Nutzen und Gefahren von Kollektivstrafen: Scharfe Debatte zwischen Eymann und Jungpolitiker
©Bilder: Keystone/Telebasel, Montage: Baseljetzt
Fussball
Sport

Nutzen und Gefahren von Kollektivstrafen: Scharfe Debatte zwischen Eymann und Jungpolitiker

01.02.2024 06:01 - update 01.02.2024 13:08
David Frische

David Frische

Gesperrte Sektoren in Schweizer Fussballstadien schlagen hohe Wellen: Bringen Kollektivstrafen etwas? Die Basler Sicherheitsdirektorin und der Präsident der Jungfreisinnigen BL sind nicht gleicher Meinung.

Weil ein paar Chaoten gewalttätig sind, müssen tausende friedliche Fussballfans draussen bleiben. So wollen es die Kollektivstrafen im Fussball, die seit knapp einem Jahr von kantonalen Sicherheitsbehörden angewandt werden. Den Anfang machte im April 2023 das Basler Justiz- und Sicherheitsdepartement mit Stephanie Eymann an der Spitze. Als Reaktion auf äusserst brutale Ausschreitungen rund um das Cup-Halbfinalspiel gegen den BSC YB, bei der vier Sicherheitsbeamte schwer verletzt worden waren, schloss Eymann für das nächste Spiel zwischen dem FCB und YB die Muttenzerkurve und den Gästesektor.

«Man kann nicht keine Reaktion auf so etwas haben», sagt Eymann am Mittwochabend in der Sendung «Punkt6 Thema» auf Telebasel. Sie würde rückblickend dieselbe Analyse machen und wohl auch dementsprechend entscheiden, so die Basler Sicherheitsdirektorin. Denn Eymann ist überzeugt davon, dass es gegen Gewalt im Fussball harte Massnahmen wie die Kollektivstrafen braucht.

Anders sieht das Lucio Sansano. Der Präsident der Jungfreisinnigen Baselland ist entschieden gegen solch kollektive Massnahmen. «Ich verurteile die Gewalt aufs Schärfste», betont er in der Sendung. Zielführend seien sie aber nicht. «Denn sie treffen die Falschen.» Sansano und Eymann diskutierten im «Punkt6 Thema» scharf über Sektorsperren in Fussballstadien, die in den letzten Monaten wiederholt ausgesprochen wurden. Zuletzt in Zürich, Bern und Lausanne. Im Zentrum der TV-Debatte standen fünf Fragen:

1. Wer sind die Übeltäter:innen?

Für Stephanie Eymann ist der Fall klar: «Das sind Leute aus den Kurven.» Ein kausaler Zusammenhang zwischen der Gewalt und den Fussballfans sei gegeben. Dementsprechend würden mit Kollektivstrafen Sanktionen am richtigen Ort ausgesprochen. «Es trifft zum Teil die Falschen», gibt Eymann gegenüber Sansano zu. «Aber irgendwo braucht es trotzdem eine Massnahme.» Solches Verhalten könne man nicht einfach tolerieren.

Sansano bezweifelt, dass hinter den Krawallen immer Fussballfans stecken. «Viele Situationen ereignen sich ausserhalb des Stadions. Man weiss nicht einmal, ob diese Leute wirklich im Stadion waren.» Dass für deren Fehlverhalten dann tausende Fans geradestehen müssen, findet er nicht in Ordnung.

2. Solidarisieren sich friedliche Fans mit Schläger:innen?

Ordentlich Diskussionsstoff lieferte die Frage, welchen Effekt Kollektivstrafen haben. Für Sansano ist klar, dass sie keine Lösung sind. Im Gegenteil: «Es entsteht ein gemeinsamer Sinn, der dazu führt, dass der eigentlich gute, grosse Teil der Fans sich mit den Anderen solidarisiert». Das zeigten Forschungsergebnisse aus dem In- und Ausland, argumentiert er.

Ob Kollektivstrafen zur Radikalisierung der Fanszene führen, weiss Eymann nicht. Vielmehr ist ihr wichtig, dass sich «Sicherheitspolitik nicht an der Reaktion richtet». «Wir brauchen ein Commitment gegen Gewalt und dürfen uns nicht einschüchtern lassen.»

3. Gibt es weniger Vorfälle, dafür mehr Brutalität?

Sansano wirft Eymann und den Sicherheitsbehörden in der Sendung vor, bei ihrem harten Kurs gegen Fussballfans eine Tatsache zu ignorieren: «Es wird nie darüber gesprochen, dass es in der Saison 2022/23 die niedrigsten Fallzahlen seit Jahren gab». In der Tat zeigt die Statistik des Bundesamts für Polizei (Fedpol), dass es in der vergangenen Spielzeit in der Super League am wenigsten schwere Vorkommnisse gab, seit die Zahlen erhoben werden.

