Kunst hinter Gittern: Was kann und vor allem – was soll sie?
©Bild: zvg mzwei
Farbe auf Beton
Schweiz

Kunst hinter Gittern: Was kann und vor allem – was soll sie?

21.03.2024 12:00 - update 22.03.2024 10:52
Jessica Schön

Jessica Schön

Die Kunst hält in Schweizer Gefängnissen Einzug. Ihre Rolle darin ist vielschichtig. Warum zieht hier Kunst der Kunst Willen nicht? Der Versuch einer Einordnung.

4’661 Quadratmeter Beton. Das sind etwa 17 Tennisplätze, zehn Basketballplätze und etwas mehr als ein halbes Fussballfeld. Das Grau ist in der JVA Lenzburg der Farbe gewichen. 4’661 Quadratmeter Beton sind heute 4’661 Quadratmeter Kunst.

Zwölf Jahre sind seit Beginn des Projektes «4661m2 – Art in Prison» vergangen, zehn, seit dessen Fertigstellung. Seine Urheber, Malik Furer und Claude Luethi, oder mzwei, wie sich das Duo nennt, machen auf dem Gebiet der künstlerischen Intervention in Schweizer Gefängnissen Pionierarbeit.

Wer über Kunst in Schweizer Gefängnissen schreibt, berührt zwangsläufig das Werk der beiden Urban-Artists. Weil in dem, was sie tun, eine Grundsatzfrage verhandelt wird: Was kann, soll, darf Kunst – speziell im Gefängniskontext?

Die Debatte

Die Kollision von Kunst, Kreativität und Gestaltungsfreiheit mit der Welt des Gefängnisses, der Kontrolle und des Freiheitsentzugs rief in der Vergangenheit Kritiker:innen auf den Plan. Besonders mit Blick auf die dafür eingesetzten Ressourcen.

So geschehen 2013, als in der Gemeinde Deitingen eine neue Justizvollzugsanstalt errichtet wurde. Die Ausschreibung eines Wettbewerbs für die künstlerische Gestaltung des Neubaus erhitzte die Gemüter. Neben Bürger:innen sprachen sich Politiker:innen, namentlich die SVP, gegen das 180’000-Franken-Projekt aus.

Dabei sieht der Kanton Solothurn die «künstlerische Ausschmückung staatlicher Bauten» als Mittel der Kunstförderung gesetzlich vor: Die Kosten dürfen maximal ein Prozent der gesamten Baukosten ausmachen. In der JVA Deitingen hätte das Projekt damit bis zu 600’000 Franken kosten dürfen.

«Kunst am Bau»

Kunst am Bau bezieht sich auf die Integration von Kunstwerken in öffentliche Bauvorhaben. In der Schweiz gibt es diesbezüglich auf kantonaler und kommunaler Ebene verschiedene Regelungen.

Oft erfolgt die Integration von Kunst in Bauprojekte durch öffentliche Ausschreibungen und Wettbewerbe, bei denen Künstler:innen Vorschläge für Kunstwerke im öffentlichen Raum einreichen können.

Normalität schaffen

Zurück in den Kanton Aargau. Die Wandgestaltung der JVA Lenzburg entstand auf Initiative von Malik unentgeltlich. Lediglich die Materialkosten der insgesamt 16 beteiligten Urban-Artists wurden durch eine Stiftung gedeckt.

Inzwischen haben zahlreiche andere Justizvollzugsanstalten Künstler:innen wie mzwei engagiert. Ihre Kunst wird damit zur (bezahlten) Dienstleistung, was eine weitere Dimension von Gefängniskunst verdeutlicht: Sie ist ein Puzzlestück innerhalb der Bemühungen der JVA’s, ihren Resozialisierungsauftrag wahrzunehmen.

«Kunst kann die Wiedereingliederung und positive Verhaltensänderungen fördern», erklärt Nadine Lumme, Mediensprecherin des Justizvollzugs und der Wiedereingliederung im Kanton Zürich. Das Amt beschäftigte mzwei im Rahmen seiner U-Haft-Reform. Die Gestaltung der Wände diene gemäss Lumme vor allem dazu, den Lebensraum «Gefängnis» weniger reizarm erscheinen zu lassen.

Gerade mit Blick auf den Ressourcenerhalt der Inhaftierten sei das von Bedeutung: «Warum sollte man Ressourcen zerstören, die man dann mühsam wieder aufbauen muss? Die positive Unterstützung der Wiedereingliederung folgt dem Menschenbild, dass Inhaftierte nicht im Gefängnis leiden sollen.» So sieht es das Schweizerische Strafgesetz vor.

Vollzug von Freiheitsstrafen

Der Artikel 74 StGB nennt für den Straf- und Massnahmenvollzug zwei Grundsätze:

  • Die Menschenwürde der inhaftierten Person ist zu achten.
  • Die Rechte der inhaftierten Person dürfen nur so weit beschränkt werden, als der Freiheitsentzug und das Zusammenleben in der Vollzugseinrichtung es erfordern.

