Staatsanwaltschaft mit überraschender Forderung nach Messerstecherei
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Birsigparkplatz
Basel-Stadt

Staatsanwaltschaft mit überraschender Forderung nach Messerstecherei

08.08.2025 17:17 - update 08.08.2025 17:31
David Frische

David Frische

Nach einer Messerstecherei auf dem Birsigparkplatz im Juni 2021 fordert die Basler Staatsanwaltschaft für die drei Angeklagten nur bedingte Freiheitsstrafen. Von Landesverweisen solle das Gericht absehen.

Der Hauptangeklagte D.S.* hat zugestochen. Soviel ist klar. Viel mehr aber auch nicht. Das Basler Strafgericht rollte an zwei Prozesstagen eine nächtliche Messerstecherei vom Juni 2021 auf. Es hat die Aufgabe, die Ereignisse so gut als möglich zu rekonstruieren. Einfach ist das nicht.

Über den Streit und die Gewalt, die sich in jener Nacht vor rund vier Jahren abgespielt haben, gibt es unterschiedliche Versionen. Fest steht, dass D.S. auf einen Mann eingestochen hat. Dies hat der heute 24-Jährige vor Gericht zugegeben. Ein Teilgeständnis.

Bei der Auseinandersetzung, an der mehrere Männer anwesend gewesen sein sollen, wurde aber noch ein zweiter Mann durch einen Messerstich verletzt – ebenfalls in den Oberschenkel. Diese Tat bestreitet der Angeklagte. Für die Staatsanwaltschaft ist klar, dass D.S. auch auf die zweite Person einstach, wie sie am Freitag in ihrem Plädoyer sagte. Es sei niemand anderes mit einem Messer gesehen worden. Die Anschuldigung durch eines der zwei mutmasslichen Opfer hält Staatsanwältin Sherilyn Kirchhofer zudem für glaubwürdig.

Gruppe soll gezielt Konfrontation gesucht haben

Ebenso ist für Kirchhofer bewiesen, dass auch die beiden anderen Angeklagten Z.K.* und R.F.* die Auseinandersetzung mit dem mutmasslichen Opfer B.D.* und dessen Freunden aktiv suchten und eine «Drohkulisse» aufbauten. Während bei Z.K. klar sei, dass er ebenfalls Gewalt angewendet habe, müsse dies bei R.F. «offenbleiben». Im Zweifel stütze sich die Staatsanwaltschaft aber auf die Aussagen von B.D., so Kirchhofer. Dieser beschuldigt R.F., ebenfalls auf ihn eingeschlagen zu haben.

B.D. tritt im Prozess als Privatkläger auf. Er fordert vom Hauptangeklagten D.S. eine Genugtuung von 6500 Franken und von den beiden anderen Beschuldigten je 1000 Franken.

Hauptangeklagter habe sich mit Messer verteidigt

Ganz anders sehen die Verteidigerinnen die Ereignisse aus jener Juni-Nacht auf dem Birsigparkplatz. Die Anwältin des Hauptangeklagten D.S. spricht von einer wechselseitigen Auseinandersetzung, in der «die Fäuste flogen». Die Aggression sei dabei klar von B.D. ausgegangen. Die Anklage stütze sich mehrheitlich auf die Aussagen von B.D., die aber «widersprüchlich und nicht glaubhaft» seien, so Anwältin Sandra Waldhauser. Ihr Mandant D.S. habe zugestochen, weil er sich gegen B.D. habe verteidigen wollen. Für den zweiten Messerstich sei ihr Mandant nicht verantwortlich.

R.F. und Z.K. bestreiten, aktiv Teil einer Schlägerei gewesen zu sein. Beide sagten vor Gericht aus, lediglich dazwischengegangen zu sein, um zu schlichten. Die Anklage stütze sich hier vor allem auf «widersprüchliche» und «nicht glaubhafte» Zeugenaussagen, so auch Irina Walpen, Verteidigerin von Z.K. Auch für die Anwältin von R.F., Eveline Roos, ist klar: «Spekulationen und Mutmassungen reichen für eine Verurteilung nicht.» Stattdessen würden Videoaufnahmen zeigen, dass R.F. schlichtend habe eingreifen wollen.

Landesverweise: Staatsanwaltschaft spricht von Härtefällen

Staatsanwältin Sherilyn Kirchhofer fordert für alle drei Angeklagten Schuldsprüche. Der Hauptangeklagte D.S. solle eine bedingte Freiheitsstrafe von 24 Monaten bei einer Probezeit von zwei Jahren und eine unbedingte Geldstrafe von 180 Tagessätzen erhalten. Das kommt durchaus überraschend. Zudem solle das Gericht von einem Landesverweis für D.S. und R.F., beide türkische Staatsbürger, absehen, so Kirchhofer. Beiden fehle der direkte Bezug zur Türkei. Die Integration sei in ihren Fällen schwierig, da sie in der Schweiz verwurzelt seien. Die Anwendung der Härtefallklausel sei hier vertretbar. Für Z.K. und R.F. fordert die Staatsanwaltschaft ebenfalls bedingte Freiheitsstrafen von sieben beziehungsweise sechs Monaten.

Deren Verteidigerinnen wollen für ihre Mandanten Freisprüche in allen Anklagepunkten und dass die Genugtuungsforderungen abgewiesen werden. Die Anwältin des Hauptangeklagten D.S. hält einen Schuldspruch wegen einfacher Körperverletzung, Urkundenfälschung und grober Verletzung der Verkehrsregeln für angemessen. Sie beantragt eine «angemessene» bedingte Strafe für ihren Mandanten ohne Landesverweis. Die Genugtuungsforderung solle das Gericht abweisen.

Vorwürfe der Urkundenfälschung, Verkehrsdelikte und Pornografie

D.S. steht nämlich auch wegen weiterer Anklagepunkte vor Gericht: Er soll eine Bekannte zur Beteiligung an einem Handy-Betrug angestiftet haben. Auch wenn diese den Plan nicht umsetzte, sieht die Staatsanwaltschaft D.S. als treibende Kraft. Zudem habe er mehrfach Urkunden in Form von gefakten Covid-Testresultaten und Impfzertifikaten gefälscht, was er einräumte. Und er ist wegen unrechtmässigem Verhalten im Strassenverkehr angeklagt, darunter der Nötigung und der groben Verletzung der Verkehrsregeln.

Ein Zufallsfund auf seinem Handy führte zum Tatvorwurf der mehrfachen Pornografie: In einem Whatsapp-Gruppenchat wurden illegale pornografische Inhalte geteilt, die sich automatisch auf seinem Gerät speicherten. D.S. bestreitet, die betreffenden Videos gesehen zu haben – die Staatsanwaltschaft geht jedoch von Besitz aus.

«Ich bin eine komplett andere Person geworden»

Der Hauptbeschuldigte D.S. äusserte sich zum Ende der Verhandlung nochmals zu den Geschehnissen. Er wolle sich für sein Verhalten «aufrichtig entschuldigen». Er habe sich inzwischen gebessert und sei «eine komplett andere Person geworden.» Für alle Beteiligten gilt die Unschuldsvermutung. Das Urteil wird am Montagnachmittag erwartet. Baseljetzt wird berichten.

*Namen von der Redaktion geändert.

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