Verhängnisvolle Geburt: Freiheitsstrafe von über einem Jahr für Ärzteteam gefordert
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Strafgericht
Basel-Stadt

Verhängnisvolle Geburt: Freiheitsstrafe von über einem Jahr für Ärzteteam gefordert

02.02.2024 13:50 - update 03.02.2024 14:37
Lea Meister

Lea Meister

Fast auf den Tag genau vor zehn Jahren verstarb eine Frau bei der Geburt ihres siebten Kindes im Bethesda-Spital. Das Kind erlitt bleibende Gehirnschäden. Das Ärzteteam steht seit Oktober vor Gericht. Am Freitag kam die Staatsanwaltschaft zu Wort.

Der Prozess rund um die verhängnisvolle Geburt am Bethesda-Spital steuert langsam aber sicher auf die Urteilsverkündung zu. Am 1. März 2014 verstarb eine Mutter bei der Geburt ihres siebten Kindes im Bethesda-Spital. Das Kind hat dabei bleibende Schäden davongetragen.

Seit dem Spätherbst muss sich das Ärzteteam vor Gericht verantworten. Am Freitag stand das Plädoyer des Staatsanwalts im Zentrum der Aufmerksamkeit.

Den Fall im Detail nachlesen kannst du hier:

Was sagt der Staatsanwalt?

Im Fokus des Prozesses steht die grosse Frage, ob der Belegarzt, der Anästhesist und die Hebamme, die an diesem Tag in der Hauptverantwortung standen, in mehreren Fällen ihre Sorgfaltspflicht verletzt haben. Geht es nach dem Staatsanwalt, ist die Antwort klar: Das blinde Vertrauen des Ärzteteams in die eigene Routine und die eigene Erfahrung seien ausschlaggebend dafür gewesen, dass es zu zahlreichen Sorgfaltspflichtverletzungen gekommen sei. «Um solch trügerisches Vertrauen zu durchbrechen, existieren Sorgfaltsregeln», fügt der Staatsanwalt an.

Dabei stechen besonders zwei mutmassliche Versäumnisse heraus: Ein Ultraschall habe sich aufgedrängt. Dass dieses erst nach 10 Uhr durchgeführt worden sei, sei nicht nachvollziehbar. Hierbei handle es sich um die erste Sorgfaltspflichtverletzung, denn ein Ultraschall hätte aufzeigen können, dass sich im Unterleib der Mutter bereits mehrere Liter Blut befanden.

Was ist ein Belegarzt?

Belegärzt:innen behandeln dich zwar in einer Klinik, sind aber nicht dort angestellt. Sie rechnen ihre Behandlungen ab wie Hausärzt:innen. Vom Krankenhaus erhalten Belegärzt:innen keine Vergütung. Der Vorteil für Patient:innen: Man kann sich von einem vertrauten Arzt behandeln lassen.

Belegärzt:innen gibt es vor allem in den „kleinen“ Fächern wie HNO, Urologie, Gynäkologie oder eben der Geburtshilfe.

Dass das Medikament Syntocinon verabreicht worden und nicht rechtzeitig wieder gestoppt worden sei, sei ebenfalls nicht nachvollziehbar. Denn die Verabreichung des Medikaments stand am Ursprung der Uterusruptur (Riss der Gebärmutter), die schliesslich auch zum Tod der Mutter geführt habe, so der Staatsanwalt. Dass der zuständige Belegarzt stets bestritten habe, das Medikament in Auftrag gegeben zu haben, zeige für ihn, dass er selbst ebenfalls am ehesten einen Zusammenhang zwischen dem Medikament und der Uterusruptur vermute.

Ruptur führte zur abfallenden Herzfrequenz

Bevor man die Geburt mit Syntocinon forciert, wäre ein Ultraschall Pflicht gewesen, um die Warnhinweise nicht nur erkennen, sondern auch richtig einordnen zu können. Der Hersteller des Medikaments gibt verschiedene Warnhinweise dafür an, wann bei der Verabreichung Vorsicht geboten sei. Unter anderem dann, wenn eine Frau bereits vier Geburten hatte. Also beispielsweise im vorliegenden Fall.