Gemäss Art. 75 Abs.1 StGB hat der Strafvollzug das soziale Verhalten zu fördern, insbesondere die Fähigkeit, straffrei zu leben. Der Strafvollzug hat demnach:

  • den allgemeinen Lebensverhältnissen so weit als möglich zu entsprechen (Normalisierungsprinzip);
  • die Betreuung der Gefangenen zu gewährleisten (Fürsorgepflicht);
  • den schädlichen Folgen des Freiheitsentzugs entgegenzuwirken (Entgegenwirkungsprinzip);
  • dem Schutz der Allgemeinheit, des Vollzugspersonals und der Mitgefangenen angemessen Rechnung zu tragen (Sicherungsprinzip)

«Es gibt Kunstwerke, die man bestenfalls wahrnimmt»

Damit Kunst im Gefängniskontext funktioniere, müsse sie gemäss Lumme inklusiv und zugänglich sein, Respekt gegenüber den Inhaftierten zeigen und kulturelle Sensibilität berücksichtigen.

Das klappt nicht immer, weiss Charles Jakober, Präsident Freiheitsentzug Schweiz (FES): «Auch wenn ich Kunstprojekte in Vollzugseinrichtungen grundsätzlich begrüsse: Einige sind intellektuell anspruchsvoll und werden kaum wahrgenommen.» Andere störten gar, weil sie nicht zeitgemäss seien oder die Nutzung der Räumlichkeiten beeinträchtigten. Themen, die an die Realität von Kunst am Bau gekoppelt sind: «Der Faktor der Praktikabilität hat hier schlichtweg nicht Prioriät.»

Jakober würde sich wünschen, dass man im Hinblick auf Kunst in Gefängnissen auf eine veränderte Bedürfnislage reagieren könne. Gegenwärtig sei dies aber kaum möglich. «Darum sind Kunstwerke, die von den Anstalten selbst lanciert werden, in dieser Hinsicht zielgerichteter.»

Warum sind Malik und Claude in dem was sie machen so gut? Final könne man das nicht beantworten, so das Duo. Dass ihre Arbeit nach 12 Jahren noch immer so gefragt ist, spricht aber für sich.

Während dieser Zeit habe man viel gelernt: «Anfangs dachten wir vielleicht einfach: ‘Wir malen, was vermisst wird'», sagt Claude. Dahinter verbarg sich die Absicht, den Inhaftierten eine Botschaft zu vermitteln. «Das kann aber provokativ verstanden werden.»Auch Menschen oder Tiere, die Betrachter:innen zu sehr konfrontierten, könnten eine verstörende Wirkung mit sich bringen.

Mittlerweile gehe es mzwei weniger um das eigentliche Motiv denn um die Beeinflussung des vorherrschenden Raumgefühls, hält Malik fest: «Mit unseren Murals wollen wir auf subtile Art und Weise Atmosphären schaffen».

«Eine Welt, in die die meisten keine Einsicht haben»

Fabian Florin ist besser unter dem Namen Bane bekannt. 2019 rief er das „Street Art Festival Chur“ ins Leben. Der Bündner gehört zu den gefragtesten Urbanart-Künstlern der Schweiz.

Das war aber nicht immer so. Über vierzehn Jahre lang dominierte die Sucht sein Leben. Trotz zahlreicher Entzugsversuche landete er wiederholt im Gefängnis. Mit Ende zwanzig stand er vor der Wahl: dreieinhalb Jahre Gefängnis oder Langzeittherapie. Er entschied sich für Letzteres.

«Menschen denken, dass das Gefängnis eine Endstation, der Tiefpunkt ist», so Bane. Zwar sei das Gefängnis eine Strafe; es biete aber auch eine Chance, an sich zu arbeiten. Kunst könne Menschen motivieren und inspirieren, eine gemeinsame Sprache zu finden und Brücken zu bauen. «Der Mensch braucht das.»

Vor einem knappen Jahr verewigte sich der Künstler auf Anfrage der Gefängnisdirektion auf den Mauern der JVA Grosshof in Luzern. Der Umgang mit dem Gefängnispersonal aber auch mit den Inhaftierten habe ihm viel gegeben: «Wir haben gemeinsam gegessen, haben geraucht, geredet, Witze gemacht; es war spannend und schön. Aber das wundert mich nicht, es sind ja alles Menschen. Es ist aber nun mal eine Welt, in die die meisten Menschen keine Einsicht haben.»

Ihm habe das System geholfen: «Darum bin ich dankbar, dass ich etwas zurückgeben kann. Nebst dem, dass meine Arbeit dort einen sehr greifbaren Sinn hat.»

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