
«Viele sagen: Der zweite Platz war genau richtig»
Baseljetzt
Steffi Bollag ist seit Jahren ESC-begeistert. Doch im Vorfeld des Musikwettbewerbs mischten sich in ihre Vorfreude auch Ängste. Im Interview zieht die Präsidentin der Israelitischen Gemeinde Basel (IGB) Bilanz und erklärt, warum für sie am Ende das Positive überwiegt.
Baseljetzt: Welche Bilanz ziehen Sie ganz allgemein zum ESC?
Steffi Bollag: Als ESC-Begeisterte bin ich wahnsinnig froh, sagen zu können: Es war überwiegend wirklich toll. Vieles ist – zum Glück – gut verlaufen.
Ein grosses Thema war die Sicherheit. Konnte man sich als jüdische Person während des ESC frei bewegen?
Ich war in die sicherheitsrelevanten Abläufe stark eingebunden. Das Ganze war sehr gut durchdacht und organisiert. Aber mir sieht man auch nicht unbedingt an, dass ich jüdisch bin – es sei denn, man kennt mich als Präsidentin der IGB. Natürlich bleibt die Frage: Wie geht es jenen Menschen, denen man ihr Jüdischsein ansieht oder die eine israelische Fahne bei sich tragen? Darüber haben wir uns viele Gedanken gemacht. Im Grossen und Ganzen lief es gut – aber es sind auch Dinge passiert, die nicht gut waren.
Israelische Behörden haben davon abgeraten, während des ESC Kippa oder die Flagge Israels zu tragen. Was war Ihre Haltung dazu?
Es ist ein bisschen wie bei der Pandemie: Im Nachhinein sind wir alle Propheten. Heute würde ich sagen – wären überall Flaggen gewesen, von allen Teilnehmerländern bis hin zur Regenbogenflagge dann hätten einzelne Flaggen wenig Gewicht gehabt. Dass man sagte, die Menschen sollen die israelische Fahne lieber nicht zeigen, ist grundsätzlich eine traurige Sache.
Wie stand es um Public Viewings?
Man hat uns ausdrücklich davon abgeraten – und das haben wir respektiert. Am Donnerstag hatten wir hier in der Gemeinde ein Private Viewing und das war wunderbar. Ich selbst war am Samstag auf dem Kasernenareal. Ich hatte ein wenig Bauchschmerzen, war aber an einem friedlichen Ort.
Die Proteste – insbesondere zur Eröffnungsfeier – waren deutlich spürbar. Hat die Polizei richtig reagiert?
Das Sicherheitsdispositiv und auch die Haltung, die Basel vertritt, lautet: Präsent sein und reagieren, wenn Gewalt im Spiel ist. Es gab teilweise Gewalt – man hat aber darauf geachtet, dass diese nicht eskaliert. Das finde ich richtig. Es hat sich gezeigt, dass das Konzept trägt. Trotzdem hatten wir im Vorfeld grosse Bedenken: Was, wenn es zu Gewalt kommt? Dann reichen Awareness-Teams allein nicht aus.
Dennoch gab es lautstarke Proteste gegen die israelische Delegation…
Yuval Raphael hat es allen vorgemacht – sie hat auch diesen Menschen zugewinkt. Ich bin überzeugt, dass die Polizei eingegriffen hätte, wenn es schlimmer geworden wäre.
Haben Sie Israels Vertretung am ESC, Yuval Raphael, persönlich getroffen?
Ja – und es war fast wie in Spionagezeiten. Ich wusste bis eine Stunde vor dem Treffen nicht, wohin ich gehen soll. Aus Sicherheitsgründen durfte natürlich niemand wissen, wo sie untergebracht war. Aber ich durfte sie kennenlernen. Sie hat sich bei unserer Gemeinde für die grosse Unterstützung bedankt. Es war ein wunderschönes Treffen. Inzwischen habe ich auch ihre Familie kennengelernt – und ihre Freunde, die mit ihr überlebt haben.

Kommt die jüdische Gemeinde gestärkt aus dem ESC heraus?
Ich sage immer: Ich bin in einer Zeit aufgewachsen, in der ich mich nie für mein Jüdischsein geschämt habe. Ich war immer selbstsicher. Ich glaube an die stärkeren, positiven Kräfte – und der ESC hat das einmal mehr bestätigt. Ja, er hat uns gestärkt.
Israel landete auf Platz 2 – was sagen Sie zum Ergebnis?
Gott sei Dank ist sie Zweite geworden – wir freuen uns sehr! Als halbe Österreicherin gönne ich es auch JJ. Viele sagen: Das Ergebnis war genau richtig so. Natürlich habe ich auch die Verschwörungstheorien in der Presse gelesen – aber das war zu erwarten und überrascht uns nicht wirklich.
Wie blicken Sie auf kommende Grossveranstaltungen in Basel?
Wir sind das gewohnt. Wir hatten die Baselworld, und haben die Art Basel. Es ist für uns selbstverständlich, dass jüdische Gäste am Samstag in die Synagoge kommen. Das finden wir grossartig. Letzten Freitag kam der aserbaidschanische Sänger mit einem Freund zu uns – er ist jüdisch, sein Freund Moslem. Sie kamen gemeinsam in die Synagoge. Ich liebe solche Geschichten – und wünsche mir mehr davon.
Leonie Fricker, Stefan Zischler
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