«Wenn wir zu einem Urteil kommen wollen, müssen wir uns alle am Riemen reissen»
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Strafgericht
Basel-Stadt

«Wenn wir zu einem Urteil kommen wollen, müssen wir uns alle am Riemen reissen»

03.11.2023 15:25 - update 03.11.2023 19:07
Lea Meister

Lea Meister

Im Prozess rund um die Geburt am Bethesdaspital mit verheerenden Folgen für die Familie wird es immer enger. Der Fall verjährt am 1. März 2024. Das Urteil wird Ende Februar erwartet – wenn denn alles nach Plan verläuft.

Entscheidet am Basler Strafgericht etwa das bevorstehende Schaltjahr darüber, ob es zu einem Urteil kommt oder nicht? Dazu später mehr. Gehen wir erst einmal chronologisch vor: Knapp zehn Jahre ist es her, dass im Bethesdaspital eine Mutter bei der Geburt ihres siebten Kindes verstorben ist. Das Neugeborene erlitt schwerwiegende bleibende Schäden. Seit Ende Oktober müssen sich der Geburtshelfer, der Anästhesist und die Hebamme, die an diesem 1. März 2014 im Einsatz standen, vor Gericht verantworten. Den Fall im Detail und die bisherigen Vorkommnisse kannst du hier nachlesen:

Vergangene Woche wurden vor Gericht die drei Fachexperten befragt, die für die medizinischen Gutachten verantwortlich waren. Für den 3. November wäre dann eigentlich das Plädoyer des Staatsanwalts vorgesehen gewesen. Aufgrund zahlreicher Anträge der Verteidiger verzögern sich die Termine für die Plädoyers aber deutlich. Stattdessen wurde am Freitag darüber debattiert, ob ein sogenanntes Obergutachten eingeholt werden soll. Der Grund: Zwei der drei medizinischen Gutachten seien zu unterschiedlich. Auch das Dreiergericht rund um Gerichtspräsident Roland Strauss sah sich nicht befähigt, die vorliegenden Fachfragen abschliessend beantworten zu können.

Wer erstellt das Obergutachten?

Im Zentrum steht dabei die Frage, wie die Reanimation des neugeborenen Kindes damals genau abgelaufen ist, beziehungsweise, wie diese exakt hätte ablaufen müssen. Ziemlich schnell wurde klar, dass ein solches Obergutachten eingeholt werden wird. Doch, wer soll dieses erstellen? Ein Neonatologe oder ein Anästhesist? Am besagten 1. März 2014 kümmerte sich ein Anästhesist um die Reanimation des Kindes, weshalb für das Gericht klar war, dass ein solcher auch das Obergutachten erstellen müsse.

Es solle jemand sein, der sagen könne, was man in dieser Situation vor knapp zehn Jahren von einem Anästhesisten erwarten durfte. Der Strafverteidiger des Anästhesisten, Christian von Wartburg, zog den Vergleich zu seinem persönlichen Fachbereich: Ein Strafverteidiger wie er werde in seinem Vorgehen auch nicht mit einem Erbrechtsspezialisten verglichen.

Die Zeit drängt

In den kommenden Tagen wird das Dreiergericht den involvierten Juristen den überarbeiteten Fragenkatalog zustellen, der dem Obergutachter vorgelegt werden soll. Zusammen mit dem Vorschlag für eine Person, die das Gutachten erstellen soll. Gerichtspräsident Strauss erinnerte aber nochmals daran, was ein weiteres Gutachten im hiesigen Fall bedeutet: «Wenn wir zu einem Urteil kommen wollen, müssen wir uns alle am Riemen reissen, weil es zeitlich eng wird.»

Heisst: Selbst wenn bis Ende Jahr ein Obergutachten vorhanden ist, bleibt keine Zeit für schriftliche Nachfragen. Diese müssen gestellt werden, wenn der entsprechende Gutachter für genau diesen Zweck vorgeladen wird, was am 1. Februar der Fall sein wird. Der Gutachter wird seine Einschätzung aufgrund der Krankengeschichten der verstorbenen Mutter und ihres Kindes und der Aussagen der drei Beschuldigten in der Hauptverhandlung abgeben. Zusätzlich erhält er die drei bereits bestehenden Gutachten.

Gutachter müsse Kinder-Anästhesist sein

Für die Klägerschaft bleibt zu hoffen, dass sich in der kurzen Zeit jemand finden lässt, der Zeit dafür hat, ein solch ausführliches und möglicherweise folgenschweres Gutachten zu erstellen. «Wir haben zu beurteilen, ob Sie drei bei der Reanimation alles so gut gemacht haben, wie das mit Ihren Fachkenntnissen erwartet werden konnte», ergänzte Gerichtspräsident Strauss am Freitagmorgen an die drei Angeklagten gerichtet. Der Anwalt der Privatkläger machte nochmals darauf aufmerksam, wie elementar es sei, dass es sich beim einberufenen Spezialisten um einen Kinder-Anästhesisten und nicht um «irgendeinen» Anästhesisten handle.

Nach der Debatte rund um das Obergutachten wurde am Freitagnachmittag noch eine Hebamme als Auskunftsperson befragt, die damals beim Bethesdaspital angestellt und am 1. März 2014 per Notfallalarm hinzugerufen worden war. Sie hatte wenige Stunden nach der Geburt auch das schriftliche Gedächtnisprotokoll erstellt.

Es sind wenige Details, an welche sie sich heute noch erinnern kann. An diesem Morgen habe sie sich hauptsächlich emotional um die Mutter gekümmert, da sie erst wenige Monate zuvor ihre Ausbildung abgeschlossen hatte. Von Beginn weg habe es sich um eine Risikoschwangerschaft gehandelt, weil die Mutter schon bei zwei Geburten stark geblutet habe. Bei der Befragung wirkte die Hebamme emotional und betonte, dass die Ereignisse dieses Morgens sie damals stark mitgenommen hätten.

Kommt es zur Verjährung?

Weitere Zeugen und Auskunftspersonen, die das Gericht laut verschiedenen Anträgen noch hätte vorladen können (beispielsweise der Ehemann der bei der Geburt verstorbenen Mutter), wurden vom Dreiergericht abgelehnt. Sie hätten nichts Wesentliches mehr zum Beweisverfahren beizutragen, so Strauss.

Klar ist: Die Zeit wird knapp. Am 1. Februar soll der Obergutachter für Ergänzungsfragen vor Gericht erscheinen, danach wird das Beweisverfahren geschlossen. Die Plädoyers sind für Anfang Februar angesetzt, die Urteilseröffnung für den 29. Februar. Das kommende Jahr wird ein Schaltjahr sein, es bleibt mit dem besagten 29. Februar also ein Tag mehr, um zu einem Urteil zu kommen. Kommt irgendetwas dazwischen, wird der Fall am 1. März wohl verjähren. Einen Tag später.

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