Männer als Verbündete: Die zentrale Rolle, die sie im Kampf gegen Gewalt an Frauen spielen
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Prävention
Basel-Stadt

Männer als Verbündete: Die zentrale Rolle, die sie im Kampf gegen Gewalt an Frauen spielen

04.12.2024 17:45 - update 05.12.2024 06:44
Larissa Bucher

Larissa Bucher

Seit vergangener Woche läuft die Kampagne «16 Tage gegen Gewalt an Frauen». Männer stehen dabei nicht am Rand, sondern übernehmen eine entscheidende Rolle für einen gesellschaftlichen Wandel.

Gewalt gegen Frauen ist eine der weitverbreitetsten Menschenrechtsverletzungen weltweit. Sie manifestiert sich in verschiedenen Formen – von körperlicher und sexueller Gewalt bis hin zu psychischer und ökonomischer Gewalt. Der Kampf gegen Gewalt an Frauen wird oft als ein Thema verstanden, das vor allem Frauen betrifft. Doch auch Männer spielen eine zentrale Rolle in der Bekämpfung dieses Problems. Ihre aktive Beteiligung ist nicht nur wichtig, sondern entscheidend für einen nachhaltigen gesellschaftlichen Wandel.

Die «16 Tage gegen Gewalt an Frauen und Mädchen»

Die Kampagne „16 Tage gegen Gewalt an Frauen und Mädchen“ läuft jährlich vom 25. November (dem internationalen Tag gegen Gewalt an Frauen) bis zum 10. Dezember (dem Tag der Menschenrechte). Sie soll das Bewusstsein für alle Formen der Gewalt gegen Frauen und Mädchen schärfen, Präventionsmassnahmen fördern und politischen sowie gesellschaftlichen Druck ausüben, um wirksame Massnahmen gegen diese Gewalt zu ergreifen.

Während dieser 16 Tage werden Veranstaltungen, Workshops und Informationskampagnen organisiert, die auf die Ursachen und Auswirkungen von Gewalt hinweisen und Opfer unterstützen. Ziel ist es, das gesellschaftliche Engagement zu stärken und einen langfristigen Wandel in der Haltung gegenüber Gewalt an Frauen zu erreichen.

Männer als Verbündete

«Wie kann ich mich als Mann überhaupt beteiligen und den Kampf gegen Gewalt an Frauen mitführen?» oder «alles, was ich sage, ist sowieso falsch» wird häufig in den sozialen Medien gelesen. Viele Männer fühlen sich überfordert oder ohnmächtig, wenn sie mit dem Thema Gewalt gegen Frauen konfrontiert werden. Sie wissen nicht, wie sie ihre Unterstützung richtig zeigen können, ohne etwas Falsches zu sagen oder unbeabsichtigt noch mehr Schaden anzurichten. Hinzu kommt die Angst, durch unüberlegte Worte oder Taten als empathielos oder sogar als Teil des Problems wahrgenommen zu werden. Diese Unsicherheit kann dazu führen, dass sie sich zurückziehen oder das Thema meiden.

Dabei sind es gerade die Offenheit, Bereitschaft zur Selbstreflexion und das aktive Gespräch, die dazu beitragen können, die notwendige Veränderung in der Gesellschaft voranzutreiben. «Die meisten Männer sagen: Ich selber bin ja nicht gewalttätig – also betrifft mich das persönlich nicht», erklärt Markus Theunert, Männerberater und Leiter von männer.ch und dem Dachverband der Schweizer Männer- und Väterorganisationen. «Diese Optik greift zu kurz: Erstens stützen wir alle ein patriarchales System mit, das männliches Gewalthandeln begünstigt. Zweitens ist man nicht nur dann Teil des Problems, wenn man Gewalt ausübt, sondern auch dann, wenn man nicht klar Stellung bezieht gegen jede Form von Gewalt.» Das beginne damit, den sexistischen Witz des Kollegen als solchen zu kritisieren, auch wenn dann halt die Stimmung einen Moment lang kippt.

