An Weihnachten sind Einsame besonders allein
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Einsamkeit
Basel-Stadt

An Weihnachten sind Einsame besonders allein

19.12.2024 19:03 - update 28.04.2025 16:08

Mirjam Rodehacke

Die Weihnachtszeit ist für die einen ein Segen, für die anderen ein Ärgernis: Ob man sie in Gemeinschaft oder allein verbringt, ist sekundär – solange man weiss, wo man steht. Ein Soziologe zeigt Chancen und Gefahren auf.

Für viele Menschen ist Weihnachten ein Fest der Familie, der Liebe und der Besinnlichkeit. Eine Zeit, in der man nostalgische Kindheitserinnerungen aufleben lässt, es sich inmitten von Deko und Keksen gemütlich macht oder einfach dem Jahresende feiernd entgegenblickt.

Besonders in der westlichen religiösen Welt hat Weihnachten eine bedeutende Symbolik und gibt Anlass zur Reflexion – im positiven wie im negativen Sinne. Denn es ist eben auch eine Phase, die für einige eine spezielle Herausforderung darstellen kann: Zum Beispiel für Leute, die keinen Anschluss in der Arbeitswelt, in der Familie oder im Freundeskreis haben.

Aufgrund der Bedeutung von Weihnachten kann das Alleinsein zu dieser Zeit deshalb nochmals eine ganz andere Dimension einnehmen.

Weihnachten hält einen Spiegel vor

Jörg Dittmann, Soziologe und Institutionsleiter an der Hochschule für Soziale Arbeit FHNW, beschäftigt sich in seiner Forschungsarbeit unter anderem mit den Themen Einsamkeit, Armut und Kriminalität.

Seinen Beobachtungen zufolge hält die Weihnachtszeit den Betroffenen einen Spiegel vor: «Für manche Leute stellt Weihnachten eine Art gedankliche Projektionsfläche dar, wo sie sich fragen, ob sie eigentlich ‹genügend› beziehungsweise enge Kontakte haben. Ist das nicht der Fall, kann die Sensibilität für dieses Thema und das Gefühl von Einsamkeit zunehmen.»

Wenn das Gefühl trügt

So kann Weihnachten also als Referenzrahmen ein verstärkender Faktor für die eigene Wahrnehmung sein – in Bezug darauf, ob die eigene soziale Situation zufriedenstellend ist oder eben nicht.

Dittmann erläutert: «Eine Problematik kann demnach sein, dass sich die Menschen ihre eigene Situation während dieser Zeit nochmals unter einem anderen Blickwinkel vor Augen führen. So fühlt sich jemand aufgrund des Stellenwerts, den Weihnachten in unserer Gesellschaft hat, eventuell besonders einsam – obwohl die Situation eigentlich während des gesamten Jahres nicht gross anders war und die Person generell eher allein und zurückgezogen lebt.»

Hinzu kommt, dass Weihnachten bekanntlich den Abschnitt kurz vor dem Jahresende markiert. Ein Zusammenhang, der laut Dittmann nochmals zusätzlich sensibilisieren und das Gefühl einer Perspektivlosigkeit fördern kann. Vor allem, wenn auch im neuen Jahr eigentlich keine Änderung in Sicht ist: «Dieser Umstand kann die eigene Empfindung auf der subjektiven Ebene also zusätzlich verstärken und entsprechend lähmen.»

Allein, aber nicht einsam

Doch was ist Einsamkeit überhaupt und wie grenzt sie sich vom (positiven) Alleinsein ab? Dittmann ordnet ein: «Einsamkeit ist ein Missverhältnis zwischen dem Bedürfnis nach sozialen Bindungen oder Kontakten und der tatsächlichen Realität.» In anderen Worten: Man hätte beispielsweise gerne mehr oder tiefergehende Freundschaften, und wenn das nicht vorliegt, fühlen sich Menschen einsam.

Der entscheidende Unterschied zum positiven Alleinsein stelle dabei die Freiwilligkeit dar: «Wir alle brauchen Rückzugsmöglichkeiten, besonders in hektischen Zeiten. Handelt es sich jedoch um ein unfreiwilliges Zurückziehen, spricht man von sozialer Isolation und die ist eben nicht wirklich positiv.»

