«Eine Entkriminalisierung – beispielsweise von Pyros – könnte das Gewaltpotenzial verkleinern»
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Kollektivstrafen
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«Eine Entkriminalisierung – beispielsweise von Pyros – könnte das Gewaltpotenzial verkleinern»

05.02.2024 16:10 - update 06.02.2024 08:13
Lea Meister

Lea Meister

Das Thema Kollektivstrafen sorgt derzeit für hitzige Diskussionen. Auch im Sonntagstalk von Telebasel kam das Thema zur Sprache. Die Gäste waren sich einig: Kollektivstrafen sind nicht der richtige Weg.

Dass Mitte-Politikerin Elisabeth Schneider-Schneiter nichts von Kollektivstrafen hält, ist spätestens seit ihrem Gastkommentar bei Nau.ch von Ende Januar bekannt. Im Sonntagstalk bei Telebasel sagte Schneider-Schneiter: «Ich war auch schon ab und zu in der Muttenzerkurve, weil die Stimmung einfach super ist.» Wer regelmässig an Fussballspiele gehe, habe eine differenziertere Haltung, wenn es um Kollektivstrafen gehe. «Denn die meisten Besucherinnen und Besucher sind unbescholtene Bürger, die einfach Freude am Fussball, der Stimmung und dem Gemeinschaftsgefühl haben.»

Kollektivstrafen würden für sie völlig am Ziel vorbeischiessen. «Ich habe zudem Bedenken, ob diese rechtlich überhaupt standhalten.» Ex-Diplomat Thomas Borer pflichtet ihr bei. Auch er sei ganz klar gegen Kollektivstrafen, denn die Verbrechen würden ja meist ausserhalb eines Stadions stattfinden. «Solche Verbrecher müssen mit strafrechtlichen Massnahmen individuell zur Rechenschaft gezogen werden und nicht durch den Fussballclub oder andere Fans, die darunter leiden.»

Die Forschung zeigt, was Kollektivstrafen (nicht) bringen

In anderen Bereichen werde dies ja auch nicht so gehandhabt, sagt Borer und spricht Demonstrationen am 1. Mai an, bei welchen es regelmässig zu Ausschreitungen komme. Auch Co-Präsidentin der SP Basel-Stadt, Lisa Mathys, ist gleicher Meinung wie ihre Vorredner:innen: Dass Kollektivstrafen kein taugliches Mittel seien, um Straftaten zu ahnden oder Prävention zu betreiben, zeige ausserdem auch die Forschung.

Dass die Clubs sich am vergangenen Wochenende solidarisiert und dies mit verschiedenen Aktionen zum Ausdruck gebracht haben, findet Elisabeth Schneider-Schneiter richtig. «Mit Kollektivstrafen werden Leute bestraft, die diese Gewalt nicht wollen und auch nichts damit zu tun haben.»

Die Behörden weisen immer wieder darauf hin, dass sich in gewissen Gruppierungen Menschen gegenseitig decken und somit die strafrechtlichen Prozesse verunmöglichen oder verkomplizieren würden. Borer sagt, das gebe es auch in anderen Bereichen, in welchen Gewalttaten begangen werden. «Man muss dennoch die Individuen verfolgen. In England hat die Einführung von Schnellgerichten diesbezüglich sehr viel gebracht.»

Entkriminalisierung auf den Rängen

Auch nicht zu unterschätzen sei das Thema Entkriminalisierung. Elisabeth Schneider-Schneiter spricht sich beispielsweise für eine Legalisierung von Pyro-Technik aus. Es gebe dabei praktisch keine Verletzten. «Wenn man gemeinsam mit der Fanszene schaut, wie man Pyros ablassen kann, damit es eben auch legal ist, könnten die Kurven beispielsweise auf die Vermummung verzichten.» Eine Entkriminalisierung, die gemeinsam mit den Fankurven angegangen würde, könne das Eskalations- und Gewaltpotenzial verkleinern.

Mit dem Basler Weg und einer sehr engen Zusammenarbeit mit dem FC Basel und den Fans habe das früher eigentlich sehr gut funktioniert. «Leider wird die Fanarbeit heute vom Club nicht mehr so unterstützt, wie das früher noch der Fall war», ergänzt Schneider-Schneiter. Um wieder mehr sensibilisieren zu können, müsse man die Fanarbeit wieder verstärken. «Wer nahe an der Muttenzerkurve ist, weiss aber, wie viel dort für die Fanarbeit gemacht wird», so Schneider-Schneiter.

Entgegen dem rechtsstaatlichen Verständnis

Auch Lisa Mathys ist überzeugt, dass die echte Fanarbeit der einzig richtige Weg sei. «Das sind dann eben Präventionsmassnahmen und nicht Kollektivstrafen.» Für sie sei ganz klar, dass es nur über den Dialog mit der Kurve funktionieren könne. «Ich bin überzeugt, dass der Basler Weg der erfolgreichste war und wir uns auch weiterhin schweizweit darauf besinnen sollten», so Mathys.

Schneider-Schneiter stört an Kollektivstrafen am meisten, dass sie nicht ihrem rechtsstaatlichen Verständnis entsprechen: «Kollektivstrafen sind schwierig für das Individuum, welches nichts getan hat. Das sollten auch die Behörden wissen.» Es gehe in der ganzen Thematik ausserdem nicht darum, den Behörden die Arbeit einfacher zu machen, sondern darum, den «schwierigen Weg zu gehen», um weniger Gewalt erreichen zu können. Dafür müssten alle gemeinsam an einem Tisch sitzen.

Auch Thema im Talk war die Aussage von Karin Kayser-Frutschi, Justiz- und Sicherheitsdirektorin im Kanton Nidwalden, die sagte, wer sich in einer Kurve aufhalte, müsse damit rechnen, dass etwas passieren könne. «Mitgehangen, mitgefangen», also. Für Thomas Borer eine absurde Unterstellung: «Wenn ich am 1. Mai mitlaufe, um für meine Rechte einzustehen, bin ich doch nicht verantwortlich für Gewalttaten anderer. In der Muttenzerkurve soll ich das aber sein?» Das sei nicht nur absurd, sondern widerspreche auch jedem rechtsstaatlichen Denken.

Den ganzen Sonntags-Talk kannst du hier nachschauen.

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06.02.2024 10:18

skywings2

Mit der Schliessung der Gästefansektoren treffen sich die Fan’s in den Fussgängerzonen, vor den Stadien, anderen Sektoren im Stadion oder Weihnachtsmärkten der jeweiligen Stadt. Im Ausland gibt es schon lange personalisierte Ticket’s, Ausschreitungen finden trotzdem statt. Weil die Identifikation der Gewalttäterschaft extrem schwierig bis unmöglich ist gab es in den vergangenen Jahren kaum Verurteilungen. Obwohl ein Teil der Kantone seit der Gründung 2007 des Hooligan-Konkordat beitraten änderte sich wenig. Personalisierte Ticket’s nützen nur wenn einen Sitzplatzpflicht durchgesetzt wird. In den Fan-Kurven erachte ich das als extrem schwierig. Höchstens mit massivem Personalaufgebot….auch während dem Match. Das zahlt niemand. Wünschenswert ist, dass die wirksame Fanarbeit intensiviert und von der Politik und zugewandten Orten stärker unterstützt und geschätzt wird. Ich hörte aus der Politik kaum Forderungen, dass in den Kurven mehr FanarbeiterInnen sein müssten.

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