Umstrittenes Modell gegen Fangewalt tritt in Kraft – Liga stellt sich gegen Kantone
©Bild: Keystone
Kaskadenmodell
Sport

Umstrittenes Modell gegen Fangewalt tritt in Kraft – Liga stellt sich gegen Kantone

14.03.2024 13:35 - update 14.03.2024 17:32
Lea Meister

Lea Meister

Das Projektteam Progresso, bestehend aus Behörden und der Swiss Football League, kommuniziert am Donnerstag: Das Kaskadenmodell tritt in Kraft. Allerdings ohne Unterstützung der Swiss Football League.

«Progresso» hatte den Auftrag, gemeinsam konkrete Massnahmen zur Verhinderung von Gewalt und Ausschreitungen im Umfeld von Fussballspielen der Super League zu erarbeiten. Das Projektteam besteht aus den Bewilligungsbehörden und der Swiss Football League. Eingeladen waren auch Fans, «dies aus der Überzeugung, dass die von allfälligen Massnahmen betroffenen Kreise die Möglichkeit erhalten sollten, eigene Vorschläge zur Lösung des Problems einzubringen», so «Progresso».

Umstrittenes Modell gegen Fangewalt tritt in Kraft – Liga stellt sich gegen Kantone
Die Redner:innen an der heutigen Pressekonferenz in Bern. Bild: Baseljetzt

Die grossen Fragen aus Sicht der Fans sind wohl: Wird das Kaskadenmodell wirklich eingeführt? Und könnte es bald personalisierte Tickets in Schweizer Fussballstadien geben?

Einigkeit rund um Club-Allianzen

Am Donnerstagmorgen fand die Schlusssitzung von «Progresso» in Bern statt. An der Pressekonferenz am Nachmittag, zu welcher die Konferenz Kantonaler Justiz- und Polizeidirektorinnen und -direktoren (KKJPD) eingeladen hatte, wurde darüber informiert, dass bezüglich der flächendeckenden Einführung von Club-Allianzen Einigkeit herrsche. Die Bewilligungsbehörden würden den Willen der Swiss Football League (SFL) und der Clubs, dieses Konzept zur Förderung des Dialogs unter allen Beteiligten an allen Austragungsorten einzuführen, begrüssen.

«Die Club-Allianzen und der Dialog zwischen allen Beteiligten an den Austragungsorten können wichtige Schritte sein, um schon präventiv daran zu arbeiten, dass Gewaltausschreitungen schon im Voraus verhindert werden können», so Staatsrat Frédéric Favre, der auch Präsident der Arbeitsgruppe der Bewilligungsbehörden ist.

Kaskadenmodell als Hilfestellung

Sollten der Dialog und weitere präventive Mittel Ausschreitungen nicht verhindern können, «müssen die Behörden auf ein Instrumentarium zurückgreifen können, das ihnen eine verhältnismässige Reaktion erlaubt».

Hilfestellung biete hier das intensiv diskutierte Kaskadenmodell. Es zeige transparent auf, welches Fehlverhalten zu welchen Massnahmen führen könne. Die Bewilligungsbehörden sind überzeugt, dass diese Transparenz eine präventive Wirkung haben werde. Das Modell sei nicht als «Strafkatalog», sondern als «Mittel zur Verhinderung weiterer Eskalationen» konzipiert. Das gemeinsame Ziel aller Beteiligten sei aber, dass das Modell gar nicht zur Anwendung kommen müsse.

SFL stellt sich gegen Kantone

In der Vernehmlassung habe man zudem «vergeblich» nach alternativen Ansätzen zur Eindämmung von Gewalt gesucht. Basierend auf Rückmeldungen sei das Kaskadenmodell dann überarbeitet worden. Intensiv beteiligt gewesen an der Erarbeitung des Kaskadenmodells war die SFL. An der heutigen Sitzung hat sie aber beschlossen, «das Ergebnis letztendlich nicht mitzutragen» – zum grossen Bedauern der Behörden.