Da die Herztöne des Kindes zu diesem Zeitpunkt normal gewesen waren, wäre eine Beschleunigung der Geburt nicht nötig gewesen. «Das Ärzteteam hätte sich einen Überblick darüber verschaffen sollen, was im Körper der Mutter genau los war», ergänzt der Staatsanwalt.

Was ist eine Uterusruptur?

Bei einer Uterusruptur reisst die Gebärmutterwand. Dies passiert meist während des Geburtsvorgangs. Unterschieden wird zwischen einem kompletten Riss und und einer inkompletten Ruptur, bei welcher die Serosa intakt bleibt. Bei einem kompletten Riss der Gebärmutter kommt es zu Blutungen in der Bauchhöhle. Die Häufigkeit einer Uterusruptur beträgt ca. 1:1500 Geburten.

Erst nach der Uterusruptur habe es eine Veränderung in der Herzfrequenz des Kindes gegeben. Diese wurde im CTG nicht mehr angezeigt. «Es war falsch, das Mittel anzuhängen, weil die Herzfrequenz des Fötus in der Norm war und nicht geprüft wurde, weshalb es zur Wehenschwäche gekommen war», so der Staatsanwalt.

Wie steht es um die Verantwortungsteilung der drei Angeklagten?

Die mitangeklagte Hebamme hatte das Medikament angehängt, nachdem der Belegarzt ihr dies entsprechend verordnet habe. Eine Verordnung, die er, wie bereits erwähnt, abstreitet. Der Ehemann der verstorbenen Mutter hatte im Laufe der Hauptverhandlung aber bestätigt, dass die Hebamme sich die Verordnung beim Arzt abgeholt habe.

Das gesamte Team sei davon ausgegangen, dass es bei einer Frau, die schon zum siebten Mal ein Kind in sich trug, zu einer unkomplizierten Geburt kommen würde. Das sei in Ordnung, so der Staatsanwalt, man müsse sich aber doch dennoch immer absichern. Dass die Herztöne des Kindes immer weiter abnahmen, «wurde ignoriert». Das Kind litt folglich mindestens 24 Minuten unter starkem Sauerstoffmangel, was auch die hauptverantwortliche Ursache für die bleibenden Schäden sei.

Ein grosses Thema im Plädoyer des Staatsanwaltes sind die zeitlichen Abläufe und damit zusammenhängend das «nicht funktionierende Zeitmanagement» des Teams. Das Medikament wurde zu spät gestoppt, der Ultraschall viel zu spät durchgeführt, auch bei der Beatmung des Kindes nach der Geburt sei es zu deutlichen Verzögerungen gekommen und die abschliessende Vorbereitung der Zangengeburt sei ebenfalls viel zu spät eingeleitet worden.

Zusammengefasst bemängelt der Staatsanwalt auch, dass sich das Team, insbesondere die Hebamme und der Anästhesist, zu stark auf die berufsbedingten Hierarchien berufen hätten, im Sinne von «der Belegarzt weiss schon, was er tut». «Ein negativer Kompetenzkonflikt wäre in solch einem Fall höchst unethisch.» Die Hebamme sei in ihrer Funktion zwar zur Warnung verpflichtet, die Hauptverantwortung trage aber klar der zuständige Belegarzt.

Hätte die Mutter gerettet werden können?

Dass in Notsituationen in Spitälern Chaos aufkommen könne, sei bekannt, so der Staatsanwalt. Umso wichtiger sei es dann aber, sich in solchen Momenten an Vorgaben zu halten. Hierfür werden an vielen Spitälern verpflichtende gemeinsame Übungen durchgeführt, nicht so am Bethesda-Spital, wie der Staatsanwalt ergänzt. Es habe zwar freiwillige Übungen gegeben, der Belegarzt habe solche aber nie besucht, wie er vor Gericht selbst bestätigte.

