Messerstecherei am Bahnhof SBB: Beschuldigter wird freigesprochen
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Strafgericht
Basel-Stadt

Messerstecherei am Bahnhof SBB: Beschuldigter wird freigesprochen

02.09.2024 18:54
Maximilian Karl Fankhauser

Maximilian Karl Fankhauser

Der Anwesende der beiden Beschuldigten wird aber wegen eines anderen Falls zu sechs Monaten bedingter Haftstrafe verurteilt. Gegen den Abwesenden wird es eine neue Verhandlung geben.

Es ist ein Morgen der Absenzen am Basler Strafgericht. Denn dort wird am Montag der Fall einer Messerstecherei im vergangene November am Centralbahnplatz verhandelt.

Einziger Anwesender der drei Geladenen ist der Beschuldigte, ein 32-Jähriger, der momentan im Bässlergut in Untersuchungshaft sitzt. Der zweite Beschuldigte ist der Vorladung nicht nachgekommen. Diese sei «nicht zustellbar gewesen, wurde aber im Kantonsblatt veröffentlicht», betont Gerichtspräsident Roland Strauss zu Beginn der Verhandlung. Deswegen würden die Verhandlungen der beiden Angeklagten getrennt durchgeführt. Dies auch aus dem Grund, dass es im Sinne des Anwesenden sei, dass man in dieser Sache voranschreiten könne.

Als Elfjähriger von Afghanistan weggeschickt

Vom Vater sei er damals als etwa elfjähriger Junge aus Afghanistan weggeschickt worden. Aus Angst, dass ihm etwas passieren könnte, wurde ein Schlepper arrangiert, der ihn wegbringen sollte. «Mein Vater arbeitete mit den Amerikanern zusammen und die Taliban rächten sich an jedem, der diese Kooperation eingegangen ist», sagt der Beschuldigte vor Gericht. In der Zwischenzeit sei sein Vater durch eine Bombe getötet worden, der Bruder auf einer Kreuzung exekutiert. Daraufhin sei seine Mutter ins Koma gefallen. Er sorge sich um seine Schwestern, denn die Taliban würden in die Häuser einbrechen und «die Frauen herausziehen».

Über den Iran kam er via Izmir nach Italien und dann nach Holland. Dort lebte er bei einer Pflegefamilie, ging zur Schule, erlernte die Sprache und machte eine Ausbildung zum Schreiner. Begleitet habe ihn die stetige Angst, mit dem Erreichen der Volljährigkeit wieder nach Afghanistan ausgeschafft zu werden, wo er nach eigener Aussage nicht sicher sei. Weswegen er dann in die Schweiz floh.

Beschuldigter alarmierte die Polizei

Hier wollte er sich endlich ein Leben aufbauen. «Ich habe mir nichts zu Schulden kommen lassen», sagt der Beschuldigte. Das sieht die Basler Staatsanwaltschaft aber anders. Denn in der Nacht des 17. Novembers 2023 soll er sich der Mittäterschaft eines Verbrechens schuldig gemacht haben.

Details zum Fall kannst du hier nachlesen:

Die Geschichte des Beschuldigten ist eine ganz andere. Da es bereits spät war, musste er am Bahnhof SBB auf den ersten Zug nach Delémont warten, wo er in einer Asylunterkunft wohnte. Der Geschädigte habe ihm Drogen verkaufen wollen. Er habe abgelehnt. An diesem Abend, wie auch in anderen Situationen, habe er Cannabis konsumiert, gekauft habe er es aber noch nie. Er habe lediglich gefragt, wo es etwas zu Essen gebe. Sie seien gemeinsam mit dem Geschädigten, seinem Freund und dem zweiten Angeklagten zu Mc Donalds gegangen. Zurück am Centralbahnplatz sei er von der Begleiterin des Geschädigten mehrfach angemacht worden, worauf er sich wehrte und entfernt habe. Der Geschädigte habe ihm und einem Freund daraufhin mehrfach mit dem Messer gedroht. Also sei er zur S.O.S-Säule gerannt und habe die Polizei alarmiert.

