Austausch statt Polemik: Uni Basel stellt sich der Postkolonialismus-Debatte
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Nahostkonflikt
Basel-Stadt

Austausch statt Polemik: Uni Basel stellt sich der Postkolonialismus-Debatte

08.05.2024 12:02 - update 08.05.2024 21:43
Michel Schultheiss

Michel Schultheiss

Über keine intellektuelle Strömung wird derzeit so heftig gestritten wie über die postkolonialen Theorien. Ein Podium der Uni Basel brachte am Montag Dozierende mit unterschiedlichen Meinungen an einen Tisch.

Die Aula ist proppenvoll. Drei Security-Mitarbeiter halten Ausschau. Spoiler: Sie haben nichts zu tun. Während derzeit Bilder von verstörenden Campus-Konflikten um die Welt gehen, ist hier offenbar noch eine Diskussionsrunde möglich.

Und doch gibt es da diesen Elefanten im Raum: Der Nahostkonflikt. Er ist aber nicht das eigentliche Thema des Podiums. Eine kleine Gruppe von Männern und Frauen trägt Kufiyas, Palästinensertücher, um den Hals und wird sich auch noch zu Wort melden – mehr dazu aber später.

In erster Linie geht es um postkoloniale Theorien und zwar aus der Sicht von vier Menschen mit ganz unterschiedlichem Hintergründen. Falestin Naïli ist Professorin für Nahoststudien, Erik Petry Professor am Zentrum für Jüdische Studien. Kijan Espahangizi ist Historiker mit deutsch-iranischen Wurzeln, Henri-Michel Yeré, geboren in Côte d’Ivoire, arbeitet als Assistent im Bereich African Studies und Soziologie.

«Kritik daran ist nicht nur rechte Propaganda»

Warum sie nun alle zusammen auf dem Podium sitzen, hat eine Vorgeschichte. Die Rektorin der Uni Basel pflichtete in einem Interview der Behauptung des Journalisten bei, dass Postkolonialismus nur eine Welt mit weissen Tätern versus People of Color als Opfer kenne und keine Grautöne zulasse. Prompt reagierte die Fachgruppe Geschichte mit einem offenen Brief auf diese Aussagen, die sie als zu undifferenziert kritisierten. Um die Sache einmal in seiner Breite zu klären, organisierten sie zudem dieses Podium.

Schnell wird hier klar, dass die Gäste unterschiedliche Haltungen zu den besagten Theorien pflegen. Sie ermöglichten einen Perspektivenwechsel, hebt Kijan Espahangizi als positiv hervor. In mehreren engagierten Voten nennt er aber auch ihre Schattenseiten: So könnten sie nicht nur emanzipatorisch, sondern auch antiaufklärerisch verwendet werden. Als Beispiel nennt er postkoloniale Studien, wie sie im iranischen Mullah-Regime gepflegt werden, um die Herrschaft damit zu rechtfertigen. Auch das sei eben Teil dieser Theorien. «Kritik daran ist nicht nur rechte Propaganda», sagt der Historiker. So sei es sinnvoll, sich nicht in einer Wagenburg zu verschanzen, sondern diese problematischen Seiten ernst zu nehmen.

Nicht etwa ein «West against the rest»

Henri-Michel Yeré hingegen sieht gerade in den Medien und in der Politik viele Missverständnisse und Simplifizierungen rund um die postkolonialen Theorien. Mitnichten gehe es bei diesen Denkansätzen um das Prinzip «West against the rest». Was die politische Korrektheit in den Neunzigerjahren gewesen ist, laufe jetzt unter dem Kampfbegriff Wokeness, was mit den eigentlichen Theorien oft nicht viel zu tun habe. «Hier werden ideologische Kriege geführt», so Yeré. Er erntet Applaus. Ebenso Falestin Naïli. Sie betont etwa, dass diese Theorien nicht etwa als Ideologien, sondern als Werkzeuge zum Verständnis der kolonialen Macht und der Moderne zu verstehen seien. Auch sie ist der Ansicht, dass es hier nicht um eine Dichotomie zwischen dem Westen und dem Rest geht, sondern um ein Augenmerk auf die Unterdrückten der Geschichte.

Zurück zum Elefanten im Raum: Tatsächlich holt der Nahostkonflikt die Diskussion doch noch ein. Dies, weil der Name Edward Said fällt. Der amerikanisch-palästinensische Literaturtheoretiker unterzog einst den westlichen Blick auf den Orient einer kritischen Überprüfung. Petry gibt zu bedenken, dass in der Forschung diskutiert werde, ob Saids Schriften auch Wegbereiter für antisemitische Schlussfolgerungen seien. Ein Raunen geht durch die Runde bei der Gruppe mit den Kufiyas.

«Israel ist kein kolonialer Staat»

Und prompt richten sich dazu auch die ersten etwas forschen, aber anständigen Publikumsfragen an Petry. Petrys Antwort fällt klar aus: «Israel ist kein kolonialer Staat». Eine solche Bezeichnung tauge nämlich nicht dazu, den Konflikt zwischen zwei Seiten, die Anspruch auf Land erheben, zu beschreiben. Hier vereinfachend von Kolonialisten und Kolonisierten zu sprechen sei kein Lösungsansatz, so Petry.

Kurzum: Das Podium fasst mehrere heisse Eisen an, bleibt aber stets gesittet. Entsprechend zufrieden ist Henri-Michel Yeré nach der Diskussion. «Es gab Meinungsverschiedenheiten zwischen den Teilnehmern, doch auf eine gesunde Art», sagt er gegenüber Baseljetzt. «Momentan ist es schwierig, Plattformen zu finden, wo die Leute höflich bleiben und sich in Frieden trennen». Und Erik Petry resümiert mit Bezug auf diverse antisemitische Vorfälle, die hier glücklicherweise ausblieben: «Es ist mir ein Herzanliegen, dass wir solche Diskussionen führen und nicht etwa Schmierereien an jüdischen Friedhöfen vorfinden».

Theorien immer wieder kritisch reflektieren

Ob das Publikum ebenso zufrieden ist? Für die Pflegefachfrau Maria Schäfer ist die Sache klar: «Die Diskussion brachte die Möglichkeit, heiss debattierte Themen auf eine sehr sachliche Ebene zu bringen», so die Zuhörerin gegenüber Baseljetzt. Die Spannung im Raum sei auch souverän vom Podium aufgenommen worden. Damiano Capelli gibt hingegen zu bedenken, dass Menschen nicht etwa aufgrund von Theorien, sondern wegen Konflikten wie etwa im Nahen Osten radikalisiert würden. Daher sei das hier die falsche Diskussion.

Es brauche noch viel mehr solche Panels, findet dagegen Elisa da Costa, die den Podcast «Blackfluencers» betreibt. «Und es braucht viel mehr Stimmen – eben auch solche die man sonst nicht hört». Wichtig sei aber auch, all diese Theorien immer wieder kritisch zu reflektieren, so die Podcasterin und Studentin.

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11.05.2024 18:12

vatiga

Gut dass man solche Veranstaltungen macht und man den konstruktiven Diskurs, mit Respekt, führt

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09.05.2024 17:18

mil1977

Eine Lösung eines grossen Teils der Probleme mit Antisemiten und Rassisten nennt sich “Abschiebung”, inzwischen “Remigration” genannt.
Gleiches gilt für überproportional viele Fälle aus der Kriminalitätsstatistik.

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