
Politischer Allesfresser will Ruhe in den Ständerat bringen
Baseljetzt
Der 65-jährige Bündner Politiker Stefan Engler wird Anfang Dezember voraussichtlich Ständeratspräsident. Nach 14 Jahren in der Kammer will er Sachlichkeit vor Ideologie stellen.
Das politische Umfeld sei aufgeheizt, sagt Engler im Gespräch mit der Nachrichtenagentur Keystone-SDA. In seinem künftigen Amt wolle er sich deshalb dafür einsetzen, dass der Ständerat ein ruhiger Pol bleibe.
Zu den brennenden Themen gehören dabei laut Engler die EU-Verträge und die Bedingungen beim Zolldeal mit den USA. Beide Themen seien ideologisch aufgeheizt. Beim Zolldeal komme hinzu, dass der Auftritt der Schweizer Wirtschaftskapitäne im Büro des US-Präsidenten Donald Trump ein «komisches Bild gegen aussen» abgegeben habe. Es sei wie bei den drei Königen, die mit Geschenken aufwarten, nur dass dort eben nicht der Heiland gelegen sei.
Der Ständerat habe die Aufgabe, Entwicklungen und gesellschaftliche Erwartungen auf lange Sicht hinaus zu beurteilen – weder von Ideologien noch vom Zeitgeist getrieben. Gesetze, die auf die Schnelle reagieren, trügen selten dem Nachhaltigkeitsanspruch Rechnung, warnt der Jurist.
Zu schnelle Gesetzgebung räche sich oft bei der Umsetzung, ein Beispiel dafür sei der Solarexpress. Dort setzte vielerorts Ernüchterung ein, weil grosse alpine Solaranlagen doch nicht so einfach umsetzbar waren wie erwartet. Nur hatten bis dahin viele Unternehmen bereits Millionen investiert.
Einheit in der Vielfalt
Gute Gesetze, die Rechtssicherheit schaffen und Planbarkeit ermöglichen, davon ist der 65-jährige Bündner überzeugt, schafften Stabilität und bildeten damit einen Anker der Rechtsstaatlichkeit. Ebenso nötig sei es, kein Gesetz zu machen, wenn es keines brauche.
Ziel einer vorausschauenden Politik müsse sein, chancengerechte Voraussetzungen zu schaffen. Englers Ziel ist eine Einheit unter der Schweizer Bevölkerung, bei der gleiche Voraussetzungen für alle individuelle Lebensformen zulassen. Dazu gehört seiner Meinung nach ein effektiver Service public mit einer guten Gesundheitsversorgung, Internetverbindung, guten Postleistungen, unabhängigen Medien und gutem öffentlichem Verkehr.
Als Bündner und einer von nur drei rätoromanischsprechenden Bundesparlamentariern selbst aus einer Minderheit stammend, setzt sich Engler oft für die Anliegen der Bergkantone ein. Er selber versteht sich als «politischer Allesfresser». Er nehme sich die Freiheit, unideologisch und unabhängig sein Urteil zu fällen.
Vertrauen ist ein zerbrechliches Gut
Im Ständerat tritt Engler ruhig und überlegt auf. Bevor er Ständerat wurde, amtete er als Regierungsrat in Graubünden. Er war zu jener Zeit Baudirektor, als das Baukartell im Unterengadin unentdeckt blieb.
Zwar entlastete ein späterer PUK-Bericht den damaligen CVP-Politiker. Und die Bündner Bevölkerung wählte Engler deutlich in den Ständerat. Doch die Aufarbeitung der nach seinem Ausscheiden aus der Regierung aufgedeckten Wettbewerbsabreden sei auch emotional nicht spurlos an ihm vorbeigegangen, sagt er.
Er habe seine Lehren daraus gezogen. Eine sei gewesen, dass nur schon der geschaffene Schein in der öffentlichen Wahrnehmung ausreiche, um sich einem unbegründeten Generalverdacht auszusetzen. Insofern sei es nachträglich gesehen ein Fehler gewesen, mit der Annahme eines anwaltlichen Mandats bei einer – wie sich später herausstellte – in die Abreden verwickelten Firma in das private Berufsleben zurückzukehren. Als zweite Erkenntnis rät Engler Exekutivmitgliedern zu einem gesunden Misstrauen.
«Igl amgresto fo chito»
Privat wie politisch folgt Engler stets dem rätoromanischen Grundsatz «igl amgresto fo chito», was so viel bedeutet wie «dem Geliehenen Sorge tragen» – auch mit Blick auf sein bevorstehendes «geliehenes» Amt. Politische Kompetenz bedeute auch, eine Verantwortung zu tragen. Dessen sei er sich sehr bewusst.
Diese politische Verantwortung zu tragen, sei aber auch ein Privileg, das er sehr schätze, sagt Engler. Auf die Frage, ob er bei den Wahlen 2027 wieder antreten will, hat er noch keine Antwort. Seine Neugierde für gesellschaftliche Entwicklungen und technische Risiken habe ihn noch nicht verlassen, und er geniesse es, mitgestalten und mitbestimmen zu können.
Dies will Engler als Ständeratspräsident auch in Rätoromanisch tun, wenn auch nicht gleich umfangreich wie sein Bündner Kollege Candinas. Als Nationalratspräsident eröffnete dieser im Amtsjahr 2023 alle Sessionen in der vierten Landessprache und verteilte übersetzte Begrifflichkeiten aus dem Ratsbetrieb auf Flyern. Engler will es niederschwelliger tun, kündigt er an. So werde von ihm das eine oder andere romanische Sprichwort zu erwarten sein. «Igl amgresto fo chito.» (sda/lap)
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