
Mega-Prozess gegen 36-jährigen Hells Angel: Soziologe und Kriminologe Dirk Baier ordnet ein
Larissa Bucher
Am Strafgericht läuft ein Prozess gegen ein Mitglied der Hells Angels. Die Liste der Vorwürfe ist lang und reicht von Betrug über Vergewaltigung bis hin zu illegalem Waffenbesitz. Soziologe und Kriminologe Dirk Baier von der ZHAW ordnet ein.
Seit Montag steht ein 36-jähriger Hells Angel vor dem Basler Strafgericht. Insgesamt soll der Prozess 12 Tage dauern. Die Anklageschrift in diesem Fall ist 52 Seiten lang und beinhaltet eine Vielzahl an Vorwürfen, die direkt aus einer Netflix-Serie stammen könnten. Soziologe und Kriminologe Dirk Baier von der ZHAW beantwortet die wichtigsten Fragen zum Prozess und klärt über Bandenkriminalität in der Schweiz auf.
Baseljetzt: Was ist Bandenkriminalität?
Dirk Baier: Es gibt unterschiedliche Definitionen. Grundsätzlichen müssen mehr als zwei Personen zusammenkommen und sie müssen dies mit dem Zweck tun, später gemeinsam Straftaten zu begehen. Das Ziel der Zusammenarbeit ist demnach eine Straftat.
Sind die Hells Angels eine Bande?
In der Schweiz tun wir uns damit etwas schwerer – zurecht. Hierzulande geht man von zwischen 150 und 200 Mitgliedern aus. Das würde also bedeuten, dass wir allen Mitgliedern unterstellen, sie seien Teil der Hells Angels, um Straftaten zu begehen. Das ist nicht ganz gerechtfertigt. Es gibt wahrscheinlich einige, die bloss das Motorradfahren und die damit verbundene Freiheit geniessen wollen. Aber: Es gibt natürlich auch Mitglieder, die Straftaten in diesem Kontext begehen. Die Waage ist hier noch nicht in eine Richtung gekippt. In Deutschland hat man hingegen schneller entschieden, dass die Hells Angels als Bande einzustufen sind.
Ist der Prozess am Basler Strafgericht ein Bandenprozess?
Es ist ein Prozess gegen eine einzelne Person, die auch Mitglied in einer Hells Angels-Gruppierung war. Es geht also nicht um die ganze Gruppierung, sondern um eine einzelne Person, die es massiv übertrieben hat. Es ist eine Person, die sich ausserhalb des Rechts sieht.
Wie verbreitet ist Bandenkriminalität in der Schweiz?
Das wissen wir nicht. Es gibt hier keine Statistik zu Bandenkriminalität. In Deutschland hingegen werden seit einigen Jahren Statistiken zur organisierten Kriminalität – das ist ein Teil davon – veröffentlicht. So etwas gibt es in der Schweiz nicht. Man kann also keine genaue Zahl nennen und auch keine Trends erkennen. Man kann lediglich sagen, dass es solche Fälle gibt.
Will man diese Statistik-Lücke in der Schweiz künftig füllen?
Das ist nicht so einfach. Man müsse sich zunächst auf eine genaue Definition von Bandenkriminalität einigen – bei 26 Kantonen ist das nicht so einfach. Man konnte das auch in Deutschland beobachten: Es dauerte einen Moment, bis man für einen «Klan» eine Arbeitsdefinition fand, welche von allen Bundesländern so berücksichtigt werden konnte in den Statistiken. Das alles ist also sehr schwierig und momentan sehe ich keine Bestrebung in der Schweiz, das umzusetzen.
Weshalb schliessen sich Personen solchen Banden an?
Es gibt zwei Wege, wie man in eine Bande hineinkommen kann. Der eine ist, dass die Personen bewusst angesprochen und akquiriert werden. Das sehen wir beispielsweise im Hooligan-Bereich häufig. Das andere ist ein Zugehörigkeitsgefühl: Gerade junge Menschen, die nicht viel haben im Leben, finden in solch einer Bande etwas Besonderes. Dazu kommt, dass man damit auch Geld verdienen kann. Es gibt also gute Gründe – auch hier in der Schweiz – einer Bande beizutreten.
Würden Sie die Hells Angels und andere «Rocker-Banden» denn als gefährlich einstufen?
Versuchen Sie mal an einem Ort, wo die Hells Angels sind, eine eigene Gruppierung zu gründen. Dann werden Sie sehen, wie gefährlich sie sind. Die stehen dann vor der Tür, schüchtern ein, drohen und wenden auch Gewalt an. Gegenüber «Feindesgruppen» also auf jeden Fall. Gegenüber der Zivilbevölkerung – das interessiert uns ja fast mehr – ist es auch nicht ungefährlich. Wenn es beispielsweise Schiessereien gibt, können auch zivile Personen verletzt werden. Aus meiner Sicht sind solche Banden aber auch gefährlich für den Staat, denn sie akzeptieren deren Regeln und Gesetze nicht. Es gibt also zusammengefasst eine Gefährlichkeit auf verschiedenen Ebenen.
Es heisst immer, die Schweiz sei ein Hells Angels Land. Weshalb ist das so?
Das ist etwas übertrieben. In Deutschland gibt es circa drei Mal mehr Mitglieder. Deutschland ist also eher das Paradies für die Hells Angels. Die Schweiz ist aber trotzdem attraktiv für die Mitglieder, weil hier oft gesagt wird, sie seien bloss Menschen, die die Freiheit lieben. Sie werden also weniger ernst genommen.
Was könnten die Behörden machen, um die Bandenkriminalität besser in den Griff zu kriegen?
Sie tun das bereits sehr gut. Die Polizei hat die Akteure auf dem Schirm und macht es ihnen unbequem. Für die Zukunft ist es von Bedeutung, rasch zu agieren und den Informationsaustausch zwischen den Kantonen zu verbessern. Hier bestehen noch Defizite. Gleiches trifft auf die Kooperation mit anderen Staaten zu.
Wie wirksam ist ein Urteile, wie es im aktuellen Prozess zu Stande kommen könnte, gegen eine Einzelperson im ganzen Konstrukt der Bandenkriminalität?
Der einzelne ist ganz schnell ersetzt. Das haben diese Gruppierungen immer wieder gezeigt. Wenn ein Mitglied oder eine Führungsperson aus einer Gruppe verhaftet wird, gibt es schnell jemanden, der nachrückt.
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