Die Wurzeln der Gewalt

Ein grundlegendes Verständnis für den Zusammenhang zwischen geschlechtsspezifischen Normen und Gewalt an Frauen sei dabei ein erster Schritt. Viele Männer sind in Gesellschaften aufgewachsen, in denen sie lernen, Macht und Kontrolle über Frauen als normal oder sogar als ihr „Recht“ zu betrachten. Diese traditionellen Geschlechterrollen zu hinterfragen und zu ändern, sei ein entscheidender Beitrag, den Männer leisten können, sagt Theunert. «Gewalt ist ein strukturelles Problem. Das heisst, seine Wurzeln liegen in unseren gesellschaftlichen Vorstellungen, was ‘richtige Männer’ sind: hart, kräftig, wehrhaft, dominant etc.»

Es geht dabei darum, die Vorstellung zu überwinden, dass Männlichkeit mit Dominanz und Gewalt zu tun hat, und stattdessen gesunde, gleichberechtigte Beziehungen zu fördern. «Das Problem lösen wir erst, wenn wir diese gesellschaftlichen Männlichkeitsanforderungen im Kern transformieren.» Das ist zu einem grossen Teil eine Arbeit, die Männer selbst leisten müssen. Ein wichtiger Punkt dabei sei, dass viel mehr aufgezeigt werden müsse, wie sehr Männer selber davon profitieren, wenn sie sich aus einengenden Männlichkeitskorsetts befreien. «Ein Mann sollte nicht nur aus Pflichtgefühl oder Ritterlichkeit gegen Gewalt intervenieren, sondern weil er sich mit den gewaltfördernden Imperativen auseinandergesetzt hat, die untrennbar mit unserem kulturellen Verständnis von ‘Männlichkeit’ verbunden sind.»

Aktive Mitglieder des Wandels

In den letzten Jahren haben zahlreiche Initiativen weltweit gezeigt, wie Männer als aktive Mitgestalter eines Wandels wirken können. Sie setzen auf die Idee, dass Männer eine wichtige Rolle in der Prävention von Gewalt gegen Frauen spielen und bieten Plattformen, auf denen Männer lernen können, wie sie sich gegen Sexismus und Gewalt positionieren und als Vorbilder für andere Männer wirken können.

„White Ribbon“ ist eine der bekanntesten Kampagnen. Männer tragen das weisse Band als Zeichen ihres Einsatzes und ermutigen andere, dasselbe zu tun. Es ist ein symbolischer Akt, der Solidarität mit den Opfern von Gewalt zeigt und Männer dazu einlädt, Verantwortung zu übernehmen. Die Kampagne basiert auf der Erkenntnis, dass Gewalt gegen Frauen nur durch einen kulturellen Wandel und eine Veränderung der sozialen Normen gestoppt werden kann – und dieser Wandel muss von Männern mitgestaltet werden.

Teil der Lösung werden

Ein weiteres wichtiges Element im Kampf gegen Gewalt an Frauen ist die Auseinandersetzung mit dem eigenen Verhalten. Viele Männer, die gewalttätig werden, sind Teil des Problems, doch sie können auch Teil der Lösung werden. Programme zur Täterprävention, die speziell für Männer entwickelt wurden, bieten ihnen die Möglichkeit, ihre eigenen Gewalttaten zu reflektieren und alternative Verhaltensweisen zu erlernen. «Männer, die gewalttätig wurden oder befürchten, gewalttätig zu werden, können sich an das Männerbüro Region Basel wenden. Dort erhalten Sie professionelle Unterstützung und Begleitung, damit sie den Weg aus der Gewaltspirale finden oder gar nicht erst dort landen», sagt Theunert.

