Magersüchtige gesucht: Das Theater Basel sorgt für Empörung
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Kultur
Basel-Stadt

Magersüchtige gesucht: Das Theater Basel sorgt für Empörung

04.09.2025 14:52

Annina Amrein

Das Theater Basel sucht für ein Stück über Jeanne d’Arc gezielt nach magersüchtigen Laiendarstellerinnen und -darstellern – ein Aufruf der bei Fachpersonen scharfe Kritik auslöst, wie die Baz berichtet.

«Wir suchen dezidiert nach Personen, die kein gutes Normalgewicht haben und in therapeutischer Betreuung sind», heisst es in dem Aufruf. Gesucht werden 16- bis 30-Jährige, die akut an Anorexie leiden. Veröffentlicht wurde die Ausschreibung nicht nur auf der Webseite, sondern auch direkt an Ärztinnen und Ärzte verschickt.

Aufruf löst unter Fachpersonen scharfe Kritik aus

«Ich bin wirklich entsetzt über diese Idee. Diese Vorgehensweise ist in meinen Augen nicht nur unverantwortlich, sondern zutiefst ethisch verwerflich», schreibt ein Mitglied eines privaten Elternnetzwerks gegenüber der Baz. Auch Anna Weg von der Elternunterstützung Anorexie kritisiert den Aufruf scharf. Die Teilnahme an einem Theaterprojekt mit Proben und öffentlichen Auftritten könne den Heilungsprozess massiv gefährden. In einem Schreiben habe sie das Theater Basel deshalb aufgefordert, den Aufruf zurückzuziehen – bisher ohne Erfolg, wie die Baz berichtet. Die Regisseurin Lies Pauwels lädt stattdessen zum informellen Austausch ein, um Bedenken auszuräumen.

Auch die Basler Jugendpsychiaterin Anja Müller hat den Aufruf erhalten. Sie halte das Vorgehen für höchst fragwürdig. «Es käme auch niemand auf die Idee, auf der Onkologie nach schwer kranken Krebspatienten für ein Theaterstück zu suchen», kritisiert sie gegenüber der baz. Anorexie sei ebenfalls eine potenziell lebensbedrohliche Erkrankung mit hoher Sterblichkeitsrate. Problematisch sei zudem, dass das Stück über sieben Monate laufen solle. «Da die Laiendarstellerinnen und -darsteller ausdrücklich untergewichtig sein müssen, dürfen sie eigentlich bis dahin nicht gesund werden.»

Es bestehe die Gefahr, dass die Erkrankung romantisiert werde, erklärt Müller. Eine solche Rolle an einem renommierten Theater könne der Anorexie eine Bühne verschaffen – mit möglicherweise bestärkender Wirkung.

Das Theater wünscht einen offenen Dialog

Die baz hat das Theater Basel mit den Bedenken aus der Fachwelt konfrontiert. Einzelne Fragen seien bislang unbeantwortet geblieben. Anja Dirks aus der Schauspielredaktion schreibt lediglich, dass man die Kritik ernst nehme und deshalb am 8. September zu einem Austausch mit der Regisseurin und ihrem Team einlade. «Wir wünschen uns einen offenen und respektvollen Dialog, um herauszufinden, in welcher Form und unter wessen Beteiligung die Idee von Lies Pauwels umgesetzt werden kann.»

Regisseurin Lies Pauwels betont, dass sie bereits mit Menschen mit Magersucht die Bühne geteilt habe und diese die Erfahrung stets als positiv wahrgenommen hätten. Sie wolle die menschliche Verletzlichkeit integrieren, nicht ausbeuten: «Natürlich sehe ich, dass das ein schmaler Grat ist. Hinter jedem Patienten steht ein Mensch – und dieser Mensch kann mir vielleicht etwas über Chaos und Kontrolle erzählen.»

Das Konzept des Stücks beschreibt die Regisseurin so: «Bekannt ist, dass Jeanne sehr wenig ass und sogar im Gefängnis das Essen verweigerte. Ihr Fasten war zum Teil ein Ausdruck ihrer Überzeugungskraft, ihrer bemerkenswerten Mission. Sie hatte einen starken Willen. Der Wille kann nur wirksam sein, wenn er auf etwas gerichtet ist: den Wunsch, eine Heilige zu werden! Ich glaube wirklich, dass eine bedeutungsvolle Begegnung zwischen diesen Welten – der historischen Heiligkeit und der modernen Anorexie – etwas Kraftvolles hervorbringen kann»

Anja Müller: «Sie verstehen das Krankheitsbild nicht»

Für Anja Müller könne die Teilnahme an einem Theaterstück für Menschen mit Anorexie nur in einem geschützten Rahmen etwas Positives bewirken. Dies sei in diesem Fall nicht gegeben: «Sie verstehen das Krankheitsbild nicht – das geht auch aus dem Konzept hervor, das sie uns gesendet haben.» Ein solches Experiment könne für die betroffenen Laiendarstellerinnen und -darsteller nach hinten losgehen. «Ich würde dieses Risiko nicht eingehen. Wofür? Für ein Theaterstück? Hier geht es um Menschenleben.»

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Kommentare

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04.09.2025 14:47

Borki74

sehr fragwürdig und kaum ethisch vertretbar

6 0
04.09.2025 14:26

spalen

ziemlich dünnes eis, auf dem sich das theater da bewegt. manchmal wäre es halt doch besser, sich nicht auf sein eigenes halbwissen zu verlassen, sondern auf die die fachleute zu hören!

5 1

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