KI-Songs gehen viral – warum das für die Musikbranche problematisch ist
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Künstliche Intelligenz
Schweiz

KI-Songs gehen viral – warum das für die Musikbranche problematisch ist

19.05.2023 18:03 - update 19.05.2023 18:11

Lars Franzelli

Ein Song wirbelt die gesamte Musikindustrie auf. Wir zeigen mithilfe eines erfundenen Szenarios auf, was es damit auf sich hat und, was das für die Schweiz bedeutet.

The Future is now. In den USA ging vor einigen Wochen der Song «Heart on My Sleeve» viral. Innert kürzester Zeit wurde der Song auf TikTok 15 Millionen Mal aufgerufen. Auf Spotify und YouTube erzielte der Song ebenfalls mehrere Hunderttausend Aufrufe.

Das Spezielle daran: Auch wenn die Stimmen täuschend echt nach Drake und The Weeknd klingen, sollen die Künstler die Zeilen nicht selbst vertont haben. Ein Ghostwriter behauptet, den Song selbst geschrieben zu haben. Er habe früher jahrelang als Ghostwriter Songs für Künstler:innen geschrieben und sei so gut wie gar nicht bezahlt worden, schrieb er in einem Kommentar.

Die Stimmen der bekannten Künstler sollen mithilfe von künstlicher Intelligenz nachgeahmt worden sein. Der Song, der vom Kanal «Ghostwriter977» veröffentlich wurde, ist zwischenzeitlich von Spotify, Apple Music und Youtube entfernt worden. In abgeänderter Form ist er wieder auf Youtube zu finden.

Das Label von Drake, Universal Music, kritisiert den KI-Trend in einem Statement: Das Training generativer KI mit der Musik der Künstler des Labels, verstosse sowohl gegen die Vereinbarungen des Labels, als auch gegen das Urheberrecht.

Die Beteiligten sollen sich fragen, auf welcher Seite der Geschichte sie stehen wollen: «auf der Seite der Künstler, der Fans und des menschlichen kreativen Ausdrucks oder auf der Seite der tiefgreifenden Fälschungen, des Betrugs und der Verweigerung der den Künstlern zustehenden Vergütung.» Harte Worte des Labels, die natürlich auch die kommerziellen Interessen des Unternehmens widerspiegeln.

Juristen in der Schweiz bereiten sich auf offene Rechtsfragen vor

Klar, dass dieser Song hohe Wellen schlug. Er ist ein Vorbote dessen, was auch Schweizer Künstler:innen in den kommenden Monaten und Jahren erwarten dürfte. Wenn mit dem Computer die Stimmen der Künstler:innen so gut nachgeahmt werden können, dass praktisch kein Unterschied erkennbar ist – was bedeutet das dann für die Musikbranche?

Auf der einen Seite gibt es amüsante KI-Covers, so wie etwa Kanye West, der «The Real Slim Shady» von Eminem «singt». Diese «Spielereien» scheinen auf den ersten Blick relativ harmlos. Problematischer ist es, wenn jemand in der Schweiz mit einem sogenannten KI-Song kommerziellen Erfolg hätte. Wäre das legal?

Alfred Früh ist an der Universität Basel Professor für Privatrecht mit Schwerpunkt Life Sciences-Recht und Immaterialgüterrecht. Er und sein Team setzen sich mit genau diesen Fragen auseinander. Solche dürften früher oder später auch in der Schweiz ein Thema werden.

KI-Songs gehen viral – warum das für die Musikbranche problematisch ist
Alfred Früh setzt sich mit den neuen Fragestellungen auseinander. Bild: zvg

Wir konfrontieren ihn mit einem praktischen Beispiel: Jemand lädt einen Song im Internet hoch, der die Stimme von Baschi mithilfe künstlicher Intelligenz perfekt imitiert. Dieser hat keine Kenntnis davon.

Wohl keine Urheberrechtsverletzung

Falls ein von Baschi komponiertes Werk wiedergegeben worden wäre, dann wäre der Fall klar. Es würde sich um eine Urheberrechtsverletzung handeln, erklärt Früh. Dies wäre in unserem hypothetischen Beispiel aber nicht der Fall. Denn: Das Stück wäre ja nicht von Baschi selbst komponiert. Diese Möglichkeit fiele also weg.

