«Wenn sich etwas abspielt, was ein ungutes Gefühl hinterlässt, sollte man reagieren»
©Symbolbild: Pexels
«Häusliche Gewalt»
Basel-Stadt

«Wenn sich etwas abspielt, was ein ungutes Gefühl hinterlässt, sollte man reagieren»

20.04.2024 17:04 - update 20.04.2024 17:06
Jessica Schön

Jessica Schön

Dritte spielen bei Delikten im Bereich der Häuslichen Gewalt eine tragende Rolle. Doch wer Zivilcourage leisten will, muss wissen, wie. Auch in Basel ist die Dunkelziffer hoch. Die Gründe dafür sind komplex.

Die Nachbarin, der man mit der Sonnenbrille in der Waschküche begegnet. Das Kind, das stundenlang schreit – oder ein Paar, das sich lauthals und gestenreich im Park streitet: Nicht immer sind die Gründe für oder gegen einen Anruf bei der Polizei eindeutig. Mehr noch: Viele wissen nicht, was danach passiert. Dabei ist das Thema Häusliche Gewalt allgegenwärtig.

Mehr als einmal täglich rückte die Basler Kantonspolizei im Zusammenhang mit Delikten im Bereich der Häuslichen Gewalt im vergangenen Jahr aus: 654 Straftaten wurden in diesem Kontext gemäss Polizeilicher Kriminalstatistik erfasst. Die Dunkelziffer, so Expert:innen, ist hoch. Denn häufig melden sich Betroffene erst gar nicht.

Die Gründe dafür sind vielfältig und komplex. Nicht immer ist Häusliche Gewalt «laut». Besonders perfide ist die Scham, die Betroffene empfinden und sie im Glauben lassen, damit allein zu sein. Umso wichtiger ist die Schaffung einer Kultur, die hinschaut, so Imma Mäder. Mäder hat die Co-Leitung des kantonalen Projektes «Halt Gewalt» inne, das in der Woche vom 15. bis zum 21. April eine Aktionswoche zum Thema lanciert hat.

Häusliche Gewalt

Das Justiz- und Sicherheitsdepartement Basel-Stadt definiert in seiner Broschüre häusliche Gewalt als eine Gewaltform, bei der eine Person in einer Beziehung geschlagen oder körperlich misshandelt, bedroht, systematisch erniedrigt und gedemütigt oder unterdrückt wird. Häusliche Gewalt zeigt sich in vielfältigen Formen und findet an unterschiedlichsten Orten statt. Sie kann auch in getrennten Beziehungen oder in der Familie stattfinden.

Die Notfallkarte gibt eine Übersicht über die wichtigsten Hilfe- und Unterstützungsangebote im Kanton Basel-Stadt für Opfer Häuslicher Gewalt.

Für eine Beratung und Einschätzung kann man sich an den Sozialdienst der Polizei wenden: Tel.: 061 267 70 38, E-Mail: kapo.sozialdienst@jsd.bs.ch

Aus Angst, es schlimmer zu machen

Den Anstoss zur Aktionswoche gab eine umfangreiche Bevölkerungsumfrage zum Thema Häusliche Gewalt im Kleinbasel. Dieser zufolge lag die Bereitschaft, bei Gewalt gegen unbekannte Personen einzugreifen, bei 75 – bei Bekannten gar bei 94 Prozent. 60 Prozent der Personen, die angaben, nichts zu unternehmen, begründeten dies jedoch mit der Angst, die Situation mit dem Eingreifen zu verschlimmern. «Die Unsicherheiten und damit auch die Hemmschwelle zu reagieren, sind weit verbreitet», weiss Mäder.

«Uns ist es wichtig, herauszuschälen, wie das richtige Handeln in verschiedenen Situationen aussehen könnte». Denn um Zivilcourage leisten zu können, sei ein Wissen um die verschiedenen Möglichkeiten entscheidend – andernfalls gerate man in eine Starre, oder aber man agiere unüberlegt.

