Moshtari Hilal über ihr erstes Buch: «Wir sehen Hässlichkeit als Versagen an»
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Moshtari Hilal über ihr erstes Buch: «Wir sehen Hässlichkeit als Versagen an»

19.11.2023 07:22 - update 19.11.2023 20:37

Ann Weber

Immer schöner sollen wir sein. Und je mehr Menschen dem vermeintlichen Optimum entsprechen, desto verbindlicher wird dieses gefährliche Spiel. Autorin Moshtari Hilal sprach am Samstag in Basel ganz unverblümt über das Thema Hässlichkeit.

Während es in vielen Fragen Nuancen gibt, scheint es einen klaren gesellschaftlichen Konsens darüber zu geben, was schön ist und was nicht. Auch wenn dieser sich immer wieder ändert. Schwarz-Weiss-Denken in der Frage, wer und was schön ist, führt daher zu einer grossen gesellschaftlichen Ausgrenzung: Entweder man entspricht den vorherrschenden Schönheitsidealen oder eben nicht.

Menschen, die von der Gesellschaft nicht als schön empfunden werden, kämpfen neben sozialer Ausgrenzung und Benachteiligung im Leben oft auch mit sich selbst. Geringes Selbstwertgefühl, Körperdysmorphie und andere psychische Erkrankungen können die Folge sein.

Kulturelle Schönheits-Faktoren

Zwar hat sich in den vergangenen Jahren mit Entwicklungen im Bereich Body Positivity einiges getan. Viele Herangehensweisen gleichen aber (noch immer) Alibi-Übungen, weil der gesellschaftliche Druck weiterhin immens gross bleibt. Ein Druck, unter welchem laut Studienergebnissen auch immer mehr Männer leiden.

Neben Faktoren wie Körpergewicht oder Gesichtsmerkmalen kann auch die kulturelle Herkunft eine wichtige Rolle bei der Beurteilung von Schönheit spielen. Diese Ausgrenzung erfuhr die Autorin Moshtari Hilal früh schon am eigenen Körper. Ihre Zähne erschienen zu schief, ihr Körper zu behaart und ihre Nase zu gross.

«Bevor ich in den Raum trete, tritt meine Nase ein»

Ganz bildlich beginnt die Lesung von Hilal am Samstagabend im Volkshaus an der Buch Basel. Thema ist ihr Debütroman «Hässlichkeit». Vierzehn Bilder werden den Gästen auf einem Bildschirm gezeigt. Vierzehn Mal das gleiche Bild, das Moshtari Hilal als 14-jähriges Mädchen zeigt. Freundlich lächelt die junge Moshtari in die Kamera. Alles scheint gut.

Moshtari Hilal über ihr erstes Buch: "Wir sehen Hässlichkeit als Versagen an"
Seite aus dem Buch «Hässlichkeit» von Moshtari Hilal. Diese Bilder, die während eines Schulfototermins entstanden sind, scheinen für die Autorin lange Zeit der Inbegriff ihres Selbsthasses gewesen zu sein.Bild: Baseljetzt / Buch: Hässlichkeit

Das lyrische Pendant zu den Bildern ist jedoch voller Hass. Moshtari Hilal liest ruhig Zeilen aus ihrem Buch vor. Aussagen wie «Vierzehnmal lernte ich mit Vierzehn, dass ich hässlich bin» und «Nur eine Mutter konnte ein hässliches Kind lieben», geben schnell den Ton der Lesung vor. Schnell wird klar, dass die Diskussion an diesem Abend nicht schön sein wird, sondern genau das ans Licht bringen soll, was so oft verschwiegen wird. Das Hässliche und die (vermeintlich) Hässlichen sollen zur Sprache kommen.

Das Gegenteil von Schönheit

Moshtari Hilal weiss auch, wo ihre Konfrontation mit dem Hässlichen begann. In der Pubertät schaute sie in den Spiegel und verstand ihr Spiegelbild als das Gegenteil von Schönheit. Sie empfand ihren Körper und ihr Gesicht als hässlich.

Auch sah sie ihr Aussehen als störenden Faktor in ihrem erfolgreichen Leben in Deutschland an. Ihre grosse Nase und ihre starke Behaarung empfand sie als etwas, das sie daran hinderte, eine zivilisierte, moderne Europäerin zu sein. Sie entfremdete sich immer mehr von sich selbst. Und unterwarf sich somit tief kolonialistischen Glaubenssätzen.

Schönheits-OPs und Antisemitismus

Moshtari lenkt die Aufmerksamkeit immer wieder auf ein bestimmtes Merkmal des Gesichts: Die Nase. Sie berichtet von Beschimpfungen als Hexe, die sie und ihre Freunde erdulden mussten, oder auch von Aufforderungen der Verwandtschaft, sich die Nase zu machen. Die thematische Tiefe beleuchtet Hilal mit einem Blick auf die NS-Zeit.

Denn die plastische Nasenchirurgie entstand im 20. Jahrhundert. Nebst der Chirurgie für Kriegsverwundeten und Verletzten, die sogenannte rekonstruktive plastische Chirurgie, gab es zu dieser Zeit nämlich wenig Klientel für solche Eingriffe.

Deshalb versuchte man, Menschen mit gesunden und funktionstüchtigen Nasen als Kunden zu gewinnen, so die Autorin. Sogenannte «jüdisch aussehenden Nasen» wurden zum Feindbild erklärt. Sie sollten den deutsch aussehenden Nasen angepasst werden. Die Anpassung der Nase versprach Erfolg. Die Nasenoperation hat also ihren Ursprung in einem weissen, faschistischen Ideal.

Moshtari Hilal über ihr erstes Buch: "Wir sehen Hässlichkeit als Versagen an"
Das Buch Hässlichkeit befasst sich in etwa 200 Seiten mit den Sehgewohnheiten der westlichen Welt. Bild: Baseljetzt

Lacher zum Schluss

Trotz des mitunter bedrückenden Themas endet die einstündige Buchlesung von Moshtari Hilal am Samstag humorvoll mit dem Bekenntnis der Autorin: «Ich messe meinen Erfolg an nicht operierten Nasen».

Ein Lacher zum Schluss. Und dennoch nimmt sich die Autorin ernst. Mit all ihren Selbstzweifeln und Unsicherheiten. Denn, wie sie sagt, genau so, hat sie entschieden, wer sie im Endeffekt geworden ist. Und entscheidet weiterhin, wer sie vielleicht noch werden möchte.

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