufgrund ihrer Hautfarbe oder Nationalität mit Flucht in Verbindung gebracht werden, ist diskriminierend. Dabei handelt es sich um «Racial Profiling», also das Personengruppen von Polizist:innen als «andersartig» empfunden werden aus ethnischen oder religiösen Gründen. Dass dieses Profiling für die Bundespolizist:innen kaum zu vermeiden ist, zeigt auch dieser Fall: Die vier Männer aus Afghanistan sind illegale Migranten.

Illegal über die Grenze in Richtung Deutschland: «Sie haben nur einen Rucksack dabei»
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Fühlen sich als «Kriminelle»

In der Bearbeitungsstrasse werden die Personendaten aufgenommen. Das heisst: Fingerabdrücke nehmen, Bilder machen, Dokumente fertigen und komplett ausziehen. Auch wenn Paula dieses Prozedere schon viele Male durchgemacht hat, sei es immer schwer. Die Geflüchteten würden nur nach einem besseren Leben suchen. Deshalb fühlen sich die Männer wie Kriminelle, sagt Santela aus Aqchah (Stadt in Afghanistan): «In der Schweiz dauert es zu lange, um mein Asyl zu akzeptieren. Ich will nach Deutschland, dort werde ich aber wie ein Krimineller behandelt. Ich fühle mich schlecht.»

Eine endlose Geschichte

Santela sagt, er würde es wieder versuchen, zu flüchten. Denn: Die Bundespolizei wird Santela und die anderen Geflüchteten wieder an die Schweiz zurückweisen. Wenn sie dort kein Asyl beantragen, werden sie von der Schweizer Behörde freigelassen. Dann können sie einen nächsten Fluchtversuch nach Deutschland starten – und der endlose Kreis dreht sich weiter.

Luca hat Verständnis für die Geflüchteten: «Die Menschen sind viele Kilometer gereist und Tage, Wochen, Monate oder Jahre unterwegs. Sie lassen sich nicht von einer Kontrolle hier stoppen. Sie werden es wieder und wieder versuchen, egal wie oft die Leute vor der Grenze stehen und bei uns in der Kontrolle sind.»

Somit werden es früher oder später auch die vier jungen Männer aus Afghanistan über die Grenze schaffen.

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