Informationen zum Kaskadenmodell

Das Kaskadenmodell wird angewendet, wenn die betroffenen Fussballclubs oder die lokalen Bewilligungsbehörden nach einem Spiel zum Schluss kommen, dass eine schwerwiegende Handlung durch eine Fangruppe begangen wurde. Danach wird in einem strukturierten Prozess der Sachverhalt unter Anhörung der involvierten Parteien geklärt und gegebenenfalls eine Kaskadenstufe festgelegt. Der finale Entscheid über die zu treffende Massnahme liegt in jedem Fall bei der zuständigen Bewilligungsbehörde.

Das ursprünglich von der AG Bewilligungsbehörden vorgesehene Kaskadenmodell umfasste fünf aufsteigende Kaskadenstufen. Die fünfte Stufe sah dabei den «Bewilligungsentzug» (Forfait-Niederlage) vor. Auf Wunsch der SFL wurde die fünfte Stufe des Kaskadenmodells durch die mildere Massnahme «Geisterspiel für zwei Spiele» ersetzt. Anlässlich der Sitzung vom Donnerstag erklärten sich die Bewilligungsbehörden zudem bereit, die fünfte Stufe gänzlich zu streichen. Das finalisierte Kaskadenmodell sieht damit vier Kaskadenstufen vor.

Ausschreitungen, bei denen es zu keiner Gewalt gegen Personen gekommen ist, lösen auf den ersten zwei Kaskadenstufen mildere Massnahmen aus. Im Fokus stehen dabei der Dialog und eine strengere Einlasskontrolle und Videoüberwachung bei den nächsten Spielen. Auf den Stufen drei und vier werden strengere Massnahmen vorgesehen, wie die Sektorenschliessung der Fankurve und der Zuschauerausschluss. Bei allen vier Stufen bleibt weiterhin der ergänzende Dialog zwischen Behörden und Clubs zentral. (Informationen aus der Mitteilung von «Progresso»)

In einer eigenen Mitteilung bezieht die SFL Stellung zum Entscheid: «Die SFL hat auch die Erarbeitung des sogenannten Kaskadenmodells der KKJPD kritisch begleitet. Das Kaskadenmodell besteht aus verschiedenen Stufen, wobei bestimmte Vorkommnisse automatisch vordefinierte Massnahmen auslösen.» Die ersten Stufen des Modells würden Massnahmen des Dialogs beinhalten, die weiteren Stufen dann repressive Massnahmen.

Nach einer breit angelegten Vernehmlassung seien die SFL und die Clubs einstimmig zum Schluss gekommen, das Kaskadenmodell abzulehnen. «In der Vernehmlassung wurde insbesondere stark kritisiert, dass unter Berufung auf das Modell einzelne Elemente, wie z.B. die Schliessung von Fankurven, bereits mehrfach angewendet wurden, obwohl das Modell als Ganzes noch nicht verabschiedet, beziehungsweise eingeführt war.»

Hooligan-Konkordat sei ausreichend

Das Kaskadenmodell sei aus Sicht der SFL und der Clubs «nicht zielführend, einseitig und unverhältnismässig». Es vermische Prävention und Repression und fokussiere nicht auf die Verhinderung zukünftiger Gewalttaten, wie es das Hooligan-Konkordat vorsehe. Besonders stossend am Kaskadenmodell sei zudem die Anwendung von Kollektivstrafen, die nicht in erster Linie den oder die Täter treffen würden, sondern viele Unbeteiligte.

«Die SFL erachtet das «Hooligan-Konkordat», welches in fast allen Kantonen gelte, als ausreichende gesetzliche Grundlage, um die Sicherheit innerhalb und ausserhalb der Stadien zu gewährleisten.

Die bestehenden Instrumente und Massnahmen müssten noch konsequenter angewendet werden, «insbesondere bei der Verfolgung von Einzeltätern». Die langjährige Erfahrung zeige, dass präventive Massnahmen und der Weg des Dialogs immer zu den besten Resultaten geführt hätten. Claudius Schäfer, CEO der SFL, sagte am Donnerstag in Bern: «Das Kaskademodell führt zu einer Eskalation der Gewalt in den Stadien. Das haben die letzten sechs Monate gezeigt.»