Eymann entgegnet, dass sehr wohl über die Zahlen gesprochen worden sei. Auch wenn es weniger schwere Ereignisse gegeben habe, seien diese teils doch teils «massiv» gewesen. «Wenn ich sehe, dass in Zürich mit Steinen auf die Polizei losgegangen wird, dass Böller auf Polizisten geworfen werden, ist das für mich kein Kavaliersdelikt.»

4. Aussicht auf Lösung oder bloss Prinzip Hoffnung?

Sansano konfrontiert im Streitgespräch Eymann mit der Frage, ob die Sicherheitsdirektorin und ihre Kolleg:innen der anderen Kantone wirklich der Überzeugung sind, dass Kollektivstrafen Gewalttaten verhindern. «Wenn der Sektor gesperrt wird, können die Fans ja trotzdem solche Dinge tun», argumentiert der Jungfreisinnige.

Eine klare Antwort gibt Eymann nicht. Sie könne sich vorstellen, dass es Fans ärgert, wenn die Kurve gesperrt ist und sie sich dementsprechend von den Verantwortlichen distanzieren – so die Hoffnung der Basler Sicherheitsdirektorin. Sie stellt den Fokus infrage: «Man darf nicht immer sagen, die Sicherheitsbehörden seien die Bösen. Sondern man soll auch mal klar benennen, woher die Gewalt kommt, und sich davon distanzieren».

5. Bleibt mit Kollektivstrafen der Dialog auf der Strecke?

Mit den kollektiven Massnahmen legen die Sicherheitsbehörden eine härtere Gangart im Umgang mit Gewalttäter:innen rund um Fussballspiele an den Tag, als dies in den vergangenen Jahren der Fall war. Ein anderer Weg ist jener des Dialogs zwischen Behörden, Fans und Fussballclubs, beispielsweise im Rahmen der Fanarbeit. Eymann betont, dass der Dialog nach wie vor ein wichtiger Faktor beim Thema Gewalt im Fussball sei, und dass dieser auch Bestandteil des Kaskadenmodells sei, das von Sicherheitsbehörden, der Swiss Football League, den Fussballclubs und anderen Beteiligten ausgearbeitet worden sei (mehr dazu siehe Infobox unten).

Sansano widerspricht: «Alle Fankurven in der Schweiz solidarisieren sich zurzeit gegen die Kollektivstrafen. Das heisst, der Dialog wird einfach weggeworfen. Jahrelange Dialogarbeit wird innert eines Jahres weggeworfen», mahnt er.

Wie geht es weiter?

Auf die angewendeten Kollektivmassnahmen gegen Gewalt in und um Fussballstadien soll bald ein strukturiertes Handlungsmodell folgen. Eine Arbeitsgruppe, bestehend unter anderen aus der Konferenz der kantonalen Justiz- und Polizeidirektor:innen (KKJPD), der Swiss Football League und der Fussballclubs, hat einen Stufenplan erarbeitet, der nach bestimmten Vergehen bestimmte Sanktionen vorgeben soll. Es handelt sich um ein Kaskadenmodell nach dem Prinzip: Je öfter ein Vergehen auftritt und je schlimmer es ist, umso härter die Sanktionen. Das Modell sieht unter anderem auch Geisterspiele und Forfait-Niederlagen für Clubs mit fehlbaren Fans vor. Es befindet sich zurzeit in der Vernehmlassung und soll in diesem Frühjahr verabschiedet werden. Zur Anwendung käme es dann voraussichtlich in der Saison 2024/25. (daf)

Die ganze Debatte zwischen Stephanie Eymann und Lucio Sansano im «Punkt6 Thema» auf Telebasel kannst du hier nachschauen.

Feedback für die Redaktion

Hat dir dieser Artikel gefallen?

Kommentare

Dein Kommentar

Mit dem Absenden dieses Formulars erkläre ich mich mit der zweckgebundenen Speicherung der angegebenen Daten einverstanden. Datenschutzerklärung und Widerrufshinweise

01.02.2024 09:41

skywings2

Schon vor Jahrzehnten gab es in Kurven eine Subkultur deren MitgliederInnen zu Gewalt neigen. Willst Du als üblicher Kurvengänger einschreiten wirst Du von dieser Gruppe bedroht. In den Kurven bestehen zwei Gruppen, friedliche und gewaltbereite. Die Gewaltbereiten sind Kriminelle die dort irgend etwas ausleben. Die gehören mit aller Schärfe verfolgt und verurteilt. Sie vermummen sich aber total und sind deshalb kaum zu indentifizieren.Das nutzlose Geschwafel von ID / pers. Ticket’s nützt nur wenn eine Sitzplatzpflicht durchgsetzt wird. Dessen Personalaufwand bezahlt niemand. Wichtig ist dass die wirksame Fanarbeit intensiviert und von der Politik stärker unterstützt und geschätzt wird. Dieser Arbeit ist es zu verdanken, dass in den vergangenen Jahren Attacken reduziert wurden. In jede Kurve gehören sehr viele Fanbeauftragte um Aktionen vorbeugend zu unterbinden.

5 0

Kommentare lesen?

Um Kommentare lesen zu können, melde dich bitte an.