Medienkonferenz
Basel-Stadt

Tötungsdelikt am Nasenweg: Welche Fragen sind geklärt und welche bleiben offen?

12.08.2024 11:59 - update 25.03.2025 15:17
Lea Meister

Lea Meister

Nach dem schockierenden Tötungsdelikt vom vergangenen Donnerstag am Nasenweg gibt es viele offene Fragen, die die Bevölkerung in Basel beschäftigen. Am Montag informierten JSD und UPK an einer Medienkonferenz.

Am Donnerstag wurde in einem Haus am Nasenweg eine tote Frau gefunden. Der 32-jährige Verdächtige ist unterdessen gefasst. Schon vor zehn Jahren kam es in der gleichen Nachbarschaft zu zwei Tötungsdelikten. Es handelt sich um denselben Tatverdächtigen.

Doch wie konnte das passieren? Sass der heute 32-Jährige nach den beiden Tötungsdelikten nicht im Gefängnis? Im September 2015 musste er sich vor dem Basler Strafgericht verantworten. Das Gericht kam zum Schluss, dass er sich zum Zeitpunkt der beiden Tötungsdelikte in einem akuten psychotischen Schub befunden hatte und stufte ihn deshalb als gänzlich schuldunfähig ein.

Stationäre Massnahme in der Psychiatrie

Aufgrund der Brutalität seiner Taten wurde aber der Tatbestand des mehrfachen versuchten Mordes erfüllt, weshalb er in eine stationäre Massnahme in einer Psychiatrie überführt wurde. Diese wurde zunächst auf fünf Jahre angesetzt mit der Option auf eine Verlängerung (auch «kleine Verwahrung» genannt).

Welche Formen der Verwahrung gibt es?

Die Verwahrung ist im Artikel 64 im Strafgesetzbuch geregelt. Ein Gericht ordnet dann eine Verwahrung für einen straffälligen Menschen an, wenn er eine Tat begangen hat, die mit einer Höchststrafe von mindestens fünf Jahren belegt ist. Darunter fallen etwa Mord, Geiselnahme oder Vergewaltigung. Zudem muss ein hohes Risiko bestehen, dass der Täter oder die Täterin rückfällig wird. Ebenso Bedingung ist, dass das oder die Opfer in der psychischen, sexuellen oder körperlichen Integrität verletzt wurde oder der Täter das beabsichtigte.

Die ordentliche Verwahrung wird dann ausgesprochen, wenn bei einem Täter eine Persönlichkeitsstörung oder eine psychische Störung diagnostiziert wurde. Eine frühzeitige Entlassung aus der Verwahrung ist möglich, wenn der Täter die Gutachter davon überzeugen kann, dass er sich in Freiheit bewähren wird und keine Rückfallgefahr besteht. Die erste Beurteilung erfolgt nach zwei bis fünf Jahren in Verwahrung. Verwahrungstrakte gibt es in der Schweiz nicht – Verwahrte werden individuell, je nach Herkunft, Weltanschauung und Tat, untergebracht.

Etwas anders ist das bei einer kleinen Verwahrung: Die stationäre Massnahme wird von einem Gericht auf Grundlage des Artikels 59 des Strafgesetzbuches angeordnet. Während die ordentliche Verwahrung erst nach der abgesessenen Strafe folgt, wird die kleine Verwahrung oft zusammen mit einer Haftstrafe verhängt. Der Freiheitsentzug – der höchstens fünf Jahre betragen darf – wird in solchen Fällen aufgeschoben, um die therapeutische Massnahme möglichst bald starten zu können. Wenn keine Fluchtgefahr besteht, werden die angeordneten Therapiemassnahmen oft in offenen Einrichtungen durchgeführt. Die kleine Verwahrung bedingt, dass die Täter therapierbar sind und die Rückfallgefahr sehr klein ist.

Wenn ein Täter als «nicht therapierbar» diagnostiziert wird und somit eine lebenslange Verwahrung ausgesprochen wird, gibt es nur eine Möglichkeit, die Massnahme zu verkürzen: Bei neuen, wissenschaftlichen Erkenntnissen, die beweisen können, dass der Täter doch therapierbar ist, kann ein neues Gutachten beantragt werden. Wird eine lebenslange Verwahrung aufgehoben, haftet die zuständige Behörde im Falle eines Rückfalls.

(Die Informationen stammen aus diesem Artikel zum Thema Verwahrung.)

