
Wenn das Schweigen der Uni Basel zur griechischen Mythologie wird
Michael Kempf
Das Unitheater Basel widmet sich in seinem neusten Stück der Geschichte der trojanischen Seherin Kassandra. Dabei thematisieren sie auch die mutmasslichen sexualisierten Übergriffe an der Universität Basel.
Kassandra, die trojanische Seherin der griechischen Mythologie, hat die Gabe, die Wahrheit über die Zukunft vorauszusehen. Sie wird jedoch vom Gott Apollon verflucht, weil sie seine Avancen zurückweist. Durch den Fluch wird ihren Vorhersagen kein Glauben geschenkt. So sieht sie die Gefahr durch die Griechen im Inneren des Trojanischen Pferdes voraus, wird aber von niemandem beachtet, da aufgrund des Fluches niemand ihren Vorhersagen glaubt.
Genau diese Mytologhie greift das Unitheater Basel in seinem neusten Stück «KASSANDRA» auf, das am vergangenen Freitag im Ostquai Premiere feierte. Die Wahl der Mytologie ist kein Zufall, wie uns Produktionsleiter Lionel Mennel, Regisseurin Tamea Wissmann und Spielerin Jule Ertl auf Anfrage verraten. Denn das Stück greift auch ein aktuelles Ereignis auf: die Missbrauchsfälle an der Universität Basel, die im November 2024 durch den SRF Kassensturz publik wurden.
Wenn Betroffene zu Wort kommen
Der Übergang von der Mythologie zur Realität vollzieht sich auch im Stück selbst. So stürmt Kassandra, die mit anderen trojanischen Frauen gefangen gehalten wird, mit einer Fackel in den Saal, blickt den Zuschauern tief in die Augen und trägt plötzlich Texte aus den Erlebnisberichten der Betroffenen vor. «Er schrieb mir Emails. Er rief mich an. Einige Male schlief ich mit ihm. 24 weitere Male sagte ich Nein. Ohne Effekt.»
Helena, eine der anderen gefangenen trojanischen Frauen, nimmt Kassandra die Fackel ab und wendet sich ihrerseits an die Zuschauer:innen. «Der Übergriff fand aber unter vier Augen statt, ohne Zeugen – irgendwann zwischen 1:00 Uhr nachts und 4:00 Uhr morgens», ertönen die Worte der Betroffenen aus Helenas Mund.

Die beiden Frauen wechseln sich mit der Fackel ab. Und immer wieder zitieren sie, was die Betroffenen in ihren Erfahrungsberichten gesagt haben. Als Zuschauer wird man direkt mit den Aussagen konfrontiert. Kein Ausweichen oder weghören möglich.
Um diese Authentizität möglichst genau wiedergeben zu können, standen die Mitwirkenden des Unitheaters Basel in engem Kontakt mit den Betroffenen. «Ohne die Betroffenen hätten wir dieses Stück nicht entwickelt», sagt das Unitheater-Team. «Wir standen auch während des Prozesses immer wieder im Kontakt mit den Betroffenen, ihre Einwilligung wurde immer wieder eingeholt.»
Enttäuscht von der Haltung der Uni Basel
Das Stück «KASSANDRA» des Unitheater Basels zeigt eines klar auf. Die Entäuschung der Studierenden gegenüber der Uni Basel bzw. besonders der Unileitung, sowie deren Umgang mit den beschuldigten Professoren. «Wir
vom Team sind ja alles Studierende und laufen entsprechend Gefahr, diese
Gewalterfahrungen selber zu machen. Und wir wollen mit diesem Risiko nicht leben. Wir wollen nicht von Personen unterrichtet werden, die in der Vergangenheit ihre Machtposition derart missbraucht haben», erklären Wissmann, Ertl und Mennel.
Die Universität Basel wollte sich auf Anfrage von Bajour nicht zum Stück des Unitheater Basel äussern und verweist auf frühere Stellungnahmen. Von Seiten des Unitheaters wurde die Rektorin der Uni Basel (die im Stück auch kritisiert wird) Andrea Schenker-Wicki zur Premiere eingeladen. Diese wurde jedoch von Matthias Geering, Leiter Kommunikation und Marketing, entschuldigt. Geering selbst wollte sich das Stück ansehen, musste sich dann aber krankheitshalber entschuldigen. Laut Tamea Wissmann waren jedoch einige Dozierende im Publikum und haben sich das Stück angeschaut.

Mit ihrer Performance will das Unitheater vor allem auf das Thema rund um die Vorfälle aufmerksam machen, damit der Diskurs nicht versandet. Es sei ein Versuch, auf kreative Weise den Druck auf die Unileitung zu erhöhen, meint das Unitheater-Team, denn: «Ohne strukturelle Veränderungen von oben können wir als Studierende noch lange Theater machen, viel ändern wird sich nicht.»
Das Stück «KASSANDRA» vom Unitheater Basel wird noch bis am 22. Februar im Ostquai aufgeführt.
Mehr dazu
Feedback für die Redaktion
Hat dir dieser Artikel gefallen?
Kommentare
Dein Kommentar
Mit dem Absenden dieses Formulars erkläre ich mich mit der zweckgebundenen Speicherung der angegebenen Daten einverstanden. Datenschutzerklärung und Widerrufshinweise
Kommentare lesen?
Um Kommentare lesen zu können, melde dich bitte an.
pserratore
👍
spalen
eine sehr gute art, auf missstände aufmerksam zu machen und diese zu diskutieren. ich hoffe, dass die uni-leitung diesen ball aufnehmen wird.