Das kannst du tun

«Manchmal macht es tatsächlich Sinn, Dinge erst einmal auf einer Beziehungsebene anzusprechen», erklärt Mäder. Im Falle der Sonnenbrillen-tragenden Nachbarin etwa signalisiere man der betroffenen Person, dass man die Situation wahrgenommen habe, ohne über deren Kopf hinweg zu entscheiden.

Auch sogenannte Paradoxe Interventionen könnten dabei helfen, Situationen zu entschärfen, solange keine Gewalt im Spiel ist: «Ich kann zum Beispiel die Frau, die sich mit ihrem Partner lauthals streitet, ansprechen und so tun, als würde ich sie kennen und etwas mit ihr besprechen wollen». Das unterbreche die Streitenden und könne deeskalierend wirken.

In akuten Situationen, in denen Schreie, Schläge oder gar weinende Kinder zu hören seien, sei es hingegen angezeigt, die Polizei zu verständigen (Notruf 117). Ein guter Indikator sei dabei das eigene Bauchgefühl: «Wenn sich etwas abspielt, was ein ungutes Gefühl hinterlässt, sollte man reagieren», sagt Mäder. Auch wenn Drohungen ausgesprochen wurden, sollte man die Polizei verständigen.

Was jetzt?

Die Aufgabe der Polizei infolge einer Meldung Häuslicher Gewalt liegt in der Gefahrenabwehr, dem Opferschutz und der Ermittlung und Strafverfolgung: Sie hat in strafrechtliche relevanten Fällen die Möglichkeit, gewaltausübende Personen vorübergehend in Gewahrsam zu nehmen, Schutzmassnahmen für Betroffene Häuslicher Gewalt auszusprechen und Kontakte zu Schutzinstitutionen aufzubauen. Die Vorfälle werden dokumentiert und an die Strafverfolgung weitergeleitet. Opfer sowie Täter werden von der Polizei ferner über Beratungsangebote und Hilfeleistungen informiert.

Das macht der polizeiliche Sozialdienst

Der Sozialdienst ist eine operative Funktionseinheit der Hauptabteilung Sicherheitspolizei der Kantonspolizei Basel-Stadt. Er unterstützt und entlastet die operativen Polizeikräfte bei psychosozialen Fragestellungen im polizeilichen Kontext.

Der Sozialdienst befasst sich mit Personen, die aufgrund einer akuten oder psychosozialen Krise die öffentliche Sicherheit und Ordnung stören und dabei sich selbst und/oder Drittpersonen gefährden bzw. eine unzumutbare Belästigung für ihre Umgebung darstellen.

Der Sozialdienst leistet auf Antrag Amtshilfe an Behörden und Institutionen.

Er steht Privatpersonen, Fachpersonen, Behörden und Institutionen im Kanton Basel-Stadt zur Verfügung.

Das Stigma

«Die Enttabuisierung der Häuslichen Gewalt ist mit tief verwurzelten gesellschaftlichen und kulturellen Herausforderungen verbunden», so Mäder. Viele Menschen unterschätzen die Komplexität der Thematik, ihre Ursachen und die langfristigen Auswirkungen auf Opfer.

Ferner komme hinzu, dass Häusliche Gewalt durch das Umfeld nicht immer als solche erkannt werde. Betroffene seien aus Scham oftmals sehr lange in der Lage, die erfahrene Gewalt zu verstecken. Bei der Teilnahme an Sensibilisierungs-Workshops bestehe vielleicht gar die Angst, sich als betroffene Person zu outen. «Es gibt viele Gründe dafür, dass eine betroffene Person die Gewaltspirale nicht unterbindet.» Darum sei die Gesellschaft als ganze aufgerufen, sich zu informieren, um im entscheidenden Moment reagieren zu können.

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Kommentare

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22.04.2024 06:24

akjo

kommt die Polizei bei einer Meldung von Nachbarn? 🤔

0 0
20.04.2024 17:44

Nirco

Sehr wichtig

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