Menschen mit Typ-2-Diabetes gehen wegen Schlankheitswahn leer aus
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Menschen mit Typ-2-Diabetes gehen wegen Schlankheitswahn leer aus

18.09.2023 12:02 - update 18.09.2023 15:57

Ann Weber

Das Medikament Ozempic ist in aller Munde. Nicht nur bei der Behandlung von Typ-2-Diabetes, sondern auch wegen seiner gewichtsreduzierenden Wirkung. Das führt nun zu grossen Lieferengpässen.

Ein Piks pro Woche soll Grosses versprechen: Bis zu 17 Prozent des eigenen Körpergewichts kann man mit Ozempic in kurzer Zeit abnehmen. Damit wird möglich, wovon viele schon immer geträumt haben: Einfaches Abnehmen, ohne Hungerkuren oder unmenschlich viel Sport. Doch dafür ist Ozempic eigentlich gar nicht gedacht.

Revolution in der Behandlung von Typ-2-Diabetes

Semaglutid (Markenname Ozempic) kam erstmals 2018 zur Behandlung von Diabetes-Typ-2 auf den Schweizer Markt. Die revolutionäre Spritze kommt ursprünglich aus Dänemark vom Pharmakonzern Novo Nordisk und ist rezeptpflichtig. Mit dem Medikament ist bei Diabetes-Typ-2-Patient:innen eine nachhaltige Gewichtsreduktion möglich, wobei der Blutzuckerstoffwechsel ohne Risiko auf Unterzuckerung verbessert werden kann.

Wichtig ist jedoch, dass das Medikament wöchentlich eingenommen wird, da sonst die Wirkung nachlässt und ein plötzliches Absetzen schädlich sein kann. Das Gewicht und die erhöhten Blutzuckerwerte kehren dann zurück und die Gesundheit des Patienten kann Schaden nehmen.

Wie funktioniert Ozempic?

Der in Ozempic enthaltene Wirkstoff Semaglutid ahmt das Hormon GLP-1 nach, das im Zwölffingerdarm produziert wird. Es wirkt einmal im Gehirn und erzeugt das Gefühl der Sättigung. Ausserdem verlangsamt es die Magenentleerung. Semaglutid dockt außerdem in der Bauchspeicheldrüse an bestimmte Rezeptoren an, die dafür sorgen, dass mehr Insulin ausgeschüttet wird. Die Folge: Der Blutzuckerspiegel sinkt.

Selbst Diabetiker, die schon eine vollständige Insulinresistenz haben, können wieder eigenes Insulin herstellen und teilweise ganz auf das Spritzen von Insulin verzichten. Die Insulinproduktion wird wieder angekurbelt und der Blutzuckerspiegel normalisiert sich – aber nur, solange das Medikament regelmässig gespritzt wird. (NDR)

Grosse Engpässe

Weltweit gehen die Verkaufszahlen von Ozempic-Spritzen drastisch in die Höhe. Das merken auch Basler Apotheken, so Lydia Isler-Christ, Präsidentin des Baselstädtischen Apotheker-Verbands und Inhaberin der Sevogel Apotheke. «Die Nachfrage ist sehr gross, wobei sie in den letzten Jahren stark angestiegen ist», so Isler-Christ. Des Weiteren sei die Nachfrage abhängig von der Jahreszeit: «Es gibt Personen, die kurz vor den Sommerferien kommen, bei denen man dann weiss, dass die Spritze wohl eher zum Abnehmen gedacht ist.»

Die grossen Engpässe könne man jedoch nicht klar dem Off-Label-Gebrauch zuschreiben: «Die Engppässe hängen sicherlich mit dem Off-Label-Gebrauch zusammen, jedoch kann ich das nicht mit absoluter Sicherheit sagen.»

Off-Label-Gebrauch

Grundsätzlich dürfen in der Schweiz nur Arzneimittel abgegeben werden, die von der Arzneimittelbehörde Swissmedic auf ihre Sicherheit, Wirksamkeit und Qualität geprüft und zugelassen worden sind. Dennoch werden im Rahmen der Therapiefreiheit von Ärztinnen und Ärzten relativ häufig Therapien mit Arzneimitteln verordnet, die zwar zugelassen sind, aber ausserhalb der vorgesehenen Anwendung verabreicht werden. Rund ein Viertel der erwachsenen Personen werden mit Arzneimittel im off-label use behandelt. (Interpharma)

Auch Professor Peter Diem, Präsident vom Diabetesverband Schweiz und Spezialist für Endokrinologie und Diabetologie bestätigt die Beobachtungen in Basler Apotheken. Er habe immer wieder Patienten, die kein Ozempic bekommen würden.

