
Warum LSD gerade ein Revival in der Psychotherapie erlebt
David Frische
In den 1960er-Jahren abgefeiert, dann verteufelt – und nun wieder in vieler Munde: LSD ist vor allem als Droge bekannt. Aber es kommt auch in der Medizin zum Einsatz – legal und kontrolliert. In diesem Artikel erfährst du, warum.
Als Albert Hofmann am 19. April 1943 aufs Fahrrad stieg, trat er eine geschichtsträchtige Velofahrt an. Der Schweizer Chemiker hatte soeben LSD eingenommen. Eine von ihm selbst hergestellte Substanz, dessen Wirkung er in einem Selbstversuch testete.
Die Wirkung entpuppte sich als psychedelischer Trip, Hofmanns Velofahrt von der Sandoz in Basel zu ihm nach Hause damit als wilder Ritt. Was Hofmann an jenem Tag noch nicht wusste: Er nahm eine sehr hohe Dosis eines der am stärksten bekannten Halluzinogene ein.
Hofmann wurde somit zum Entdecker der Substanz Lysergsäurediethylamid, kurz LSD. Der Tag ging als «Bicycle Day» in die Geschichte ein.

Mit LSD war eine Substanz geboren, die rasch zweierlei Einsatz fand: einerseits als Droge, unter anderem in der legendären 68er-Bewegung, und auch heute noch im Umlauf. Andererseits als medizinischer Wirkstoff in der Psychotherapie. In den 1970er-Jahren wurde LSD schliesslich international verboten und in der Medizin und Forschung wurde es ruhig um die Substanz. Doch nun feiert das Psychedelika in der Wissenschaft ein Comeback – unter anderem in Basel, dem Ort seiner Entdeckung. Warum das so ist, und welche Chancen und Risiken damit verbunden sind, wollen wir in diesem Artikel anschauen.
Um diese Fragen geht es
- Wo wird LSD in der Medizin angewendet?
- Wieso wendet sie ausgerechnet LSD an?
- Auf der Strasse verboten, in der Medizin legal: Wie geht das?
- Wie wird LSD in der Medizin angewendet?
- Woher bezieht die Medizin das LSD?
- Was sind die Risiken bei der Anwendung von LSD?
- Welches Ziel verfolgt die Medizin?
Wo wird LSD in der Medizin angewendet?
Schon in den 1960er-Jahren wurde LSD in der Psychotherapie eingesetzt. Und das geschieht auch heute wieder, in einem kleineren Rahmen. Einer der Orte, an denen mit LSD gearbeitet wird, ist Basel. An den Universitären Psychiatrischen Kliniken (UPK) gibt es ein Therapieangebot mit LSD. An der Universität Basel wird zudem zur klinischen Wirkung von LSD geforscht.
Felix Müller ist Leiter der substanzgestützten Therapie an den UPK in Basel und Co-Präsident der Schweizerischen Ärztegesellschaft für Psycholytische Therapie. Er behandelt mit seinem Team regelmässig Patient:innen mit LSD. Für eine solche Behandlung infrage kommen Menschen mit Depressionen, Angststörungen oder Sucht, zum Beispiel einer Alkoholabhängigkeit.
Wieso wendet sie ausgerechnet LSD an?
Damals wie heute ist Lysergsäurediethylamid wegen seiner bewusstseinserweiternden Komponente für die Wissenschaft interessant. Der Grund: Auf einem LSD-Trip kommen beim Menschen unter anderem Dinge aus dem Bewusstsein stärker zum Vorschein. Erlebnisse aus der Vergangenheit zum Beispiel. Zudem nehmen Menschen auf LSD die Welt anders wahr. So kann es etwa vorkommen, dass man die Perspektive wechselt.
Felix Müller erklärt: «Menschen mit Depressionen haben häufig ein tiefes Selbstwertgefühl. Sie fühlen sich schuldig oder als einen schlechten Menschen oder als Versager.» Während eines LSD-Trips könne sich das ändern: «Patient:innen können an so einem Tag das Gefühl haben, dass sie sich von aussen sehen, so wie eine andere Person sie wahrnimmt.» Ein Perspektivenwechsel. «Der Patient oder die Patientin hat dann das Gefühl, dass er oder sie genauso viel wert ist wie die andere Person.» Diese Inhalte werden den Patient:innen in den Therapiesitzungen zwar auch vermittelt, und sie mögen es mit dem Kopf auch verstehen. Aber: Unter dem Einfluss von LSD könne es vorkommen, dass die Betroffenen diesen höheren Selbstwert effektiv auch fühlen.