2020 wurde die Massnahme dann um weitere fünf Jahre verlängert. Ab 2017 wurden dem jungen Mann aber Lockerungen gewährt. So durfte er beispielsweise für begleitete Freigänge vor die Tür oder gar extern arbeiten gehen, wie eine gut informierte Quelle gegenüber Baseljetzt bestätigt. Er habe im täglichen Berufsalltag gar Zugang zu Messern gehabt.

Tötungsdelikt am Nasenweg: Welche Fragen sind geklärt und welche bleiben offen?
Das Quartier rund um den Nasenweg war am Donnerstag abgesperrt, damit die Kriminalpolizei ihrer Arbeit nachgehen konnte, um den Täter möglichst schnell fassen zu können. Bild: Baseljetzt

Dass der mutmassliche Wiederholungstäter am Donnerstag alleine in Basel unterwegs war und so zum Nasenweg zurückkehren und mutmasslich einen weiteren Menschen töten konnte, sorgt in der Bevölkerung und der Politik für Fragezeichen.

Medieninformation am Montagnachmittag

Am Montagnachmittag fand deshalb eine Medieninformation zum Thema statt. Vor Ort mit dabei waren Stephanie Eymann, die Vorsteherin des Justiz- und Sicherheitsdepartements, Lukas Engelberger, Vorsteher des Gesundheitsdepartements, Sabine Uhlmann, Leiterin des kantonalen Straf- und Massnahmenvollzugs, Michael Rolaz, CEO der UPK und Henning Hachtel, Direktor der Klinik für Forensik der UPK.

Welche Fragen geklärt werden konnten und welche nicht, erfährst du in der Übersicht.

Wer ist verantwortlich?

Wie es genau dazu kommen konnte, dass der 32-Jährige auf einem unbegleiteten Freigang mutmasslich eine Frau töten konnte, wird jetzt Gegenstand einer externen Untersuchung. Wer diese leiten, beziehungsweise durchführen wird, ist noch unklar. Massnahmenvollzugsleiterin Sabine Uhlmann sagt auf Nachfrage eines Journalisten, dass ihre Behörde den Entscheid in einer solchen Verfügung wie dem unbegleiteten Freigang fälle.

Wie kommt es zu solch einem Freigang?

Der Chef der Forensik der UPK gibt am Montagnachmittag einen kleinen Einblick in die Abläufe innerhalb der UPK. Das Vorgehen bei Lockerungen basiere auf wissenschaftlichen Kriterien und verschiedenen Gutachten unterschiedlicher Fachkommissionen. Lockerungen würden nach einem mehrstufigen Prozess ausgesprochen. So komme es beispielsweise zuerst zu Ausgängen innerhalb der Klinikräume. Dann würden Ausgänge mit einer Begleitung von zwei und später einer Person folgen. Unbegleitete Freigänge ausserhalb der Klinik sei eine entsprechende Stufe in diesem Modell.

Tötungsdelikt am Nasenweg: Welche Fragen sind geklärt und welche bleiben offen?
Henning Hachtel, Direktor der Klinik für Forensik der UPK, links, und Michael Rolaz, CEO der UPK, rechts, besprechen sich an einer Medienkonferenz vom Montag. Bild: Keystone

Zu dieser komme es erst dann, wenn eine deutliche Besserung erreicht worden sei. Ein Täter, der gleichzeitig ja auch Patient sei, müsse beispielsweise fähig sein, Absprachen zu treffen und entsprechend verlässlich zu kommunizieren. Zudem müsse das Risiko eines Rückfalls und einer Flucht niedrig sein, wenn jemand die Einrichtung verlassen dürfe.

Mindestens einmal pro Jahr würden Sitzungen mit allen involvierten Personen und auch der verurteilten Person stattfinden, um zu schauen, wo man stehe. Zudem werde auch die weitere Vollzugsplanung besprochen und geschaut, ob es zu Vollzugsöffnungen kommen könne. Grundlage solcher Entscheidungen seien forensisch-psychiatrische Gutachten, Verlaufsberichte und Beurteilungen von Fachkommissionen, also unabhängigen Gremien. 

Wann wird die Polizei informiert, wenn jemand flüchtig ist?

Wenn ein Patient auf unbegleitetem Freigang unterwegs ist, wird die Polizei erst dann informiert, wenn er nicht wie vereinbart in die Einrichtung zurückkehrt. Dass die Öffentlichkeit verhältnismässig relativ spät über die Vorgänge und die entsprechende Öffentlichkeitsfahndung informiert worden ist, kann Stephanie Eymann nicht kommentieren, da die Staatsanwaltschaft zu diesem Zeitpunkt schon die Verfahrenshoheit innehatte.