Daraufhin haben Diem und seine Kollegen in der Gruppenpraxis nach einer Lösung gesucht: «Wir haben in unserer Praxis ein Lager geschaffen, um Personen mit Typ-2-Diabetes, die in ihrer Apotheke kein Ozempic bekommen, ein Überbrückungsangebot anbieten zu können. Unsere Patienten können bei uns jeweils eine Spritze beziehen, wenn sie aufgrund des Engpasses in ihrer Apotheke keine kriegen», erzählt der Präsident des Diabetesverbands.

Folgen für Typ-2-Diabetiker:Innen

Diese hohe Nachfrage hat für Typ-2-Diabetikerinnen und -Diabetiker weltweit schwerwiegende Folgen: Sie können ihre Medikamente nicht mehr bekommen und leiden unter den Folgen des erzwungenen Absetzens.

Immer mehr Ärzt:innen verschreiben Ozempic zur Bekämpfung von Übergewicht, wodurch die Verfügbarkeit der Spritze knapper und knapper wird. Professor Peter Diem steht diesem Einsatz von Ozempic in der aktuellen Lage kritisch gegenüber: «Wenn es genug Ozempic geben würde, könnte ich das Verschreiben des Medikaments bei Übergewicht und Adipositas gut akzeptieren.» Solange es jedoch noch Engpässe gebe, sollten Diabetes-Betroffene den Vorrang haben, da sie auf das Medikament in höherem Masse angewiesen seien, so der Professor.

Hollywood-Wahn und Trend um Ozempic

Das Thema ist aber vor allem auch durch verschiedene Prominente, die drastisch abgenommen haben, in den Fokus der Öffentlichkeit gerückt. Beispiele sind Robbie Williams, Elon Musk und Kim Kardashian.

Kim Kardashian konnte im Zuge der Met-Gala sichtlich erschlanken: Ihr einst als kurvig bekannter Körper passte plötzlich in ein Kleid von Marilyn Monroe in der Grösse 32. Während Elon Musk stolz von seinen Erfahrungen berichtet, steht es bei Kim Kardashian in den Sternen ob sie wirklich Gebrauch von der Spritze machte.

Doch eins ist klar: Durch verschiedene Prominente wird der Wunsch nach einem schlanken Körper bei vielen Menschen immer grösser. Allein auf der Plattform Tiktok gibt es über 3 Millionen Videos zu dem vermeintlichen «Abnehmwunder» Ozempic. Dies auf Kosten von Typ-2-Diabetikerinnen und -Diabetikern.

Neuer Adipositas-Piks: Wegovy

In Zukunft könnten sich die überschneidenden Bedürfnisse von Typ-2-Diabetiker:innen und stark Übergewichtigen lösen. Novo Nordisk hat anfangs 2022 die neue Semaglutid-Spritze Wegovy auf den Markt gebracht, die sich speziell an stark übergewichtige Personen (BMI über 27) richtet.

Seit Sommer 2023 ist die Spritze nun in Deutschland zugelassen und wird dort deshalb seit einigen Monaten auch verschrieben. Sie enthält den gleichen Wirkstoff wie Ozempic, ist aber höher dosiert.

Ob in Zukunft beide Parteien von dem Wirkstoff profitieren können, wird sich demnach in den kommenden Jahren zeigen. Klar ist aber schon jetzt, dass die Bewältigung der Lieferengpässe das Zünglein an der Waage sein wird.

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Kommentare

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20.09.2023 07:21

gugus

Ich bin auch auf das Medikament angewiesen und warte seit Wochen auf eine Lieferung. Der Unverfügbarkeit und der Missbrauch kann man nur bekämpft werden, wenn ein Bezug nur gegen Vorlage des Rezeptes UND der Kostengutsprache der Krankenkasse vorliegt. Und sofort wäre der Lieferengpass behoben. Zumindest bezüglich dem Kontingent für die Schweiz.

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18.09.2023 12:36

CHWEST

Es gibt eine Alternative: Jardiance Met – genügend vorhanden und ebenso der angenehme “Side-effect”.

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