Vatikan rügt mehrere Schweizer Bischöfe im Umgang mit Missbrauchs-Vorwürfen
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Vertuschung
Schweiz

Vatikan rügt mehrere Schweizer Bischöfe im Umgang mit Missbrauchs-Vorwürfen

18.10.2024 10:57 - update 18.10.2024 19:39

Baseljetzt

Der Vatikan erteilt mehreren Schweizer Bischöfen Rügen im Zusammenhang mit Missbrauchs-Vorwürfen und deren Umgang damit, darunter auch Vertuschung.

Auf kanonische Strafverfahren wird verzichtet, wie die Schweizer Bischofskonferenz am Freitag mitteilte.

«Es wurden Fehler, Versäumnisse und Unterlassungen im Bereich der kanonischen Verfahrensnormen festgestellt, was die Bischöfe zutiefst bedauern», fasste die Schweizer Bischofskonferenz die Antwort des Dikasteriums, einer Art Schiedsstelle im Vatikan, für die Medien zusammen. Es habe sich nicht um Fehlverhalten gehandelt, das heute die Eröffnung eines kircheninternen Strafverfahrens erfordern würde.

Wegen «formaler Irregularitäten» erteilte das Dikasterium kanonische Rügen. Dabei forderte es die gesamte Schweizer Bischofskonferenz auf, «künftig aufmerksamer zu agieren, die gemeldeten Missbrauchsfälle mit grösster Sorgfalt und Fachkenntnis zu behandeln und dabei alle geltenden Normen des Ermittlungsverfahrens strikt einzuhalten», wie die Schweizer Bischofskonferenz weiter schreibt.

Im Juni 2023 hatte das Dikasterium für die Bischöfe den Churer Bischof Joseph Maria Bonnemain beauftragt, eine kanonische Voruntersuchung durchzuführen, um verschiedenen Vorwürfen gegen mehrere Schweizer Bischöfe nachzugehen. Die Ergebnisse wurden laut der Schweizer Bischofskonferenz Anfang dieses Jahres an das Dikasterium für die Bischöfe in Rom weitergeleitet, worauf der Vatikan nun geantwortet hat.

Vorwurf der sexuellen Belästigung

Bonnemains Auftrag aus dem Vatikan war unter anderem, das Verhalten von vier Mitgliedern der Schweizer Bischofskonferenz wegen möglicher Meldeunterlassungen bei Übergriffen zu untersuchen, bei einem ausserdem den Verdacht auf sexuellen Missbrauch.

Nicolas Betticher, ehemaliger Generalvikar des Bistums Lausanne, Genf und Freiburg, hatte kirchenintern mehrere Schweizer Bischöfe wegen Vertuschung angezeigt. Der Abt von Saint-Maurice im Wallis, Jean Scarcella, beschuldigt des sexuellen Missbrauchs und der Vertuschung, legte danach sein Amt im September 2023 nieder, um, wie er sagte, «die Unabhängigkeit der Ermittlungen zu gewährleisten».

Der Präfekt des Dikasteriums im Vatikan, Kardinal Robert Prevost, erklärte nun laut der Abtei Saint-Maurice, dass es keine Beweise für Missbrauch oder Belästigung gegen Scarcella gebe. Dennoch erteilte ihm der Vatikan eine formelle Rüge.

Dem Bischof von Lausanne, Genf und Freiburg, Charles Morerod, wirft der Vatikan vor, zögerlich und spät reagiert zu haben auf Missbrauch-Verdachtsfälle, wie aus einer Stellungnahme des Bistums vom Freitag hervorgeht. Dasselbe gilt für den Bischof von Sitten, Jean-Marie Lovey, wie aus einem Schreiben des dortigen Bistums hervorgeht.

Betticher plädierte in einer Reaktion am Freitag für die Schaffung eines interdiözesanen schweizerischen kirchlichen Strafgerichtes, das sich an Stelle der Bischöfe in Zukunft mit allen Fällen von Missbrauch befassen solle. Im Zentrum stünden die Opfer. Und die Rügen des Vatikans sollten die Bischöfe «nicht dazu führen, die Realität zu minimieren».

Walliser Staatsanwaltschaft: Verjährt

Erst am Donnerstag hatte die Walliser Staatsanwaltschaft ein Dossier mit Missbrauchsfällen im Umfeld der katholischen Kirche zu den Akten gelegt. Sie kam nach einem Vorverfahren zum Schluss, dass alle angezeigten Taten verjährt sind oder nicht rechtzeitig eine Strafanzeige erstattet wurde.

Demnach zeigten 25 Personen 32 strafbare Taten an, deren Opfer oder Zeugen sie waren. Elf zeigten Handlungen an, die nicht zur Feststellung einer Straftat führten. Die angezeigten Handlungen reichen bis ins Jahr 1946 zurück. Die Personen, die sich als Opfer meldeten, waren zum Zeitpunkt der Tat zwischen 4 und 37 Jahre alt. 17 waren Männer und 8 Frauen.

Im September vergangenen Jahres hatte die Universität Zürich eine Studie veröffentlicht zum Ausmass des sexuellen Missbrauchs im Umfeld der römisch-katholischen Kirche seit Mitte des 20. Jahrhunderts. Diese Studie zeigte, dass Priester und Ordensangehörige in der Schweiz seit 1950 über 1000 Fälle von sexuellem Missbrauch begangen hatten, wobei die Dunkelziffer hoch sein dürfte.

Vertretung der Opferseite ist erschüttert

Die Interessengemeinschaft für Missbrauchsbetroffene im kirchlichen Umfeld (IG-MikU) zeigt sich in einer Stellungnahme erschüttert darüber, dass der Vatikan lediglich Rügen für die fehlbaren Bischöfe ausgesprochen hat. Für die Betroffenen sei damit die Botschaft klar: Alles bleibt beim Alten und niemand übernimmt die Verantwortung für diese realen Vorfälle.

«In anderen Betrieben würde der Geschäftsleiter nicht nur eine Rüge erhalten, er müsste den Hut nehmen», schreibt die IG-MikU weiter. Und sie fragt: «Ist das die Art und Weise, wie die Kirche ihre Sorge um Betroffene zum Ausdruck bringt?» Die Interessengemeinschaft werde auf jeden Fall weiterhin für die Betroffenen einstehen – den Bericht mit den sanften Rügen werde sie nicht akzeptieren.

(sda/daf/mhu/jab)

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