Mehrere objektive Warnhinweise seien zwar von allen Beteiligten bemerkt worden, die Ursachenforschung sei aber ausgeblieben, was dazu geführt habe, dass die Mutter bei der Ankunft im Universitätsspital bereits vier Liter Blut in ihrem Bauchraum hatte. «Allen Beteiligten hätte auffallen müssen, dass da etwas nicht stimmte», beteuerte der Staatsanwalt.

«Wäre sofort ein Ultraschall durchgeführt und eine Verlegung angeordnet worden, hätte die Mutter wohl gerettet werden können», schlussfolgert der Staatsanwalt. Eine Verlegung ans Universitätsspital wäre bereits 90 Minuten früher möglich gewesen.

Das geforderte Strafmass

«In dubio pro reo», also im Zweifel für den Angeklagten, heisst der Grundsatz der Rechtsprechung in unseren Breitengraden. Jegliche Restzweifel, die jetzt noch bestehen würden, seien in diesem Fall eine reine Folge der begangenen Sorgfaltspflichtverletzungen, betont der Staatsanwalt.

Für den hauptverantwortlichen Belegarzt fordert er einen Schuldspruch in den Anklagepunkten der fahrlässigen Tötung der Mutter und der fahrlässigen schweren Körperverletzung der Mutter und der Tochter. Als gefordertes Strafmass legt er eine bedingte Freiheitsstrafe von insgesamt 14 Monaten bei einer Probezeit von zwei Jahren fest.

Für den Anästhesisten fordert die Staatsanwaltschaft einen Schuldspruch in den gleichen Anklagepunkten und eine bedingte Freiheitsstrafe von 13 Monaten mit einer zweijährigen Probezeit. Für die Hebamme beantragt die Staatsanwaltschaft die Einstellung des Verfahrens. Diesem Antrag kann das Gericht nachkommen, es ist aber nicht dazu verpflichtet. Der Kläger-Anwalt schliesst sich den Forderungen der Staatsanwaltschaft an.

Was sagt die Gegenseite?

Eingangs geht der Verteidiger des Belegarztes auf die vom Staatsanwalt geäusserten Vorwürfe ein, die Verteidigung habe alles daran gesetzt, den Fall in die Verjährung zu treiben. «Dass dem nicht so ist, zeigt schon nur die Tatsache, dass wir heute alle anwesend sind.»

Auf 100’000 Geburten komme es in der Schweiz zu fünf Todesfällen. Weltweit sei diese Zahl deutlich höher. Eine Uterusruptur sei ein äusserst seltenes Ereignis, welches während einer Geburt eintreten könne. «Fällt jemand diesem seltenen Ereignis zum Opfer, ist es nur in den wenigsten Fällen auf menschliches Versagen zurückzuführen», ergänzt der Verteidiger. Der Staatsanwaltschaft wirft er vor, dass sie sich nicht auf die eigens eingeholten Gutachten berufe.

Denn die Beweise in diesem Fall seien in erster Linie genau diese medizinischen Gutachten, von welchen die Staatsanwaltschaft aber eben «deutlich» abweiche, was «völlig unverständlich» sei. Den Vorwürfen gegen seinen Mandanten widerspricht er vehement. Ein früherer Ultraschall beispielsweise hätte die Uterusruptur und die damit zusammenhängende Blutmenge im Unterleib der Frau nicht zwingend zum Vorschein bringen müssen, so der Verteidiger.

Er beantragt folglich den vollumfänglichen Freispruch seines Mandanten und eine Entschädigung für die Kosten der Verteidigung.

Wie geht es weiter?

Kommende Woche stehen noch die Plädoyers der Verteidiger des Anästhesisten und der Hebamme an. Ein Urteil ist für den 29. Februar vorgesehen. Ein Termin, der eingehalten werden muss, denn am 1. März 2024 verjährt der Fall.

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