Solche Erfahrungen auf einem Trip, ob gute oder schlechte, liessen sich dann nachhaltig in die Therapie einbauen, so Müller. Somit dient das LSD nicht als Linderungsmittel für ein psychisches Leiden, sondern als Auslöser von Inhalten, mit denen dann gearbeitet werden kann. «LSD ist ein Stoff, der ganz anders funktioniert als andere Medikamente. Er kann eine Ergänzung zu den gängigen, etablierten Mitteln sein, weil er einen anderen Ansatz bietet», so Müller.

Auf der Strasse verboten, in der Medizin legal: Wie geht das?
LSD ist in der Schweiz und vielen anderen Ländern seit den späten 1960er-Jahren verboten. Im Jahr 1971 einigten sich die Vereinten Nationen auf ein Verbot von LSD, zusammen mit fast allen anderen Halluzinogenen. Es gilt bis heute. Damit verbunden, verlor auch die Wissenschaft weitgehend das Interesse am Wirkstoff. Ab den 1990er-Jahren keimte die Forschung mit LSD und ähnlichen Substanzen wie Psilocybin und MDMA wieder etwas auf. Und auch die medizinische Anwendung wurde wieder stärker Thema. In den letzten Jahren ist sie in der Schweiz kontinuierlich gestiegen, wie Zahlen des Bundesamts für Gesundheit (BAG) zeigen.
Möglich ist dies, weil in der Schweiz die Substanzen LSD, MDMA und Psilocybin in der wissenschaftlichen Forschung und in der Arzneimittelentwicklung erlaubt sind. Das BAG kann Ausnahmebewilligungen an medizinische Institutionen und Ärztinnen und Ärzte ausstellen. Die Ausnahmebewilligung wird pro Patient:in ausgestellt. Dafür müssen sie aber strenge Kriterien erfüllen: So muss die Krankheit die Lebensqualität der betroffenen Person stark einschränken. Die schulmedizinischen Behandlungen erzielten bei der Person nicht die gewünschte Wirkung. Und die Substanz soll den Therapieverlauf erfahrungsgemäss begünstigen können.
Wie wird LSD in der Medizin angewendet?
Felix Müller und sein Team behandeln mehrere Patient:innen, die für eine Therapie mit LSD eine Ausnahmebewilligung erhalten haben. Aber wie läuft eine solche Therapie ab? In der Regel werde den Patient:innen die Substanz zwischen zwei- und viermal in einem Jahr verabreicht, so Müller. Die Häufigkeit und die Dosis seien sehr individuell, wie eben auch die Wirkung. «Manche Menschen reagieren schwächer darauf, andere stärker.» Eingenommen wird das LSD oral.
Bevor es zu einer Behandlung mit LSD kommt, gibt es ein Vorgespräch. Dort werde abgeklärt, was die Erwartungen an die Therapie sind und ob sie notwendig ist. Die Therapiesitzung mit der LSD-Einnahme findet in einem gemütlich eingerichteten Behandlungsraum statt, das einem Wohnzimmer ähnelt. Die Patient:innen sollen sich «möglichst wohlfühlen», so Müller. Das aus gutem Grund: LSD wirkt im menschlichen Körper zwischen acht und zwölf Stunden, abhängig von der Dosierung. «Das ist lang. Während der Hauptphase halten sich die Patient:innen praktisch durchgehend in diesem Zimmer auf.» Das Bedürfnis, zu schlafen oder rauszugehen, komme in den meisten Fällen nicht auf, so Müller. Die Patient:innen seien mit sich selbst beschäftigt. Und sie werden während der ganzen Wirkungsdauer von einer Fachperson begleitet.

Im weiteren Verlauf der Psychotherapie bespricht der Arzt oder die Ärztin mit der betroffenen Person das Erlebte. «Es wird dann abgeklärt, was man daraus für die Therapie und das weitere Leben mitnehmen kann.»
