Birsfelden verteidigt Bussen: «Wir sind überzeugt, dass wir rechtens handeln»
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Durchfahrtskontrollen
Baselland

Birsfelden verteidigt Bussen: «Wir sind überzeugt, dass wir rechtens handeln»

06.10.2025 19:33 - update 07.10.2025 08:57
David Frische

David Frische

Mit seinen automatisierten Durchfahrtskontrollen sorgt Birsfelden international für Schlagzeilen. Ist das neue Verkehrsregime rechtens? Die Meinungen gehen auseinander. Die Gemeinde verteidigt sich.

«Bussen-Wahnsinn in Birsfelden BL: Was sagt das Recht?». «Wer hier weniger als 15 Minuten bleibt, zahlt Strafe». Oder sogar: «Alpen-Dorf kassiert täglich tausendfach ab – Betroffene wüten über neue Touristenregel». Die Schlagzeilen über Birsfelden haben sich in den letzten Tagen überschlagen – im In- und Ausland. Mit der automatischen Durchfahrtskontrolle hat sich die Baselbieter Gemeinde aufs internationale Medienparkett katapultiert.

Darum gehts: Seit September schränkt Birsfelden die Zufahrt zu Quartieren drastisch ein. Wer Quartierstrassen befährt, muss mindestens 15 Minuten dort bleiben – sonst setzt es eine 100-Franken-Busse ab. Das Ziel: Den Ausweichverkehr eindämmen. Denn viele Autofahrende wollen dem Pendlerstau über die Quartierstrassen entkommen.

Wie viele das versuchen, zeigt sich seit Einführung der automatischen Durchfahrtskontrolle deutlich: In den ersten Tagen seien über 1000 Verkehrsteilnehmende gebüsst worden – pro Tag. Das teilte die Gemeinde vergangene Woche mit. Damit gerechnet hat sie nicht: «Wir sind schon etwas überrascht, dass es so viele Bussen gibt und dass es entsprechend auch all diese Schlagzeilen ausgelöst hat», so Gemeindepräsident Christof Hiltmann (FDP) gegenüber Baseljetzt.

Es hagelt Kritik

Neben dem Ärger vieler Verkehrsteilnehmender über die Bussen dominiert eine Frage die Berichterstattung zu Birsfelden: Ist ein solches Bussen-Regime rechtlich zulässig? Die St. Galler Strafrechtlerin Monika Simmler stellte dies in einem Post auf LinkedIn zumindest infrage: «Wenn ich die Gemeinde wäre, würde ich das Geld noch nicht ausgeben. Es gibt berechtigte Zweifel, ob die ‹automatische Durchfahrtskontrolle› verfassungskonform ist».

Zudem gibt es Widerstand vom Touring Club Schweiz (TCS). Ihm sind die Fahrverbote ein Dorn im Auge. Die TCS-Sektion beider Basel hat im SRF Regionaljournal Basel bereits angekündigt, juristisch gegen die automatische Durchfahrtskontrolle vorgehen zu wollen.

Birsfelden auf Rechtsstreit gefasst

Die Gemeinde Birsfelden nimmt die Kritik gelassen entgegen: «Wir sind überzeugt, dass wir rechtens handeln», sagt Gemeindepräsident Hiltmann am Montag. Vor der Einführung habe man das System vom kantonalen Datenschutz und von rechtlicher Seite prüfen lassen. «Es wurde uns von überall grünes Licht gegeben.» Trotzdem sei die Gemeinde auf Rechtsverfahren gefasst: «Wir gehen davon aus, dass bei so vielen Bussenfällen der Rechtsweg beschritten wird. Und dann werden wir schauen, was dabei herauskommt», so Hiltmann. Bislang seien bei der Gemeinde drei schriftliche Einsprachen gegen Bussen eingegangen.

Datenschützer: «Möglichst kleiner Eingriff in die Privatsphäre»

Wie von Hiltmann betont, hatte der kantonale Datenschutz die automatische Durchfahrtskontrolle geprüft, bevor diese von der Gemeindeversammlung Birsfelden abgesegnet und schliesslich eingeführt wurde. Um was geht es da? «Bei der Vorab-Konsultation ist es unsere Aufgabe, dass wir sowohl die gesetzlichen Grundlagen als auch die Grundlagen der Datenbearbeitung anschauen», erklärt der Datenschutzbeauftragte des Kantons Basel-Landschaft, Markus Brönnimann. «Wir haben darauf geachtet, dass es aus Sicht des Datenschutzes möglichst konkret ist und es einen möglichst kleinen Eingriff in die Privatsphäre der Menschen gibt.»

Will heissen: Es sollen nur so wenig Daten gesammelt werden, wie unbedingt nötig. Jene Personen, die sich länger als 15 Minuten in den Quartierzonen aufhalten und somit bei der Durchfahrt nicht gebüsst werden, werden im System nicht gespeichert. Dasselbe gelte für die Anwohner:innen, so Brönnimann.

Brönnimann: «Bin froh, dass darüber diskutiert wird»

Birsfelden führt die Durchfahrtskontrollen seit Mitte September durch. Seither wurden tausende Autofahrer:innen gebüsst. Das bedeutet für die Gemeinde Einnahmen in Millionenhöhe. Trotz grünem Licht für die Massnahme schliesst aber auch der Datenschützer nicht aus, dass die Bussen noch vor Bundesgericht landen. «Wir haben es primär von der Datenschutzseite angeschaut. Wir verifizierten nur, ob man es rein von der Verkehrsführung her so machen kann. Und wenn man das so darf, dann ist es aus unserer Sicht der kleinstmögliche Eingriff, so wie es Birsfelden nun umsetzt», erklärt Brönnimann.

Eine öffentliche Debatte über solche Massnahmen findet er aber wichtig, denn: «Es handelt sich hier ganz klar um Überwachungen, bei denen ich auch froh bin, dass nun öffentlich darüber diskutiert wird. Und ich hoffe auch, dass der Aspekt der Privatsphäre wirklich thematisiert wird – ganz unabhängig vom Fall Birsfelden.»

Gemeinde rechnet mit Bussen-Rückgang

Die öffentliche Diskussion wird weitergehen, so viel ist sicher. Sicher ist auch, dass in Birsfelden vorerst weiter Bussen verteilt werden. Die Gemeinde erwartet, dass es schon bald nicht mehr rund 1000, sondern zwischen 50 und 100 Bussen pro Tag sein werden. Diese Grössenordnung sei im Budget eingeplant, so Gemeindepräsident Hiltmann. Ob Birsfelden das Geld in der Kasse behalten darf, ist offen.

Mitarbeit: Stefan Plattner

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Kommentare

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07.10.2025 15:48

Sonnenliebe

Ich finde es begrüssenswert und es wird dem TSC auch nichts nützen gegen die Bussen vorzugehen. Der Verkehr wird entlastet und die Schilder leuchten, also alles eine faule Ausrede, dass man es nicht sehen kann und davor gewarnt ist, selber schuld.

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07.10.2025 10:20

skywings2

Und wie immer : Geht es gegen den Individualverkehr werden Tsunami’s ausgelöst. Die freien BürgerInnen für freie AutofahrerInnen, die Windschutz-Scheibe-Romantik und Gaspedal runter bis zum Anschlag hatten schon immer das Gefühl, mehr Rechte als andere zu haben. Höchste Zeit, dies einzuschränken.

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