«Irre Welle»: Wenn die Stimmen von vergessenen Frauen wieder hörbar werden
©Bild: Markus Wolff
Theater
Kultur

«Irre Welle»: Wenn die Stimmen von vergessenen Frauen wieder hörbar werden

24.10.2025 12:00 - update 24.10.2025 17:55
Michael Kempf

Michael Kempf

Die Theatermacherinnen Ursina Gregori und Ruth Widmer bringen erstmals als Duo ein tiefgründiges und humorvolles Stück auf die Bühne. Premiere feiert ihr Stück am Freitag im Barakuba auf dem Gundeldinger Feld.

«Irre Welle – Zwei Frauen strahlen aus» lautet der Titel des Stücks, das die beiden Basler Theaterschaffenden gemeinsam mit Regisseurin Sybille Burkart erarbeitet haben. Baseljetzt durfte bereits vor der Premiere bei einem Durchlauf dabei sein.

Radiostudio mit vielen Telefonen

Als wir am Mittwochnachmittag das Barakuba für die Hauptprobe betreten, erwartet uns ein schlichtes Bühnenbild. Es gibt zwei weisse Drehstühle, eine braune Stehlampe aus den 70ern und zwischen den Stühlen steht ein Tisch mit vier Telefonen – Kinder der 80er- und 90er-Jahre werden sich vielleicht noch an solche Tische erinnern, die früher in Bankschaltern standen und Kindern mit Märchen die Wartezeit versüssten. Auf dem Tisch steht eine (noch) ausgeschaltete LED-Glühbirne.

Doch das Bühnenbild soll nicht über die Inhaltsstärke täuschen, die in «Irre Welle» auf einen wartet. Aber der Reihe nach. Die beiden in die Jahre gekommen Moderatorinnen Lilly Laduner (Ruth Widmer) und Rita Rutishauser-Ruckstuhl (Ursina Gregori) betreten die Bühne und begrüssen das Publikum in ihrem Radiostudio. Nachdem sie sich in der vergangenen Folge den vergessenen Männerstimmen gewidmet hätten, seien in dieser Folge nun jene der Frauen dran, erklärt uns Lilly Laduner. Nach einer kurzen technischen Einführung – «Wenn die rote Lampe leuchtet, strahlen wir aus, wenn sie aus ist, strahlen wir nicht aus» – geht es auch schon los.

Eintauchen in dunkle Vergangenheit

In der ersten Geschichte nimmt uns Lilly Laduner mit auf eine Reise zu ihrem Grossvater nach Walzenhausen im Kanton Appenzell Ausserrhoden. Dabei schlüpft Laduner sogleich in die Rolle ihres Grossvaters, während Rita die junge Lilly Laduner mimt. Die beiden stehen nun vor dem Töchterheim Sonnenberg, in dem zwischen 1950 und 1975 rund 2000 Frauen unter dem Deckmantel der «Erziehung durch Arbeit» zur Zwangsarbeit weggesperrt wurden. Während Rita als kindliche Lilly von ihrem Grossvater wissen möchte, wer diese «Töchter» seien, hält dieser sich wortkarg zurück – symbolisch für das Schweigen des Kantons, der von der Zwangsarbeit im Sonnenberg nichts wissen wollte.

«Irre Welle»: Wenn die Stimmen von vergessenen Frauen wieder hörbar werden
Bild: Markus Wolff

Die beiden Moderatorinnen vermischen gekonnt Reales mit Fiktion. So greifen sie etwa danach zu den vier Telefonhörern und strecken diese in Richtung Publikum. Eine Märchenstimme erzählt von den Töchtern, die nach der Auflösung des Sonnenbergs in den Tälern verschwanden und von denen nur noch gestickte Taschentücher als Erinnerung übrig sind. Man hört die Töchter durch die Telefone singen.

Eine Stimme für jene, die damals keine hatten

Mit musikalischen Einlagen erhalten jene Frauen, die in der Vergangenheit nicht gehört wurden, eine Stimme. So etwa auch, wenn sich die beiden Moderatorinnen mit dem «Hôpital de la Salpêtrière» befassen, einer psychiatrischen Anstalt in Paris. Dort sperrte der Neurologe Jean-Martin Charcot im 19. Jahrhundert zahlreiche Frauen unter dem Deckmantel der Hysterie ein und führte sie wie Zirkustiere in seinem Hörsaal vor. Um aus der Klinik zu entkommen, mussten sich die Frauen als Männer verkleiden.

Mit Akkordeon und einer schwarzen Mappe in der Hand singen Lilly und Rita nun die Namen jener Frauen, die in Männerkleidern und mit Klebebärten durch die Pariser Strassen rennen, während ihre Stimmen als Chor aus den Telefonen ertönen.

«Irre Welle»: Wenn die Stimmen von vergessenen Frauen wieder hörbar werden
Bild: Markus Wolff

Es ist diese Mischung aus entlarvender Fantasie, die das gut 70-minütige Spiel von «Irre Welle – Zwei Frauen strahlen aus» unterstreicht. Es gibt bedrückende Momente, die immer mal wieder mit kernigen Gesängen und einer Prise Selbstironie aufgelockert werden.

Die Premiere am Freitagabend im Barakuba ist bereits ausverkauft. Ebenso sind die beiden weiteren Vorstellungen am Samstag und Sonntag ausverkauft. Am 20. und 28. November spielen die beiden Basler Theaterfrauen ihr Stück im Neuen Theater Dornach. Zudem sind für Mai 2026 weitere Vorstellungen geplant.

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Kommentare

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24.10.2025 12:49

Hoschi

Es ist ein wichtiges Zeichen.

5 1
24.10.2025 11:39

spalen

klingt sehr interessant diese produktion. es ist immer wieder schön zu sehen, wie lebendig die szene ist

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