Woher bezieht die Medizin das LSD?
Das LSD für den medizinischen Gebrauch wird laut Müller nur im «sehr kleinen Stil» hergestellt. Eine Firma in der Schweiz stellt den Grundstoff her und liefert diesen schweizweit aus. Medizinische Einrichtungen mit einer Ausnahmebewilligung des BAG können diesen dort beziehen.
Was sind die Risiken bei der Anwendung von LSD?
So vielversprechend der Stoff Lysergsäurediethylamid für manche Psychotherapeuten und Forscherinnen ist, so umstritten ist er in der öffentlichen Wahrnehmung. LSD gilt gemeinhin als Droge, die das Bewusstsein erweitert, Halluzinationen auslöst und einen langen Trip auslöst. Und genau das bewirkt die Substanz auch. Nur komme es eben darauf an, zu welchem Zweck man sie einsetzt, argumentiert Müller. Und im Falle der Medizin diene das LSD eben der Behandlung psychischer Leiden. Ein Vorteil sei zudem, dass LSD im Gegensatz zu Opiaten nicht abhängig mache.
Doch die Einnahme der Substanz ist unbestritten auch mit Risiken verbunden. «Es kann sein, dass der Tag, an dem man LSD einnimmt, sehr unangenehm sein kann. Die Person kann ängstlich werden, sie kann auch damit zu kämpfen haben, dass sie plötzlich eine andere Welt betritt», so der Therapeut in Bezug darauf, dass LSD das Bewusstsein erweitert. «Das ist nicht für alle Menschen einfach. Man muss bestimmte Dinge loslassen, zum Beispiel die Vorstellung, wie die Welt normalerweise funktioniert. Es kommt bei den Behandlungen mit LSD immer wieder vor, dass die Patient:innen den Tag als sehr schwierig empfinden.»
LSD wirke zudem wie ein Schubladenöffner im Bewusstsein des Menschen. «Man kann mit unangenehmen Dingen aus dem Innern konfrontiert werden, mit Themen aus der Vergangenheit, die dann hochkommen. Und da haben Stoffe wie LSD eben auch die Eigenschaft, dass diese Dinge dann oft sehr intensiv und sehr plastisch in Erscheinung treten. Das kann im Positiven wie im Negativen der Fall sein.» Wer eine Therapie mit LSD macht, müsse sich auch bewusst sein, dass solche schwierigen Tage dann auch noch eine Zeit lang nachklingen können, weit über die Wirkung der Substanz hinaus.
Da das LSD auf der Bewusstseinsebene wirkt und das Erlebte auf dem Trip bei Menschen lange nachwirken kann, gibt es Abgrenzungen, wer die Therapie in Anspruch nehmen kann. «Es gibt Erkrankungen, bei denen sie nicht infrage kommt», so Müller: Menschen zum Beispiel, die an Schizophrenie oder an einer Psychose leiden oder eine entsprechende genetische Veranlagung haben, laufen Gefahr, dass sich die Erkrankung durch den LSD-Konsum verschlimmere.
Welches Ziel verfolgt die Medizin?
LSD wird heute im kleinen Rahmen medizinisch verabreicht. Zu seiner Wirkung laufen Studien, die unter anderem an der Uni Basel durchgeführt werden. Felix Müller und sein Team wollen herausfinden, ob LSD zu einem Medikament für die Behandlung in der Psychotherapie werden kann. Von der Wirkung ist er überzeugt. Die Hürden sieht er woanders: «Wenn sich die Forschung so weiterentwickelt wie in den vergangenen Jahren, ist es durchaus möglich, dass es irgendwann einmal eine Marktzulassung gibt». Entscheidend sei die Frage, wie viel Interesse die Pharmabranche an der Entwicklung eines LSD-Medikaments hat. Müller ist optimistisch: In den USA läuft eine Studie der Firma Mind Med. Dabei geht es um die Behandlung von generalisierten Angsterkrankungen mit LSD. Mind Med führe bereits Studien durch, die für die Marktzulassung gedacht sind, so Müller.
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spalen
interessanter forschungsansatz. ich dachte immer, lsd verändert die wahrnehmung der realität und sei eben genau deswegen nicht zu therapiezwecken geeignet.
pserratore
Sehr Interessant 👍