Behörden halten am Modell fest

Dennoch halten die Behörden am Modell fest, denn: «Die Öffentlichkeit und auch friedliche Fussballfans würden nicht verstehen, wenn die Behörden auf massive Ausschreitungen lediglich mit einer Intensivierung des Dialogs reagieren», erklärte Regierungsrätin Karin Kayser-Frutschi, Co-Präsidentin der KKJPD. «Die SFL gibt dem Kaskadenmodell den Todesstoss, bevor man es ausprobiert hat», ergänzt Karin Kayser Frutschi, Co-Präsidentin der KKJPD, am Donnerstagnachmittag in Bern.

Bei den nicht-organisierten Fans und in der Bevölkerung gebe es viel Zustimmung für das Kaskadenmodell. Wichtig: Die Bewilligungspolitik an den Austragungsorten und die Aufrechterhaltung der Sicherheit bleiben weiterhin Sache der zuständigen Bewilligungsbehörden: «Weder die KKJPD noch die Arbeitsgruppe Bewilligungsbehörden haben die Kompetenz, rechtsverbindliche Entscheidungen über die Erteilung von Spielbewilligungen zu fällen», stellte Staatsrat Favre klar.

Auch Fussballclubs melden sich zu Wort

In einem weiteren separaten Communiqué melden sich am Donnerstagnachmittag auch Fussballclubs zu Wort. So stellen sich der FC Basel, der FC Zürich und der FC Luzern gemeinsam «dezidiert» gegen das Kaskadenmodell. Die Tendenz seitens der Behörden sei zuletzt «einseitig in Richtung pauschale Kriminalisierung von Fussballfans, Kausalhaftung und Kollektivstrafen» gegangen. «Der direkte, vertrauensvolle und durchaus kontroverse Austausch zwischen den Clubs und ihren Fans ist unabdingbar.» Zuletzt sei aber das Gegenteil passiert.

Die KKJPD habe seit Beginn der Saison die Repressionsschraube gegen Fussballfans «massiv angezogen». «Die Vereine und die Liga wurden bisweilen zu Statist:innen degradiert», heisst es in der Mitteilung weiter. Das Kaskadenmodell suggeriere eine Handlungsmöglichkeit und eine Handlungspflicht der Clubs, «welche in diesem Umfang schlicht nicht besteht». Unabhängig davon, welche Anstrengungen ein Club unternehme, um zur Vermeidung von Konfliktsituationen beizutragen, verbleibe die vollständige Verantwortung nach dem Kaskadenmodell bei den betroffenen Clubs.

Die Clubs fordern folglich die KKJPD dazu auf, das Kaskadenmodell zu verwerfen, betonen aber auch, dass sie «uneingeschränkt Hand bieten, damit gewaltbereite und gewalttätige Einzelpersonen im Rahmen der Einzeltäterverfolgung konsequent durch die Behörden identifiziert und bestraft werden können».

Personalisierte Tickets noch nicht vom Tisch

Der Dialog zwischen den Bewilligungsbehörden und der SFL und den Clubs soll indes fortgesetzt werden, um weiterhin konstruktive Vorschläge gegen das «Phänomen der Gewalt bei Fussballspielen» erarbeiten zu können, beteuern die Behörden.

Ganz am Ende der Mitteilung erwähnt, aber nicht minder interessant: Im Rahmen des Projekts wurde ein Rechtsgutachten eingeholt, das für die Einführung von personalisierten Tickets gegen den Willen der Veranstalter die Revision des «Konkordats über Massnahmen gegen Gewalt anlässlich von Sportveranstaltungen» empfiehlt. Über eine mögliche Einleitung dieser Revision entscheidet die KKJPD voraussichtlich Mitte April.

Auch die personalisierten Tickets sind somit noch nicht vom Tisch.

Feedback für die Redaktion

Hat dir dieser Artikel gefallen?

Kommentare

Dein Kommentar

Mit dem Absenden dieses Formulars erkläre ich mich mit der zweckgebundenen Speicherung der angegebenen Daten einverstanden. Datenschutzerklärung und Widerrufshinweise

Kommentare lesen?

Um Kommentare lesen zu können, melde dich bitte an.