Sensibilisierung
Schweiz

Warum es auch in der Schweizer Filmbranche Intimitäts-Workshops braucht

20.04.2024 09:05 - update 24.04.2024 08:51
Michael Kempf

Michael Kempf

Was in Deutschland bereits gang und gäbe ist, ist in der Schweiz noch Neuland: Intimkoordinatoren am Filmset. Sabrina Hitz will dies nun ändern und unterrichtet dazu Workshops an der Filmschauspielschule filmZ.

Sich auf der Bühne küssen, Sex vor der Kamera simulieren oder eine Vergewaltigung am Set inszenieren. Damit solche Szenen im Film und Theater glaubhaft rüberkommen und gleichzeitig die Schauspieler:innen schützen, braucht es klare Choreographien. An Schweizer Filmsets fehlen diese aber oft noch, was Unsicherheit und Machtmissbrauch am Set Vorschub leistet.

Sabrina Hitz ist Stuntfrau, diplomierte Waffenmeisterin und Intimkoordinatorin bei der Swiss Action Stunt GmbH. Sicherheit steht für sie an erster Stelle. Gerade im Stuntbereich gibt es klare Regeln, die am Filmset eingehalten werden müssen. Beim Umgang mit Waffen oder bei Gewalt- und Intimitätsszenen sei dies aber noch nicht der Fall.

Sabrina Hitz hat an Schweizer Filmsets oft erlebt, dass sich die Verantwortlichen zu wenig Gedanken über einen Stunt oder den Dreh einer Gewaltszene machen. «Oft wird einfach gesagt, wir brauchen einen Stunt oder eine Gewaltszene, macht mal. Dabei braucht es klare Vorgaben und Übungen, wie die Choreographie aussehen soll, das ist bei Intimszenen nicht anders», erklärt Hitz. Und dafür braucht es eine Intimkoordinatorin.

Sensibilisierung bei den Schauspieler:innen

Da das Bewusstsein für Intimkoordinator:innen in der Schweiz noch nicht so vorhanden ist, oder Produktionen aus Kostengründen darauf verzichten, setzt Sabrina Hitz mit ihrem Workshop bei den Schauspieler:innen an. So schaut sie sich mit den angehenden Schauspieler:innen an, wie beispielsweise eine Gewaltszene gedreht wird, wie eine Choreographie funktioniert und thematisiert so auch den Machtmissbrauch am Filmset. «Mir geht es darum, dass sie sich in solchen Szenen wohl fühlen und auch eine gewisse Sensibilität entwickeln und nicht denken, dass sie als Schauspieler:innen alles machen müssen.»

So baut Sabrina Hitz beispielsweise auch die NDR-Doku «Gegen das Schweigen – Machtmissbrauch bei Theater und Film» in ihren Workshop ein, welche die Schauspielschüler:innen gespannt anschauen und anschliessend im Kreis diskutieren.

Während der Diskussion baut Hitz immer wieder kleine Rollenspiele ein. Zum Beispiel fordert sie drei Schauspielerinnen auf: «So, ihr drei habt jetzt eine Dreiecksbeziehung, entwickelt eine Intimszene dazu, macht mal». Die drei Schauspielerinnen wirken sichtlich überfordert, doch dann die Erkenntnis: «Ist das eine Fangfrage?» fragt sich die eine, «wir brauchen klare Anweisungen» meint die andere. Und schon haben sie den Sinn der Übung verstanden. Sie sind in der Lage, Anweisungen zu hinterfragen und gerade beim Drehen auch bei Szenen nachzufragen, wenn die Umsetzung unklar ist oder es einfach heisst «macht mal».

Genau diese Sensibilisierung will Hitz bei ihren Schüler:innen erreichen. «Mir ist es lieber, wenn sie in der Übung eine schlechte Erfahrung mit mir machen. Denn dann kann ich die Situation hinterher mit ihnen anschauen und besprechen», erklärt Hitz. Bei den 16 Schauspielschüler:innen zeigt sich bereits, dass ihr Umdenken stattgefunden hat.

«Ich weiss jetzt, dass ich auch bewusst Nein sagen kann, wenn es mir unangenehm ist oder ich als Schauspieler bestimmte Dinge nicht machen möchte», erzählt Nils Barthlen, einer der Schauspielschüler. Auch Schauspielschülerin Sara De Angelis wird sich in Zukunft mehr mit diesem Thema beschäftigen. «Ich werde auf jeden Fall mehr recherchieren, wie solche Szenen am Set abgelaufen sind, wenn ich weiss, dass es hinter den Kulissen Machtmissbrauch gegeben hat.»

Die Verantwortung der Schauspielschulen

Die Filmschauspielschule Zürich filmZ GmbH ist die erste in der Schweiz, die solche Workshops anbietet, wie Geschäftsführerin Sandra Fischer bestätigt. Zusammen mit Simon Keller hat sie die Schauspielschule 2021 gegründet. «Wir sind der Meinung, dass solche Intimitäts-Workshops in jede Schauspielausbildung gehören», sagt Fischer. «Je mehr auch über das Thema gesprochen wird, desto eher sind Produzent:innen bereit, Intimitätskoordinator:innen für ein Filmset zu berücksichtigen.»

Der Intimitäts-Workshop an der filmZ ist ein Pilotprojekt. «Es ist ein Thema, das so in der Schweiz noch nie behandelt wurde», erklärt Sabrina Hitz. Aus ihrer Sicht ist es einfacher, die Schauspieler:innen direkt zu schulen als die Produktionsfirmen. Denn bei den Filmproduktionsfirmen finde das Thema Intimkoordination noch keinen grossen Anklang.

Es ist der Anfang eines langen Weges, die Schweizer Filmszene zu einem besseren Ort zu machen und die Konstrukte des Machtmissbrauchs Stück für Stück abzubauen.

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Kommentare

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20.04.2024 17:45

Nirco

Danke für den Artikel!

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