Universal Music bezog sich im Statement ebenfalls auf das Urheberrecht. Es sei ein Verstoss, wenn die KI mit urheberrechtlich geschützten Songs trainiert werde, so das Label. Dazu erklärt Früh, dass es diesbezüglich im Urheberrecht noch offen sei, was KI-Systeme dürfen und was nicht. Das hänge juristisch von zwei Punkten ab: «Ist das Training einer KI eine dem Rechtsinhaber vorbehaltene Handlung, auch wenn es nur darum geht, Merkmale zu extrahieren und nicht die Musik zu kopieren? Und: Greift eine Ausnahme des Urheberrechts?» Solche Ausnahmen könnte es theoretisch geben, die Diskussion stehe aber noch ganz am Anfang.

KI-Songs gehen viral – warum das für die Musikbranche problematisch ist
«Heart on my sleeve» soll nicht von Drak selbst stammen. Bild: Keystone

Eine weitere Möglichkeit für den Künstler, sich zu wehren, wäre das Interpretenrecht. Dieses ist ebenfalls im Urheberrechtsgesetz geregelt. Dabei handelt es sich um das Recht der Interpret:in an der von ihr/ihm aufgeführten Darbietung. Da es sich in unserem Beispiel aber auch um keine Darbietung handelt, würde auch dieses Recht nicht weiterhelfen, bestätigt Früh.

Verstoss gegen das allgemeine Persönlichkeitsrecht

Eine Möglichkeit für Baschi, sich zu wehren, wäre über das allgemeine Persönlichkeitsrecht, welches in Art. 28 ZGB geregelt ist. Zu diesem gehört nämlich auch das Recht am eigenen Bild. Das sei gefestigte Rechtsprechung, erklärt Früh. Es gebe zwar noch keine Rechtsprechung zum Recht an der eigenen Stimme und am eigenen Wort. «Jene Autor:innen, die sich damit beschäftigen, gehen meines Erachtens völlig zu Recht davon aus, es müsse das gleiche gelten, wie beim Recht am eigenen Bild», sagt Früh.

Dieses sei als Verbotsrecht ausgestaltet. «Das heisst: Wenn meine Stimme oder die von einer KI zusammengesetzten Attribute zu Unrecht verwendet werden, kann ich diese Verwendung vom Gericht verbieten lassen», erklärt Früh. «Die Stimme von Baschi geniesst damit im Schweizer Recht also doch einen gewissen rechtlichen Schutz», erklärt Früh. Baschi könnte in diesem Fall also verbieten, dass seine Stimme ohne seine Zustimmung verwendet wird – auch wenn sie von einer KI nachgeahmt wird.

Kommerzialisierung möglich

Laut Früh ist es aber auch möglich, die Nutzung der Stimme mit einem Lizenzvertrag zu erlauben und dafür ein Entgelt, also die Lizenzgebühr, zu verlangen. «Er hat sogar die Möglichkeit, seine Stimmattribute zu kommerzialisieren», sagt Früh. Ist Baschi also einverstanden, könnte er in diesem Fall jemandem gegen eine Entschädigung ermöglichen, seine durch eine künstliche Intelligenz nachgeahmte Stimme zu verwenden.

Trotz Schutz problematisch

Früh weist aber darauf hin, dass trotzdem nicht alles unproblematisch ist: «Denn diese Verwendung der Technologie kann für grosse Transparenz- und Rechtsdurchsetzungsprobleme sorgen.» Auf Streaming-Plattformen wie etwa YouTube und Spotify sei die Kontrolle relativ einfach möglich.

Was aber, wenn jemand unerlaubt Werbung, etwa für ein Produkt oder eine Partei, mit der Stimme von Baschi machen würde? In diesem Fall wäre es zunächst einmal schwierig feststellbar, ob es sich tatsächlich um Baschi selbst handelt. Dafür suche man in der Forschung nach Lösungen.

Dies könnte etwa ein technisches Wasserzeichen sein, Transparenzpflichten für die Verwendung von KI oder eine Kombination von beidem. «Lässt sich diese Frage nicht rasch klären, dauert auch die zivilrechtliche Durchsetzung der Ansprüche möglicherweise so lange, dass sich der angerichtete kommerzielle oder Reputationsschaden schon nicht mehr beheben lässt», sagt Früh.

Wie Schweizer Künstler:innen damit umgehen, ist offen. Mehrere Anfragen von Baseljetzt zum Thema blieben unbeantwortet. Klar ist, auch sie werden sich mit dem Thema auseinandersetzen müssen.

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Kommentare

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20.05.2023 08:05

Shanghai01

Und das nächste was dann noch obsolet wird sind die Juristen. AI kennt dann alle Gesetze und kann basierend darauf entscheiden und argumentieren.

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