«Wir haben neu auch jüdisch-muslimische Führungen im Angebot»
©Bilder: zVg/Baseljetzt/Montage: Baseljetzt
Jüdisches Museum
Basel-Stadt

«Wir haben neu auch jüdisch-muslimische Führungen im Angebot»

07.03.2024 19:30 - update 08.03.2024 09:31
Maximilian Karl Fankhauser

Maximilian Karl Fankhauser

Die Direktorin und die Präsidentin des Vorstands über den grassierenden Antisemitismus, was das Museum dagegen unternimmt und wie der Beitrag des Kantons dabei hilft.

Seit 2015 ist Nadia Guth Biasini Vorstandspräsidentin des Jüdischen Museums der Schweiz. Seit demselben Jahr bekleidet auch Naomi Lubrich den Posten der Museumsdirektorin. Die Vorfälle der vergangenen Monate gegen jüdische Menschen in der Schweiz gehen an ihnen beiden nicht spurlos vorbei. Die Devise der beiden wird aber während des Interviews klar ersichtlich. Um eine Verbesserung der Situation von Jüdinnen und Juden in der Schweiz erreichen zu können, braucht es viel Dialog und einen gemeinsamen Weg.

Der Angriff auf einen jüdischen Mann in Zürich, die Verbrennung der israelischen Flagge bei der Basler Synagoge. Inwiefern spüren Sie beim jüdischen Museum den grassierenden Antisemitismus?

Nadia Guth Biasini: Direkt konfrontiert sind wir zur Zeit als Museum nicht. Das hat damit zu tun, dass wir eine Eingangskontrolle im Museum haben, die die Sicherheit gewährleistet. Wir führten sie 2015 nach dem Überfall auf das Pariser Bataclan ein. Auch wenn das Museum gesichert ist, beschäftigt und belastet uns die Gefahrenlage sehr. 

Gibt es Vorhaben Ihrerseits, dagegen vorzugehen? (Aufklärung, Workshops, Kampagnen etc.)?

«Wir haben neu auch jüdisch-muslimische Führungen im Angebot»
Nadia Guth Biasini ist seit 2015 Vorstandspräsidentin des Jüdischen Museums der Schweiz. Sie wurde für ihre Herausragenden Leistungen für die Hebräische Universität Jerusalem mit der Ehrenmitgliedschaft ausgezeichnet.

Guth Biasini: Wir bieten Bildungsprogramme für Schulklassen an, unter anderem auf Anregung des Präsidialdepartements. Der Anzug, der im Dezember im Grossen Rat angenommen wurde, ermöglicht es uns, diese weiterzuentwickeln. Unser Museum hat eigentlich die Aufgabe, Einblicke ins Leben und in den Alltag der Jüdinnen und Juden zu geben und die Geschichte der jüdischen Menschen in Basel, in der Region, in der Schweiz und in Europa zu erzählen. Aber unsere Programme wenden sich nun vermehrt dem Thema Antisemitismus und dessen Hintergründen zu.

Naomi Lubrich: Wir betreiben zum Beispiel Bildung zum Thema Holocaust. Viele der Kinder und Jugendlichen kommen bei uns zum ersten Mal mit der Schoa in Berührung. Wir haben ein Programm, in welchem Jugendliche mit Holocaustüberlebenden oder deren Nachfahren Gespräche führen und diese dann in einem Artikel festhalten. Wir verarbeiten die Beiträge dann zu einer Zeitung, die sie nach Hause nehmen können. Gymnasiasten bieten wir an, einen alten Gegenstand aus den 30er- oder 40er-Jahren von zu Hause mitzunehmen und diesen dann im Zeitstrahl des Zweiten Weltkriegs einzuordnen.

Die Zeitzeug:innen sind, je länger, je mehr, nicht mehr unter uns. Verliert diese Thematik dadurch auch ihren Nachdruck?

Guth Biasini: Es wird bestimmt viel, viel schwieriger, wenn Menschen, die den Holocaust überlebt haben, nicht mehr leben und nicht von ihren Erfahrungen erzählen können. Mit Erzählungen und Nachforschungen der Nachfahren können die Erinnerungen an diese Zeit wachgehalten werden.

Der Effekt nimmt aber dadurch auch ab?

Guth Biasini: Sicher. Die Männer und Frauen, die den Holocaust erlebt und überlebt haben, sind sehr eindrückliche Zeitzeugen. Tatsächlich ist es für die Überlebenden gar nicht einfach, ja ausserordentlich schwierig, über die Jahre des Holocaust und der Verfolgung zu sprechen. Für uns ist es besonders wichtig, neue Ansätze zu finden, damit die Erinnerungen präsent bleiben.

