
Zivilcourage lernen im interaktiven Theater
Michael Kempf
Wie reagiere ich richtig, wenn ich häusliche Gewalt in meinem Umfeld beobachte? Mit dieser Frage beschäftigt sich das Forumtheater «E Gwaltsüberraschig» des Vereins Reactor.
Die Projektleiterinnen der Kampagne «Halt Gewalt!» Imma Mäder und Clara Wittich luden am Freitagvormittag Betroffene, Fachpersonen und Interessierte zu einem interaktiven Theater zum Thema häusliche Gewalt ein. Die Veranstaltung fand im Rahmen der «16 Tage gegen Gewalt an Frauen» statt.
Für die interaktive Form erhielten die rund 50 Besucherinnen und Besucher im Theater BAU3 eine grüne und eine rote Karte. «Wer ist der Meinung, dass mehr über häusliche Gewalt gesprochen werden sollte?», fragt Moderatorin Ruth Widmer vom Verein Reactor gleich zu Beginn in die Runde. Einstimmig wird die grüne Karte in die Höhe gestreckt. «So einig wie bei dieser Frage werden wir uns später wohl nicht mehr sein», fügt Widmer hinzu, und sie sollte recht behalten, doch zunächst beginnt die Theaterszene.
Die Szene beginnt in einer Frauenumkleide, in der wir die drei Frauen Rebecca, Tanja und Beate (gespielt von Sabine Fehr, Marie-Louise Hauser und Ann Klemann) kennenlernen. Dann geht es weiter in eine Männerumkleide, in der die drei Männer Frank, Steve und Admir (gespielt von Martin Hahnemann, Rolf Brügger und Ridvan Murati) nach ihrem Fussballspiel auftauchen.

Bei den Männern beschwert sich Admir über seinen Arbeitsstress, bei den Frauen bemerkt Tanja die blauen Flecken an Rebbecas Handgelenken und spricht sie darauf an. Doch Rebecca verneint, das sei nicht der Rede wert. Die Szene endet damit, dass Rebecca, die mit Admir verheiratet ist, ihre Freundinnen bittet, ihr bei der Geburtstagsüberraschungsparty für ihren Ehemann zu helfen.
Dann betritt Ruth Widmer wieder die Bühne. Sie fragt gleich in die Runde: «Haben Sie schon einen Verdacht, wer von diesen Personen von häuslicher Gewalt betroffen sein könnte?» Die grüne Einigkeit der Eingangsfrage bröckelt, das Publikum ist sich schon nicht mehr so sicher, aber die Mehrheit zeigt grün und glaubt zumindest zu wissen, wer die betroffene Person ist.
Dann geht das Stück weiter. Jetzt sind wir bei Rebecca und Admir zu Hause, wo alle Freunde schon auf den ahnungslosen Admir warten. Doch die Überraschung misslingt, Admir wird wütend und es kommt zum Streit zwischen ihm und seiner Frau. Die Freunde mischen sich in die Diskussion ein, der Streit droht zu eskalieren und plötzlich, fast unerwartet, verpasst Frank seiner Partnerin Beate eine Ohrfeige.
Die subtilen Anzeichen häuslicher Gewalt
Widmer unterbricht die Szene und wendet sich wieder dem Publikum zu. «Wie sieht es nun aus? Hat sich Ihre Vermutung bestätigt?» Nur wenige grüne Karten gehen in die Höhe, die Mehrheit zeigt rot. Die meisten im Publikum waren sich sicher, dass Admir seine Frau schlägt. «Häusliche Gewalt läuft oft sehr subtil ab», fährt Widmer fort. Tatsächlich gab es während der Szene durchaus Andeutungen, die Frank als Gewalttäter und Beate als Betroffene verraten hätten.

Nun soll das Publikum selbst aktiv werden und für die beiden unbeteiligten Rollen, also Tanja und Steve, Ideenvorschläge aufschreiben, wie sie auf den Streit zwischen Admir und Rebecca reagieren könnten. Anschliessend werden diese von den beiden Figuren vorgetragen und die anderen Schauspieler:innen reagieren darauf. So sieht das Publikum sofort, wie ihre Vorschläge in einem solchen Fall ankommen könnten.

In einer nächsten Übung wird die Spielszene wiederholt. Diesmal darf das Publikum «Stopp» rufen und fragen, was in den Köpfen der einzelnen Figuren vorgeht. Nachdem die Szene noch einmal gespielt wurde, rufen die Besucherinnen und Besucher «Stopp», gefolgt vom Namen der Person, die ihre aktuellen Gedanken preisgeben soll: «Stopp, Frank», «Stopp, Steve», «Stopp, Beate» usw. ruft das Publikum während der Szene. Auf diese Weise lernen sie die Figuren besser kennen und beginnen, die Gesamtsituation besser zu verstehen.
Am Ende der rund eineinhalbstündigen Veranstaltung bedankt sich Ruth Widmer beim Publikum für die rege Teilnahme. «Es ist für uns alle nicht immer einfach, die richtigen Worte zu finden oder genau zu wissen, wie wir in solchen Situationen reagieren sollen», sagt Widmer. Letztlich gehe es aber darum, dass mehr über das Thema häusliche Gewalt gesprochen wird, und genau das wollte die interaktive Theaterveranstaltung der Kampagne «Halt Gewalt!» erreichen. Denn in einem Punkt ist sich das Publikum wieder einig: Wegschauen ist keine Option.
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HeroOfGallifrey
Toll!
Sonnenliebe
👏👏