Denn der Mensch ist ein soziales Lebewesen und braucht den Austausch mit anderen – für die psychische wie die physische Gesundheit. «Verschiedene Studien zeigen, dass Einsamkeit belastende Auswirkungen auf das eigene Wohlbefinden haben kann – dass sie beispielsweise eine Depression auslöst oder verstärkt und somit auch auf andere Lebensbereiche negativ ausstrahlen kann», führt Dittmann aus.

Ursachen für dieses unfreiwillige Zurückziehen gibt es laut Dittmann viele: Beispielsweise können kritische Ereignisse im Lebenslauf wie eine Trennung ein Auslöser sein oder andere klassische soziale Probleme wie Armut.

Niederschwellige Angebote und Anlässe sind wichtig

Einen möglichen Ausweg aus dieser Situation sieht Dittmann darin, sich selbst zu hinterfragen: «Zu erkennen, wo man tatsächlich steht, ist der erste Schritt, um für sich selbst eine Veränderung herbeizuführen.» Anschliessend sei es sinnvoll, einen für sich stimmigen Weg zu finden, um aus der Isolation herauszutreten und mit anderen Menschen Kontakt aufzunehmen.

Beispielsweise durch niederschwellige Angebote, die ein gewisses Mass an Anonymität beinhalten. Solche Angebote sind zum Beispiel die Telefonhotline «meinohrfuerdich.ch» oder die Plauderkassen der Migros.

Auch soziale Anlässe, die es insbesondere an Weihnachten gibt, um am Fest nicht allein essen zu müssen (siehe Liste unten), können gute Gelegenheiten sein. Da diese Angebote allerdings zum Teil speziell an Bedürftige oder Obdachlose gerichtet sind, könnte dies für einsame Menschen eine Hürde darstellen: «Das explizite Wording kann eine Stigmatisierung begünstigen, wodurch die Gefahr besteht, dass sich ein Teil der Personen deshalb nicht traut, dort teilzunehmen», so Dittmann.

Umso wichtiger sei deshalb, eine allgemeine Sensibilität und Offenheit für das Thema Einsamkeit in der Gesellschaft zu fördern.

Lebendige Quartiere ohne Konsumzwang

Dittmann sieht diesbezüglich sowohl die Gesellschaft sowie den Staat in der Pflicht: «Eine Form der Nachbarschaftshilfe, die im normalen Alltag stattfindet und das anonyme Zusammenleben aufbricht, ist prinzipiell eine nachhaltigere Lösung als punktuelle Veranstaltungen.»

Weiteres Potenzial sieht Dittmann in der Städteentwicklung und empfiehlt, dass vermehrt lebendige Quartiere sowie kostenlose soziale Treffpunkte (Sozialräume) geschaffen werden sollen, wo sich Menschen ohne Konsumzwang treffen können.

Weihnachtsanlässe für ein gemeinsames Essen an Heiligabend

  • Thomaskirche: Weihnachtsfeier (Anmeldung bis 20.12) – 18:15 Uhr
  • Gellertkirche: offene Weihnachtsfeier (Anmeldung bis 20.12) – 18:15 Uhr
  • Münstersaal: offene Weihnachtsfeier – 18 Uhr
  • Ostello (Liestal): Weihnachtsfest – 17 Uhr
  • Heilsarmee (Liestal): Interkulturelle Weihnachtsfeier mit Abendessen – 18 Uhr

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Kommentare

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20.12.2024 10:28

Sonnenliebe

Wem es möglich ist, ladet doch euch unbekannte und einsame Menschen in euer Haus, Wohnung ein und schenkt so Freude und Friede, auch euch wird gegeben.

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20.12.2024 06:09

spalen

weihnachtszeit als schwierige zeit: ja.
aber wir sollten uns nicht nur in der weihnachtszeit um unsere mitmenschen kümmern, denen es nicht gut geht. vielen menschen geht es oft nicht gut und ebenso oft würde es helfen, würde man hinsehen und begleiten.

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