Wie sehen die aktuellen Kampagnen aus?

Lubrich: Nach den Anschlägen vom 7. Oktober haben wir das Programm neu ausgerichtet. Wir bieten jetzt zum Beispiel jüdisch-muslimische Führungen an. Darin erzählen wir von den Ähnlichkeiten und Unterschieden im Judentum und Islam. Vielen ist zum Beispiel nicht bekannt, dass sie mit Abraham einen gemeinsamen Stammesvater haben. Sie teilen auch Symbole, wie die Hamsa Hand. Die Führung wird von zwei Guides geleitet, einen mit jüdischem und einen mit muslimischem Hintergrund.

Wie ist es zu dieser Idee gekommen?

Lubrich: Wir hörten von Lehrpersonen, die gerne zu uns ins Museum kommen wollten, aber in ihrer Klasse Widerstand spürten. Dass manche Kinder eine Hemmschwelle haben, in ein jüdisches Museum zu gehen. Wir können so auf die Bedürfnisse der Schulen eingehen. 

Haben Sie darauf bereits Reaktionen erhalten?

«Wir haben neu auch jüdisch-muslimische Führungen im Angebot»
Naomi Lubrich ist seit 2015 Direktorin des Jüdischen Museums der Schweiz. Zuvor arbeitete Sie beim Jüdischen Museum in Berlin und im Metropolitan Museum of Art in New York. Bild: Baseljetzt

Lubrich: Die Probeführungen mit den ersten Schulklassen fanden grossen Anklang. Wir waren überrascht, wie viele Fragen die Jugendlichen stellten. Insbesondere zum Nahen Osten hatten sie Gesprächsbedarf. Denn sie lesen viel darüber in den Sozialen Medien, auch viel Falsches. Im Frühjahr bieten wir diese Führungen nun verstärkt an.

Haben Sie in dem Fall auch Kontakt mit muslimischen Vereinen?

Lubrich: Die meisten jüdischen Einrichtungen sind mit den anderen Religionen in engem Kontakt. Es gibt Institutionen, die explizit den interreligiösen Dialog fördern. Wir sind mit allen im Gespräch, aber wir haben als Museum im Alltag andere Aufgaben. Wir werden durch die jüdisch-muslimischen Führungen nun aber ein neues Netzwerk erschliessen, worauf ich gespannt bin.

Die Regierung hat Ihnen 85’000 Franken für Sicherheitsmassnahmen gesprochen. Weswegen ist dies so wichtig?

Guth Biasini: Bis jetzt fiel dieser Betrag zu Lasten von Privaten oder von Stiftungen. Der Beitrag des Kantons ist für uns eine grosse Entlastung. Somit können wir die Mittel, welche wir bisher selbst investiert haben, in Ausstellungen, Führungen und in die Aufklärung einfliessen lassen. Zusätzlich können wir längere Öffnungszeiten ins Auge fassen. Denn wir haben nun die Möglichkeit, Sicherheitspersonal für zusätzliche Stunden anzustellen. Für unser Museum ist es natürlich besonders erfreulich, dass die Stadt Basel ein Zeichen setzt und uns in dieser schwierigen Zeit unterstützt.

Inwiefern hat sich die allgemeine Sicherheitslage jüdischer Menschen in Basel verändert?

Guth Biasini: Es ist eine schwierige Zeit. Sich in der Öffentlichkeit als jüdisch zu erkennen zu geben, ist riskant. Das ist neu – zumindest seit 1945.

Was braucht es, dass sich dies wieder ändert?

Guth Biasini: Wir versuchen es mit Aufklärung. Wir erzählen die Geschichte der Jüdinnen und Juden in Basel und der Schweiz und was Judentum bedeutet. Auch den Beitrag des Kantons sehen wir als sehr wichtig an. Es muss wieder eine Zeit geben, in der sich jüdische Menschen öffentlich zu erkennen geben können. Dafür braucht es den steten Dialog und ein friedliches Zusammenleben.

Lubrich: Die Aufgabe ist eine gesamtgesellschaftliche. Wir hoffen, dass unser Beitrag in Basel etwas bewirken kann.

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10.03.2024 11:40

mil1977

In der Schweiz gibt es nach wie vor Menschen, die die Verbrechen der Hamas auf offener Strasse feiern. Das Mindeste was man hier tun kann, ist diese Leute so schnell wie möglich abzuschieben.

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