Solche Programme setzen darauf, dass Männer die Verantwortung für ihr Verhalten übernehmen und lernen, wie sie Gewalt in ihren eigenen Beziehungen verhindern können. Theunert weist jedoch darauf hin, dass das grösste Problem der fehlende politische Wille sei, das Problem an der Wurzel zu packen und die patriarchale Prägung unseres Systems grundsätzlich zu beleuchten. «Es ist viel leichter, gewalttätige Männer als ‘Problemfälle’ herauszupicken statt sich mit der unangenehmen Erkenntnis auseinanderzusetzen, dass männliche Sozialisation gewaltfördernd wirkt.» Oder ganz deutlich gesagt: «Gewalt liegt nicht in der Natur des Mannes, sondern in der Erziehung zur Männlichkeit.» Deshalb müsse man viel mehr in eine geschlechterreflektierte Jungenpädagogik inner- und ausserhalb der Schule investieren. «Spätestens mit 12 Jahren müsste jedes Kind die Schlüsselbotschaft verinnerlicht haben: Geschlecht ist, was ich daraus mache. Ich bin nicht «verpflichtet», gesellschaftlichen Männlichkeits- oder Weiblichkeitsanforderungen zu genügen.»

Unterstützendes Umfeld

Männer können nicht nur als Vorbilder und Aktivisten wirken, sondern auch eine entscheidende Rolle dabei spielen, Gewaltopfern zu helfen. Indem sie Frauen zuhören, sie unterstützen und sie ermutigen, Hilfe zu suchen, können Männer einen direkten Beitrag zum Überlebensprozess der Opfer leisten. Der Weg aus der Gewalt erfordert oft Mut und Unterstützung – und auch hier können Männer durch Empathie und Solidarität eine wichtige Rolle übernehmen.

Besonders in Partnerschaften und Freundschaften ist es entscheidend, dass Männer ihren Freundinnen oder Partnerinnen zur Seite stehen und Zeichen von Gewalt ernst nehmen. Ein erster Schritt ist, auf subtile Hinweise zu achten, wie zum Beispiel Änderungen im Verhalten, Isolation oder Angst vor bestimmten Personen. Wenn ein Mann den Verdacht hat, dass jemand in seinem Umfeld Opfer von Gewalt wird, ist es wichtig, sensibel und respektvoll zu reagieren, ohne zu drängen. Ein offenes Ohr und das Angebot, Hilfe zu suchen, können bereits viel bewirken. Männer können den Opfern konkrete Unterstützung anbieten, etwa durch die Begleitung zu Beratungsstellen, das Bereitstellen von Informationen zu rechtlichen oder sozialen Hilfsangeboten oder das Schaffen eines sicheren Raums, in dem das Opfer sprechen kann.

Dabei ist es entscheidend, das Vertrauen des Opfers nicht zu missbrauchen und die Kontrolle über die Entscheidung zu respektieren, wie der Weg aus der Gewalt heraus aussehen soll. Ein solidarisches und aktives Handeln kann für Opfer von Gewalt einen wichtigen ersten Schritt in Richtung Befreiung und Unterstützung darstellen.

Nachhaltiger Wandel muss alle miteinbeziehen

Männer können und sollten also eine zentrale Rolle im Kampf gegen Gewalt an Frauen spielen. Ihre Teilnahme am Dialog, ihre Verantwortung in der Erziehung und ihre aktive Unterstützung von Opfern können dabei helfen, die kulturellen und gesellschaftlichen Normen zu verändern, die Gewalt gegen Frauen ermöglichen. Indem Männer sich für Gleichberechtigung und gegen Gewalt starkmachen, können sie als wichtige Verbündete und Vorbilder auftreten. Denn der Wandel in der Gesellschaft ist nur dann nachhaltig, wenn er alle Menschen einbezieht.

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Kommentare

Dein Kommentar

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06.12.2024 08:08

joergdiego

Wieso getrauen sich die Behörden eigentlich nicht, die Täterschaft auf Nationalitäten aufgesplittet zu veröffentlichen?

2 1
05.12.2024 10:07

Sonnenliebe

Das ist sehr wichtig, dass man dieses Thema öffentlich macht.

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