«Wir gehen eher von einem Zufall als von einem grundlegenden Problem aus»
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Schiedsrichter-Diskussion
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«Wir gehen eher von einem Zufall als von einem grundlegenden Problem aus»

11.05.2023 16:13 - update 11.05.2023 16:14
Maximilian Karl Fankhauser

Maximilian Karl Fankhauser

Auch Tage nach dem Klassiker zwischen dem FC Basel und dem FC Zürich gibt es noch offene Fragen rund um die Schiedsrichterleistung. Schiri-Boss Daniel Wermelinger hat Baseljetzt einige davon beantwortet.

Können Sie die Kommunikation zwischen Schiedsrichter Dudic und dem VAR in Volketswil rekonstruieren?

Daniel Wermelinger: Aus Volketswil kam die Bestätigung, dass es im Strafraum einen Kontakt gab. Alessandro Dudic wurde also in seinem Entscheid bekräftigt, den er auf dem Platz gefällt hat, und es wurde kein On-Field Review empfohlen.

Sind Sie es nicht leid, sich in letzter Zeit so oft für Schiedsrichter-Entscheide entschuldigen zu müssen?

Wir ärgern uns genauso über Fehler, wie wir uns über richtige Entscheide in kniffligen Situationen freuen. Unsere Leistungsziele setzen wir bewusst sehr hoch an. Wir erwarten in jedem Spiel die höchste Qualität der Entscheidungsfindung – auch wenn wir wissen, dass es unmöglich ist, 100 Prozent Zufriedenheit zu erreichen.

Haben wir ein Schiedsrichter-Problem in der Schweiz?

Es gab sicher schon Phasen, in denen die Leistungen auf konstant sehr hohem Niveau waren. Das war an den letzten beiden Wochenenden nicht in jedem Spiel der Fall. Deshalb gehen wir eher von einem Zufall als von einem grundlegenden Problem aus. Der Faktor Mensch wird in einem Spiel von Menschen für Menschen immer eine Rolle spielen. Nur weil ein Auto mit immer modernerer Technik ausgestattet ist, wird es auch weiterhin Unfälle geben, wenn Autos von Menschen gelenkt werden. Gleich verhält es sich im Schiedsrichter-Wesen.

Wo gibt es Verbesserungspotential in der Ausbildung von Schiedsrichtern?

Uns wurden schon mehrfach und gerade wieder vor wenigen Tagen in einem offiziellen Audit der UEFA bestätigt, dass die Schiedsrichter-Ausbildung in der Schweiz auf einem hohen Niveau ist. Dies wird auch durch die Einsätze bestätigt, die unseren Schiedsrichter wie Sandro Schärer, Esther Staubli oder Fedayi San zugeteilt werden. Trotzdem beschäftigen wir uns jeden Tag mit der Frage, wie wir besser werden können, dies gehört zum Alltag. Zur Ausbildung gehören beispielsweise auch Auftritte in der Öffentlichkeit, mit den Stellungnahmen von Luca Cibelli und Alessandro Dudic nach dem letzten Wochenende ist ein erster Schritt gemacht.

Weshalb hat man mit dem Schiedsrichter-Austauschmodell aufgehört?

Das ist so nicht korrekt. Einige unserer Schiedsrichter stehen immer wieder in anderen ausländischen Ligen im Einsatz. So erhalten wir sowohl im Männer-, als auch im Frauenbereich regelmässig Einladungen anderer Länder. Dies sowohl auf Stufe Klubs als insbesondere auch auf Stufe Nationalmannschaften. Ausserdem stehen unserer internationalen Schiedsrichter regelmässig im Einsatz für die UEFA und die FIFA. Alle internationalen Aufgebote publizieren wir regelmässig auf football.ch.

Wo gibt es Verbesserungspotential bei der Nutzung des VARs?

Das international einheitliche VAR-Protokoll schreibt genau vor, wer als VAR eingesetzt werden darf: Aktuell unveränderbare Voraussetzungen sind das Absolvieren einer VAR-Aus- und Weiterbildung sowie eine ehemalige oder aktive Tätigkeit als Schiedsrichter/in in der höchsten Liga des Landes. Änderungen sind nicht so einfach umsetzbar, wie sich dies die Öffentlichkeit vielleicht wünschen würde.

Sollen in der Schweiz vermehrt auch Fussballprofis Amateurspiele pfeifen, um die Spieler zu sensibilisieren?

Dieser Ansatz ist auch in der Schweiz nicht neu, er befindet sich aber noch in einer frühen Phase. In den letzten Monaten gab es erste Kontaktaufnahmen mit ehemaligen Spielern, um in Erfahrung zu bringen, ob Interesse und/oder Bereitschaft besteht, ihr Wissen auch als Schiedsrichter/in einzubringen. Spruchreif ist aber nichts. Generell ist in den letzten Jahren die Anzahl Schiedsrichter/innen ständig leicht rückläufig. Wenn wir dauerhaft auf allen Stufen und Kategorien alle Spiele abdecken wollen, sind wir auf neue Kräfte angewiesen. Aktuell gibt es in unteren Ligen Schiedsrichter/innen, die drei oder vier Spiele pro Woche pfeifen. Deshalb wäre unser grösster Wunsch, das Reservoir so auffüllen zu könn, damit alle Fussballbegeisterten in der Schweiz weiterhin ihrem Hobby auch in Meisterschaften und Cups nachgehen können. Auf der Website www.werdeschiri.ch ist für interessierte Personen erklärt, wie man Schiedsrichter/in werden kann.

Wäre es an der Zeit das Schiedsrichterwesen zu professionalisieren?

Natürlich würden wir uns wünschen, dass wir mehr Geld zur Verfügung hätten und das Schiedsrichter-Wesen professionalisieren können. Aufgrund der finanziellen Entwicklung bei Verband und Liga versuchen wir aktuell, unsere zur Verfügung stehenden Mittel so effizient und optimal wie möglich einzusetzen. Gleichzeitig muss man sich jedoch bewusst sein, dass der Spielrhythmus und die Belastung sehr hoch sind. Einerseits sind noch zusätzliche Runden aus 2022 nachzuholen (wegen der WM in Katar) und andererseits gibt es im gedrängten Programm fast keine Pausen. Weiter sind wir daran, uns auf die vergrösserte Liga vorzubereiten, junge Leute weiter auszubilden und diese vorzubereiten, damit sie und wir für die neue Saison bereit sind.

Fehlt den Schweizer Schiedsrichtern die Perspektive der Spieler?

Das mag in der öffentlichen Optik und je nach emotionalem Gemütszustand so erscheinen. Fakt ist, dass die Schiedsrichterinnen und Schiedsrichter die andere Perspektive ein Stück weit aus ihrer eigenen Vergangenheit kennen. Die allermeisten unter ihnen haben zwar nicht auf höchstem Level gespielt, aber sie haben zwischenmenschliche Erfahrungen in einem Teamsport gesammelt. Dies hilft ihnen, Verhaltensweisen und Emotionen von Spieler/innen, Trainer/innen und Funktionär/innen einzuschätzen und nachvollziehen zu können.

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