Danach habe er sich auf den Centralbahnplatz zurückbegeben, um seinem Freund zu helfen, der weiterhin bedroht worden sei. Er habe probiert, dem Geschädigten das Messer aus der Hand zu nehmen und ihn zu seinem Schutz und dem des Freundes auf den Boden zu drücken. Es seien von beiden Seiten Fäuste geflogen, ein Gerangel entstand am Boden. Plötzlich sei der zweite Angeklagte dazugekommen und habe den Geschädigten mit Tritten und Schlägen traktiert. «Ich sagte ihm, dass er aufhören soll», erzählt der Angeklagte am Montag. Dass dieser mit einem Messer zugestochen haben soll, habe der Angeklagte in der dynamischen Situation nicht mitbekommen. Er habe nur sich und seinen Freund schützen wollen.

Keine Reue erkennbar

Der Geschädigte ist der zweite grosse Abwesende an diesem Morgen. Er habe am letzten Donnerstag noch Kontakt zu ihm gehabt, sagt sein Anwalt. Er habe ihm versichert, dass er kommen würde. Da der Geschädigte aber in Rom auf der Strasse lebt und kein Natel hat, sei der Kontakt durch einen Freund von ihm entstanden. Seit Donnerstag habe er aber nichts mehr von ihm gehört.

Das würde aber nichts daran ändern, dass sein Mandant jetzt ein Leben lang entstellt sei. «Bei jedem Blick in den Spiegel wird er aufgrund seiner Narben an die Tatnacht vom 18. Dezember erinnert.» Er habe bei der Schilderung des Tathergangs Gänsehaut gekriegt. Der Beschuldigte versuche, seine Rolle zu relativieren. Denn er habe erst von seinem Mandanten losgelassen, als dessen Körper zusammengesackt sei. Richtige Reue sei bei ihm nicht zu erkennen.

Es sei nicht möglich, den erlittenen Schaden in seiner Gesamtheit zu beziffern. Für die zerrissenen Kleider fordert er deswegen einen Schadensersatz von 200 Franken. Hinzu kommen 7’500 Franken Genugtuung, die Kosten des Spitalaufenthalts und weitere Behandlungskosten seines Mandanten.

Kooperatives Verhalten

Die Staatsanwaltschaft fordert eine unbedingte Haftstrafe von 26 Monaten und 15 Tagen im Sinne einer teilweisen Zusatzstrafe. Dies, weil gegen den Beschuldigten ein zweites Verfahren wegen eines qualifizierten Diebstahls an einem 87-jährigen Mannes in Neuenburg läuft. 300 Franken würden wegen des Cannabiskonsums anfallen. Für acht Jahre soll der Beschuldigte zudem des Landes verwiesen werden.

Die Verteidigerin plädiert darauf, ihren Mandanten von den Vorwürfen im November freizusprechen. Es sei nur eine zweimonatige Haftstrafe wegen einfachen Diebstahls, 100 Franken Busse wegen Verstosses gegen das Betäubungsmittelgesetz und 100 Franken Busse wegen unerlaubten Aufenthaltes auszusprechen. von einem Landesverweis sei abzusehen.

Das Gericht spricht ihn am Montagabend in den Angelegenheiten rund um den Centralbahnplatz frei. Die ersten Einvernahmen des Geschädigten und eines Zeugen seien nicht verwertbar, da diese ohne Wahrung der Teilnahmerechte stattgefunden haben. Auch würden die Aussagen der Zeugin (Freundin des Geschädigten) die Geschichte des Geschädigten nicht stützen. Der Beschuldigte sei zudem kooperativ gewesen und habe sich in keinster Art und Weise vom Tatort entfernt. Nach Begutachtung der Beweismittel und Zeugenaussagen erschliesse es sich dem Gericht zudem nicht, weswegen von Seiten Staatsanwaltschaft nicht auch ein Verfahren gegen den Geschädigten eröffnet worden sei.

Doch noch ein Schuldspruch

Einen Schuldspruch hat es an diesem Abend aber dennoch gegeben. Wegen des qualifizierten Diebstahls wird der 32-jährige Afghane zu sechs Monaten bedingter Haft verurteilt und erhält einen Landesverweis von fünf Jahren.

Die Anklage des zweiten Beschuldigten, der der Vorladung nicht nachgekommen ist wird neu verhandelt. Dann wird es auch um die Genugtuung und den Schadensersatz gehen, der dem in diesem Fall Freigesprochenen erlassen wird.

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