Wie oft kommt es bei unbegleiteten Ausgängen zu Problemen?

Henning Hachtel, Leiter der UPK-Forensik, sagt, dass bei etwa jedem dreissigsten Ausgang Probleme auftreten. Es handle sich dabei jedoch meist um Verspätungen, die dann auch oft vom Patienten telefonisch angekündigt würden. Grundsätzlich würden die Ausgänge gut funktionieren.

Wie viele vergleichbare Fälle «könnten in Basel herumlaufen»?

In der Zuständigkeit des Kantons Basel-Stadt befinden sich derzeit 12 Klienten mit einer angeordneten Massnahme nach Artikel 59, die unter einer paranoiden Schizophrenie leiden und eine Gewalt- oder Sexualstraftat begangen haben. Es sind also 12 Täter, die einen vergleichbaren Stufenplan durchlaufen und Lockerungen zugesprochen bekommen, wenn die nötigen Gutachten und Untersuchungen diese für angebracht halten.

Tötungsdelikt am Nasenweg: Welche Fragen sind geklärt und welche bleiben offen?
Sabine Uhlmann, Leiterin des kantonalen Straf- und Massnahmenvollzugs. Bild: Keystone

Könnte der 32-Jährige das System ausgetrickst haben?

Lügen und Manipulation seien Teil der Arbeitsrealität der UPK, so Forensik-Chef Henning Hachtel. Die Klientel, die in der Forensik behandelt würde, sei aber in der Tendenz nicht manipulativ geprägt. Es könne natürlich passieren, dass Personen Symptome nicht offenlegen, sagt Hachtel. Das Personal sei eigentlich darauf geschult, sehr stark zu monitorisieren. Hachtel könne zum konkreten Fall nichts sagen. Es seien gewisse solcher Fälle bekannt. Genauer darauf eingehen kann er aber nicht.

Gibt es kurzfristige Konsequenzen?

Die kurzfristigen Freigänge seien momentan zum Schutz von Patienten gesperrt worden, damit sie keinen unangenehmen Begegnungen mit der Bevölkerung ausgesetzt seien, so Michael Rolaz, CEO der UPK. Die Massnahme gelte vorerst bis am Freitag.

Elektronische Überwachung werde nicht eingesetzt, so Uhlmann auf Nachfrage eines Journalisten. Elektronische Überwachung sei eine passive Überwachung und könne einen Rückfall auch nicht verhindern. Ein Patient müsse sich in einem stabilen Zustand befinden, um Lockerungen wie Freigänge zu erhalten. Patienten müssten vorgängig einen Urlaubsplan abgeben mit Stundenanzahl und den Orten, an welchen sie sich gerne aufhalten würden.

Wie erfolgreich ist die Resozialisierung in vergleichbaren Fällen?

In der Regel könne man mit den beschriebenen Mitteln und Massnahmen ein gutes Behandlungsergebnis erreichen, so Hachtel von der Forensik der UPK. Bei Gewaltstraftätern mit psychotischen Mustern und/oder schizophrenen Erkrankungen sei die Rückfallrate deutlich unter derjenigen im allgemeinen Vollzug.

Was bleibt?

Die Behörden, genauer gesagt das Justiz- und Sicherheitsdepartement und die UPK, haben am Donnerstag versucht, möglichst offen zu kommunizieren. Da aber niemand genauere Angaben zum spezifischen Fall machen darf, bleiben auch nach der Medienkonferenz noch Fragen unbeantwortet.

Die externe Untersuchung wird nun genauer beleuchten, wo Verfehlungen stattgefunden haben und an welchen Orten die Verantwortlichkeiten anzusiedeln sind. Personelle Konsequenzen sind danach auch nicht auszuschliessen. Dies bestätigte Regierungsrat und Vorsteher des Gesundheitsdepartements Lukas Engelberger auf Nachfrage von Baseljetzt.

Hier kannst du die Medienkonferenz im Ticker nachlesen:

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Kommentare

Dein Kommentar

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12.08.2024 15:37

MatthiasCH

Diese Typen säuseln und Lügen das Blaue vom Himmel herunter. Dann wird ihnen geglaubt. Die Konsequenz haben wir jetzt gesehen.

7 3
12.08.2024 14:32

User

Man sollte dehnen des Amtes einzieh!

3 4
12.08.2024 16:57

Sonnenliebe

Das ist definitiv keine Lösung

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